Weizenkorn

Morgenandacht
Weizenkorn
26.08.2017 - 06:35
17.08.2017
Pastorin Miriam Stamm

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“ (Joh. 12, 24)

 „Wir sind eine Gesellschaft der Sieger und Macher.“ Stimmt! Sieger und Macher wären wir gerne. Es gibt deshalb auch einen großen Markt an Ratgeberliteratur, die erklärt, wie das geht.

Ich fasse die Tipps mal zusammen: Man muss nur die richtige Einstellung haben und seine Wünsche konkret äußern, hinzu kommt die entsprechende Vorstellungskraft, dann sollten Sie die Energien im Raum-Zeit-Gefüge fehlerfrei nutzen und schon wird das Universum zu ihrem getreuen Diener und erfüllt Ihnen alle Wünsche. Wenn das jetzt bei Ihnen noch nicht so funktioniert, dann machen Sie etwas falsch.

Ich kenne niemanden, der in der Lage ist, das Universum dazu zu bringen, nach den eigenen Vorstellungen zu tanzen. Ich kenne auch niemanden, der persönlich jemanden kennt, der das kann.

Soviel Menschen auch machen und tun, das Universum lässt sich nicht so leicht beherrschen, wie uns manche Literatur glaubhaft machen will. Das Leben ist heilig und letztlich ein Geheimnis, über das wir Menschen nicht verfügen können. Vielmehr tritt es mit uns in einen Dialog, bei dem wir die Lernenden sind und nicht die Meister. Sogar welches Thema wir gerade lernen sollen, entscheiden wir gewöhnlich nicht. In den meisten Fällen präsentiert das Leben seine Lektionen mehr oder weniger sanft und in der Regel gänzlich anders als wir sie uns vorgestellt haben.

Es scheint, als ob sich das Leben nicht so sehr dafür interessiert, unsere Wünsche und Vorstellungen zu bestätigen. Es ist vielmehr an Wachstum und Entwicklung interessiert. Dazu gehört, dass wir in Frage gestellt werden. Ich finde: Gott sei Dank! Menschen, die sich nie in Frage stellen lassen, sind eher unangenehme Zeitgenossen. Menschen dieses Formats sind kein Gewinn.

Kinder lernen oft besser als Erwachsene. Sie lernen das Radfahren nicht, weil sie das Fahrrad beherrschen wollen. Sondern vor allem dadurch, dass sie sich darin üben, mit ihrem Körper der Schwerkraft und dem Fahrrad umzugehen. Das klappt nie auf Anhieb. Je nach Temperament des Kindes, kommentiert es zwar lautstark Stürze und Blessuren mit entsprechenden Klagen. Die sind sicher berechtigt, helfen aber nicht weiter. Das Fahrrad lässt sich erst dann steuern, wenn sich das Kind auf das Fahrrad einlässt und nicht umgekehrt.

Das, was das Lernen und somit auch das Leben leichter macht ist unser Einverständnis. Solange wir uns gegen die Lektionen sperren, die wir lernen sollen, lernen wir sie nicht.

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, so bringt es viel Frucht.“ So beschreibt Jesus dieses Geheimnis. Frucht wächst aus Sterben, aus dem sich hingeben, dem sich ergeben. Es ist ein kleiner Tod, die Dinge nicht mehr beherrschen zu wollen, sondern sich zu fügen. Sich fügen heißt, einverstanden zu sein, mit dem, was gerade geschieht. Das bedeutet: Hineingehen, hineinspüren und wahrnehmen, wie sich das Leben gerade darstellt. Das ist oft das Gegenteil von wünsch-dir-was. Aber viel nachhaltiger.

So lernen wir den Tanz mit dem Leben in seiner Fülle, der letztlich ein Tanz mit Gott selbst ist. Gott und das Leben gibt es nur vollständig, d. h. in Moll und in Dur. Wer sich damit versöhnt und sich nicht sofort wegwünscht, wird den Reichtum der Höhe und der Tiefe kennenlernen und selber heil und ganz werden.

Ich finde, unsere Gesellschaft braucht nicht noch mehr Sieger und Macher, denen es um die eigene Wunscherfüllung geht. Wir brauchen vor allem Menschen, die keine Angst vor Niederlagen haben und die ruhig alle Facetten des Lebens wahrnehmen können, bevor sie handeln. Wer auf dieser Grundlage Entscheidungen trifft, ist barmherzig, weise, friedlich und vor allem unabhängig. Er tut sich einen großen Gefallen. Und bringt viel Frucht, von der alle profitieren.

17.08.2017
Pastorin Miriam Stamm