Wertschätzung

Morgenandacht
Wertschätzung
27.07.2017 - 06:35
26.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer

„Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.“ So beginnt ein bekanntes Gebet. Aber wehe, der Herr Jesus nimmt die Einladung an! Dann sagt er manchmal Dinge, die sind tatsächlich „eine schöne Bescherung“:

 

Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan. (Lk 17, 10)

 

Ich stelle mir vor, wie Jesus diese Worte an seine Jünger als Tischrede auf einem Mitarbeiterfest bringt. Ich stelle mir die Mienen der Anwesenden vor und muss unwillkürlich kichern. Jesus trampelt wie ein Elefant in das feine Porzellan unserer „Kultur der Wertschätzung“. In Betrieben und Verwaltungen, auch in der Kirche, hat man entdeckt, dass Mitarbeitende mitnichten unnütze Knechte sind. Man erkennt sie als wertvolle Ressourcen, die man pflegen muss. Man ist daher schwer befremdet über so viel biblische Arroganz. Wie viele, vor allem Frauen, rieben sich einst auf, beuteten sich förmlich selbst aus, wurden aber behandelt wie unnütze Mägde und Knechte. Sie bekamen eingetrichtert, es sei überheblich und gottlos, Anerkennung zu erwarten; sie täten ja nur ihre Schuldigkeit. Heute würde man Jesus zum Coaching für Führungskräfte schicken, damit auch er lernt, was mittlerweile alle verstanden haben: Kein Mensch kommt ohne Anerkennung aus.

Aus dieser Einsicht heraus wurde die „Kultur der Wertschätzung“ ausgerufen. Man hört jetzt keinen mehr maulen: „Mir dankt ja keiner.“ Stattdessen sagt man: „Ich fühle mich nicht genug gewertschätzt.“ Und wenn dann der Chef fies antwortet: „nicht genug wertgeschätzt, meinen Sie gewiss“, sollte er nochmal zum Coach. Das Wort hat Tücken, nicht nur grammatische. Aber Spott beiseite: Mir behagt der Begriff Wertschätzung nicht. Man schmeckt beim Aussprechen den Beigeschmack: Der Wert eines Mitarbeiters wird geschätzt. Warum? Weil man mit Mehrwert rechnet. Wertschätzung ist etwas Anderes als unschuldige Menschenliebe. Ja, sie sei mehr, sie sei eine Haltung auf Augenhöhe, kontern die Wertschätzungsexperten. Doch diese Haltung ist meistens mit einem unausgesprochenen Zweck versehen, und der heißt im Neusprech: Qualitätssicherung, Motivierung, Optimierung. Anders gesagt: die Haltung hat ein „um zu“ im Gepäck. Sie ist die Streicheleinheit, um nicht nachzulassen, mehr zu geben, Größeres zu leisten, es noch besser zu machen. Ich habe mittlerweile ein feines Gespür dafür, ob man mich lehrbuchmäßig wertschätzt, oder mir herzlich dankt.

Der Satz, mit dem Jesus das Mitarbeiterfest stört, ist absolut nicht lehrbuchmäßig. Er ist eine kalkulierte Provokation:

 

Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.

 

Jesus zieht seinen Mitarbeitern hier den Zahn, sich irgendwelche Privilegien dafür sichern zu können, dass sie in seinem Team mitmachen. Wer zu seiner Belegschaft gehört, soll sich vielmehr mit jenen gemein machen, die als dienstbare Knechte behandelt werden. Jesus will diesen Perspektivwechsel. Dann hört man damit auf, andere als dienende Mittel zum Zweck zu sehen. Das hat Jesus seinen Jüngern klarmachen wollen. Dafür legte er sich selbst die Schürze eines Knechts an, kniete vor ihnen und wusch ihnen die Füße.

 

Selbstverständlich sollen Menschen merken, dass ihr Einsatz gesehen und gewürdigt wird. Viele vermissen das, obwohl klar ist, dass man es braucht, mal zu hören: Mensch, klasse gemacht! Ich möchte das, was wir brauchen, schlicht und einfach Mitmenschlichkeit nennen, gern auch Respekt, meinetwegen auch Dankbarkeit, Höflichkeit, Anstand, gute Manieren, Aufmerksamkeit. Mitmenschlichkeit kommt aus einer Haltung, die den Menschen gerade nicht daraufhin betrachtet, was er wert ist und wozu er dient. Mitmenschlichkeit kommt daher, dass ich den anderen nicht nur als Mitarbeiter sehe, sondern als Mitmensch, nicht als Ressource, die auszuschöpfen ist, sondern als Geschöpf Gottes, das unverfügbar ist. Das schulde ich ihm wirklich!

26.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer