In Windeln gewickelt

Morgenandacht
In Windeln gewickelt
11.12.2017 - 06:35
06.12.2017
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
Sendung zum Nachhören
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„Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt.“ Dieser schlichte Satz aus der Weihnachtsgeschichte wird bald wieder zu hören sein in Gottesdiensten und Wohnzimmern an Weihnachten. Und man kann ihn ganz leicht überhören. So gar nichts ist er gegen den Chor der Engel mit ihrem: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens. Für mich hat sich das geändert. Den Windeln gilt meine ganze Aufmerksamkeit. Marion Küstenmacher, Theologin und Mystikerin, widmet ihnen in ihrem Buch „Der Purpurtaucher“ ein ganzes Kapitel. Die Windeln sind zunächst das eindeutige Zeichen: das Kind in der Krippe ist ein Mensch. Geboren wie du und ich und gewickelt in Windeln, die es auch benutzt. Zutiefst menschlich. Aber was heißt „gewickelt“ in Zeiten von Pampers? In vielen Kulturen wird ein Baby am ganzen Körper fest eingewickelt. Auch bei uns ist das noch gar nicht so lange her. Denn fest eingewickelt ist das Baby geschützt vor Keimen, vor Verletzungen, vor Ungeziefer und dadurch eher überlebensfähig. Und die vielen Lagen Stoff um seinen kleinen Körper sind ein guter Ersatz für die Wärme und den Schutz im Mutterleib. So kann und konnte das „in Windeln gewickelt“ aus der Weihnachtsgeschichte mühelos in die eigene Lebenswirklichkeit übertragen werden. In Bayern ist das „Fatschenkind“ bekannt, das fest in Windeln eingewickelte Kind in der Krippe, mit goldenen Bändern gebunden, in vielen Krippen eine kunstvolle und kostbare Handarbeit. Wirklich zum Anbeten schön.

 

Bischof Ambrosius von Mailand geht bereits im 4. Jahrhundert noch weiter. Für ihn steckt in den Windeln aus der Weihnachtsgeschichte mehr drin.

„Das Jesuskind wurde eingewickelt in Windeln, damit du herausgewickelt werden könntest aus den Netzen des Todes“ – sagt Ambrosius. Der kleine Satz aus der Weihnachtsgeschichte über die Windeln legt frei, dass es um einen Ent-wicklungsprozess im Leben geht, der jedem Menschen bevorsteht. Entbindung, Entwicklung, Selbstwerdung. Wie oft habe ich als Mutter meiner Kinder das Gefühl, die Nabelschnur muss immer wieder durchtrennt werden, auch wenn sie schon längst auf eigenen Beinen stehen im Leben. Die engen Bänder, mit denen ich sie gehalten und an mich gebunden habe, müssen gelockert werden und einmal ganz abfallen, um ganz neu geknüpft zu werden. Und wie oft habe ich diese Trennung meinen Eltern gegenüber vollziehen müssen, um mein Leben zu führen und nicht das ihre oder von ihnen gewünschte. Ausgewickelt werden, ein Leben lang dauert das. Ausgewickelt aus Bevormundung, aus zu enger Dorfmoral, aus Nationalsimen und Egoismen.

 

Und das passiert auch im spirituellen Sinn. Die engen Bänder des Glaubens, in die ich in meiner Kindheit eingewickelt worden bin, sie haben mir Schutz geboten und Halt gegeben. Das Christkind, die Engel, der Baum mit den Lichtern, Wunschzettel mit Kinderwünschen. Doch einmal haben sie ausgedient. Die Wickelbänder, das Infantile muss einmal abgelegt werden. Das programmatische Entwicklungsziel für uns alle, sagt Marion Küstenmacher, formuliert der Evangelist Lukas am Ende seiner liebevollen Kindheitsgeschichten über Jesus: „Er nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen“. Ein biologischer, geistiger, spiritueller Entwicklungsprozess. Etwas Altes hinter sich lassen, weil es zu eng geworden ist für Geist und Herz. Das heißt „ausgewickelt werden“. Wem das nicht gelingt, dem werden die Bänder, die ihm Halt geben sollten, zu Netzen, die tödlich sein können. Nämlich dann, wenn man zu lange im Alten verharrt und erstarrt. Das Göttliche will sich immer wieder neu zeigen. Wer Gott nicht festhält und einsperrt in ein Bild, das ja immer zu klein und zu eng geraten wird, dem wird Gott immer wieder neu geboren. Der wird herausgewickelt aus gefährlich lähmenden Netzen und kann zunehmen an Weisheit, Bewusstheit, Liebe und Herzensgüte.

 

 

06.12.2017
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen