Die Taufengel beim unvergesslichen Fest

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Die Taufengel beim unvergesslichen Fest
24.06.2017 - 10:00
26.06.2017
Marianne Ludwig
Über die Sendung

In der alten Dorfkirche von Rohrbeck werden bis heute Kinder getauft. Mit Hilfe eines Taufengels, der von der Kirchendecke herabgelassen wird. Welche menschliche Erfahrung sollen sie vermitteln?

 

 

Was zählt in meinem Leben?

Der siebenjährige Oskar freut sich. Am 2. Juli wird er in der Dorfkirche von Rohrbeck getauft, ebenso wie die vierjährige Elisabeth und der sieben Monate alte Paul. Ein schönes, unvergessliches Fest soll es werden.

Die Eltern von Oskar, Paul und Elisabeth möchten ihren Kindern alles Notwendige mitgeben, damit sie gut gerüstet sind für ihren Lebensweg. In dieser Kirche wollen sie Danke sagen, dass ihre Kinder so viel Leben und Liebe in die Familien hineintragen.

Immer wieder sind Taufeltern und Paten überrascht, wenn die Pfarrerin sie nach ihrer eigenen Taufe fragt. Schließlich sollen auf dem Altar nicht nur die Taufkerzen der Kinder brennen, sondern gern auch Tauferinnerungskerzen.

Ja, Tauferinnerungskerzen. Denn Menschen sind vergesslich und manchmal brauchen auch Erwachsene einen kleinen Anstoß. Was soll denn in meinem Leben zählen und was zählt tatsächlich? Welche Fragen begleiten mich auf meinem Weg und habe ich Antworten gefunden? Was will ich davon meinem Kind mitgeben?

 

Wenn Kinder nicht an Gott glauben

Der Schriftsteller Heinrich Böll hat dies in einem Gedicht „Für Sammai“ so ausgedrückt:

 

„Wir kommen weit her, liebes Kind,

und müssen weit gehen.

Keine Angst, alle sind bei dir, die vor dir waren.

Deine Mutter, dein Vater und alle, die vor ihnen waren.

Weit, weit zurück.

Alle sind bei dir. Keine Angst.

Wir kommen weit her und müssen weit gehen,

Liebes Kind.“

 

Keine Angst. Denn wir alle sind in Gottes Hut. Was eben nicht bedeutet, dass Not und Leid unseren Kindern erspart bleiben. Sie werden ihre Erfahrungen damit machen, genauso wie die Generation der Eltern und Großeltern. Aber auch sie werden hoffentlich immer jemanden haben, an den sie sich in der Not wenden können.

Aber was ist, wenn Gott schweigt? Der neunjährige Benjamin sagt: „Ich glaube nicht an Gott. Wie kann er zulassen, dass so viele Kinder sterben müssen?“ Was sollen die Eltern dann ihrem Kind sagen? Vielleicht müssen sie gar nichts sagen, sondern erst einmal wahrnehmen, wie traurig und wütend Benjamin gerade ist. Und ihrem Sohn irgendwann erzählen, warum Gottes Versprechen zuallererst eine persönliche Erfahrung ist.

Gut, wenn diese Erfahrungen auch für andere anschaulich werden.

Wie zum Beispiel in der Dorfkirche in Rohrbeck, in der Oskar, Paul und Elisabeth getauft werden. Denn diese 700 Jahre alte Kirche hat sich einen Schatz bewahrt, mit dem einst viele evangelische Kirchen ausgestattet waren: Einen Taufengel. Vermutlich seit 1688 schwebt er über den Köpfen der Gemeinde. In der Hand hält er eine Taufschale aus Messing. Jedes Mal, wenn Kinder getauft werden sollen, wird er über eine Seilwinde herabgelassen. Erwachsene und Kinder sollen spüren: Dieser Bote Gottes kommt nahe.

 

Ein neuer Anfang

Vor allem in der Barockzeit stattete man die nördlichen evangelischen Kirchen Deutschlands mit Taufengeln aus. Krieg, Hunger und Pest liessen die Dörfer ausbluten. Allein in Stralsund starben vom August 1710 bis April 1711 etwa 7000 Menschen. Gott schien unendlich fern. Aber waren da nicht noch seine Engel? Garanten für Beistand und Schutz? In einem alten Kirchenlied „zu Zeiten der Pest zu singen“ heißt es: „Gerechter Gott, wir klagen Dir, dass unsere großen Sünden die wahre Ursach sind, dass wir die schwere Straf empfinden. Befiehl dein´n Engeln, dass sie hinfort uns auf den Händen tragen, auf unserm Weg, an allen Ort, befreit von allen Plagen.“

Heute würden wohl nur wenige Christen und Christinnen von schwerer Krankheit und Not auf die Größe der eigenen Sünden schließen. Das ist gut so. Denn die Barmherzigkeit Gottes ist größer als seine Gerechtigkeit, das war die revolutionäre Erkenntnis Martin Luthers. Wobei Barmherzigkeit im biblischen Sinn alles andere ist als herablassende Milde. Im Gegenteil. Das ursprüngliche hebräische Wort ist eng verwandt mit dem Wort „Mutterschoß“, als der Ort unseres Körpers, wo neues Leben heranwächst. Und das genau schildern die biblischen Geschichten von Gottes Barmherzigkeit: Sie ermöglichen einen neuen Anfang. Jederzeit.

Das sollen Kinder, die in der Dorfkirche von Rohrbeck getauft werden, mit allen Sinnen wahrnehmen: Gottes Engel sollen sie behüten auf all ihren Wegen. Und sie Gottes Barmherzigkeit spüren lassen, wenn sie neue Wege gehen.

26.06.2017
Marianne Ludwig