Ausgeliefert

Wort zum Tage
Ausgeliefert
28.04.2015 - 06:23
30.03.2015
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit

Das Titelbild zieht mich in das Innere eines Flugzeugs. Mein Blick fällt aus dem winzigen Fenster der Kabine auf ein Alpenpanorama. Nur ein Wort steht unter diesem Titelfoto des Spiegelmagazins: Ausgeliefert! Ein Wort, das alles sagt. Man weiß genau, was gemeint ist, ja schlimmer noch: Man fühlt sie förmlich: die Enge im Flugzeug, die Panik und Todesangst.

 

Hilflos ausgeliefert zu sein – das ist einer der schrecklichsten Seelenzustände, die wir kennen. Wir erwachen mit diesem beklemmenden Gefühl schweißgebadet aus unseren Albträumen. Und manchmal wird aus Albträumen schreckliche Wirklichkeit.

 

Ausgeliefert – das war auch Isaak, der so lange heiß ersehnte Sohn von Erzvater Abraham. Die Geschichte seiner von Gott angeordnete Opferung durch den eigenen Vater gehört zu den erschreckendsten und befremdlichsten Texten der Bibel: Abraham, so erzählt es das Buch Genesis, soll Hand anlegen an den, der ihm am liebsten ist: den eigenen Sohn. Und Abraham? Der nimmt seinen Sohn, nimmt den Esel, spaltet Holz und geht los. Isaak ist vollkommen ahnungslos. Er freut sich über einen unverhofften Ausflug an der Seite seines Vaters, dem er bedingungslos vertraut. Und Abraham wiegt ihn in Sicherheit. Bis das grausame Ziel klar vor Augen erscheint. Es gibt keinen Ausweg: Der Berg ist erreicht. Der Opferaltar schnell errichtet, das Holz geschichtet. Da legt Abraham Hand an seinen eigenen Sohn. Er drückt ihn auf die Holzscheite und bindet ihn. Dann greift er zum Messer.

 

Wann hat Isaak gemerkt, dass dies kein harmloser Ausflug war, sondern ein geplanter Weg in den Tod? Als Abraham Isaak auf das Holz legt und ihn fesselt? Als der Vater schließlich in sein Gewand greift und das Messer zückt?

 

Grausamere Bilder gibt es kaum: Ein Flugzeug rast auf eine Felswand zu – gesteuert von der Hand des Copiloten, dem die Sicherheit der Passagiere an Bord anvertraut war. Ein Vater zückt das Messer, bereit sein eigenes Kind zu töten. Für die Passagiere im Flugzeug gibt es keinen Ausweg. Auch nicht für Isaak. Er ist gefesselt. Er kann nicht weg.

 

Es sind zwei Worte, die diese archaische Geschichte eines Menschenopfers entscheiden und aus ihr eine Geschichte der Rettung machen. Eine Sekunde entscheidet zwischen Leben und Tod. Es ist ein Engel, der Abraham stoppt: Auf alten Bildern hält er Abrahams Hand mit dem Messer zurück. Manchmal ist es Gott selbst: eine Hand, die aus der Wolke kommt. Und es sind zwei hebräische Worte am Bildrand. Ein letztes Stoppschild, vor jeder Hand, die sich gegen anderes Leben erhebt. Seine Botschaft gilt bis heute: Ne tikra! Rühr ihn nicht an!

30.03.2015
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit