Der Apfelbaum

Wort zum Tage
Der Apfelbaum
28.02.2017 - 06:20
26.02.2017
Pfarrerin Marianne Ludwig

Martin Luthers Sprüche, Lieder und Gedichte werden bis heute zitiert. Manches wird ihm aber auch nur zugeschrieben. Wie zum Beispiel einer seiner bekanntesten Sprüche: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!“ Dieser Spruch ist jedoch erst kurz nach dem zweiten Weltkrieg bekannt geworden, als es in Deutschland um Wiederaufbau, offene Zukunftsfragen und Schrecken der Vergangenheit ging...

 

Aber er hätte auch gut zu Martin Luther gepasst. Für ihn war jeder Baum, jeder Garten wie ein offenes Buch, in dem er die Wunder Gottes ablesen konnte: Das Werden, das Wachsen und Fruchttragen, das Vergehen und Neuwerden. Als guter Seelsorger kannte er die Nöte seiner Mitmenschen. Deshalb gehörte für ihn die Hoffnung ins Zentrum des christlichen Glaubens. Nicht die Angst. Als er die Bibel ins Deutsche übersetzte, beschrieb er seine Erkenntnis so: „In den Worten 'Ich hoffe auf den Herrn' ist die Summe der ganzen christlichen Lehre enthalten, welche nicht im Augenschein, sondern im Hoffen beruht.“

 

Ein frisch gepflanzter Apfelbaum setzt diese Hoffnung ins Bild. Der Spruch vom Apfelbaum war der Wahlspruch meiner Mutter. Sie wuchs auf in einem Landgut in Thüringen. Die große Familie lebte von dem Garten mit seinen Obstbäumen und Gemüsebeeten. Auch nach dem Krieg war ihre Familie in der DDR geradezu darauf angewiesen. Dann wurden sie enteignet. Meine Mutter flüchtete in den Westen und fing – auf sich allein gestellt – von vorn an. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, der Traum von einer neuen Familie, von einem neuen Zuhause mit großem Garten, gab ihr die Kraft.

 

Jahre später gehörte dieser große Garten wieder zu ihrem Leben. Ähnlich erlebten es Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen in jenen Nachkriegsjahren. Sie alle haben ihre Träume von einer besseren Zukunft gehegt und gepflegt. In geduldiger, tagtäglicher Arbeit. Bis der Apfelbaum im Garten nicht nur gepflanzt war, sondern auch Früchte trug. Jeder einzelne Apfel erinnert an das, was war, was ist und was noch kommt.

 

Ich kaufe Lebensmittel heute im Supermarkt und vermutlich werde ich selbst nie einen Apfelbaum pflanzen. Aber der Spruch vom Apfelbaum begleitet auch mein Leben. Denn Angst ist kein guter Ratgeber, wenn es um Lebensträume geht. Der Boden, auf dem diese Träume wachsen, muss beackert werden. Dafür braucht man Hoffnung, Tatkraft und – ja – auch Gottes Segen.

26.02.2017
Pfarrerin Marianne Ludwig