Designerkataloge

Wort zum Tage
Designerkataloge
10.06.2017 - 06:20
09.06.2017
Pfarrer Eberhard Hadem

Durch Zufall las ich in einem Designkatalog für Büroinventar eine Anzeige für ein quadratisches Gerät, 23 x 23 cm breit und 5 cm hoch, mit einem geheimnisvollen Namen: The Sanctuary, auf Deutsch: ‚Das Allerheiligste‘. Ich habe etwas gestutzt, weil ich diesen Namen bisher nur für den kleineren, verborgenen Raum im jüdischen Tempel kannte, der durch einen Vorhang abgegrenzt war vom großen Hauptbau des Tempels. Der Raum selbst war komplett leer, kein Bild, kein Symbol, einfach nichts an Inhalt. Nur in einem solchen Raum konnte man sich vorstellen, Gott zu begegnen. Einmal im Jahr durfte allein der Hohepriester hinein um zu Gott zu beten. Das Allerheiligste war ein besonderer Ort.

 

Tja, und jetzt lese ich im Designkatalog vom ‚Allerheiligsten’. Die kleine Box hält – so sagt es der Katalog – die elektronische Welt am Laufen. Unter einem Samtboden verborgen finden sich alle möglichen Anschlüsse für mehr als 1500 verschiedene Geräte gängiger Marken, ob Handy, Tablet, iPod, Kamera o.a., die man dort anschließen und aufladen kann. ‚Das Allerheiligste‘ ist also eine elektronische Universal-Ladestation!

 

Im ersten Moment war ich entrüstet und dachte: Wie kann man eine Universal-Ladestation nach dem Ort der besonderen Begegnung mit Gott im jüdischen Glauben nennen? Dann aber dachte ich: Eigentlich hat diese Designfirma zumindest verstanden, was das Allerheiligste auch ist – ein Ort zum Auftanken. Wenn wir einen Akku wieder aufladen, meinen wir zunächst die Batterie von elektronischen Geräten. Aber wir können auch von uns selbst sagen: ich muss meinen Akku wieder aufladen.

 

Der Katalog übersetzt Sanctuary übrigens mit ‚Zufluchtsort‘. Die Bibel kennt auch einen solchen Zufluchtsort – nämlich die Begegnung mit Gott in der Stille und im Gebet. Ein innerer Ort, wo jede und jeder von uns Gott selbst begegnen kann. Wo nicht andere Menschen über mich regieren und herrschen, auch nicht irgendwelche Dämonen der Vergangenheit, auch nicht die Katastrophen-Gedanken der Zukunft. Sondern wo ich allein der Ruhe und dem Frieden in Gott begegne, wo ich selber Ruhe finde und Frieden in mein Herz zieht. Selbst wenn es mir nicht gut geht, wenn ich nichts zu lachen habe, darf ich mich im Herzen Gott öffnen, darf mich ihm hinhalten, wie ich bin, damit sein Friede mich fülle.

 

Das Allerheiligste ist kein Organ noch irgendetwas in mir, sondern ‚ein Ort’, der sich mir manchmal öffnet im Gebet, in der bewussten Stille vor Gott, aber auch in einem Lied. Ein Ort, an dem ich in eine gute Distanz komme zu allem, was um mich herum geschieht. Im Nachhinein habe ich beim Betrachten dieser Anzeige von der Ladestation gedacht: Vielleicht sollte ich öfter in Designerkatalogen lesen.

 

(http://www.computerbild.de/artikel/cb-News-PC-Hardware-The-Sanctuary-Ladestation-9905481.html)

09.06.2017
Pfarrer Eberhard Hadem