Ein anderes Wort für Liebe

Wort zum Tage
Ein anderes Wort für Liebe
03.07.2017 - 06:20
26.06.2017
Pfarrer Michael Becker

S o o f – das sagt die Mutter immer zu ihrer Tochter. Die Tochter weiß lange nicht, was das bedeutet. Soof. Immer wieder sagt es die Mutter, erzählt das wunderbare Buch „So B. It“ von Sarah Weeks.[1] Die Mutter ist geistig behindert. Die zwölfjährige Tochter ist hellwach und will alles wissen. Jeder will wissen, wo er herkommt. Die Nachbarin hilft beim Fragen und Antworten. Die Mutter kennt nur dreiundzwanzig Wörter. Manche erkennt man, wenn sie spricht. Eins davon aber ist Soof. Das kennt keiner.

 

Eines Tages macht sich die Tochter auf den Weg. Sie fährt durch Amerika und sucht die Wahrheit über ihre Mutter. Die Tochter hat ein Bild gefunden. Darauf ist die Mutter zu sehen in einem Heim. Die Zwölfjährige besorgt sich Geld im Spielautomaten und fährt los. Nach vier Tagen ist sie da. Und erfährt die Wahrheit. Sie trifft einen Mann im Heim. Der sieht sie an und sagt: Soof. Der Mann ist ihr Vater. Auch er ist krank. Als er das Mädchen sieht, meint er die Mutter zu sehen. Die hat er geliebt. Sie heißt Sophia. Der kranke Mann sagt „Soof“. Weil er denkt, die Mutter zu sehen. Die liebt er immer noch. Sophia aber ist ein zu schweres Wort für einen geistig Kranken.

 

Soof – ein anderes Wort für Liebe. Auch geistig Kranke lieben. Und bekommen Kinder. Gesunde Kinder. Das lernt das Mädchen. Erst ist sie erschrocken. Dann ist sie glücklich. Sie hat ihren Vater gefunden. Der kennt sie nicht, kennt aber die Liebe. Die Liebe zu Sophia. Die hat er sich bewahrt. Zwölf Jahre lang. Liebe ist ein Wunder. Bei Kranken und Gesunden. Und es ist wunderbar, dass Menschen das aufschreiben. Damit wir staunen, welch ein Geschenk Liebe ist. Keinen Tag soll man auslassen, keine Gelegenheit verpassen. Zur Not soll man um die halbe Welt fahren, um Liebe zu finden. Und Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass kein Mensch ohne Liebe leben kann. Das sagt sich leicht. Oft ist Liebe mühsam. Oder sieht nicht nach Liebe aus. Ist aber trotzdem da und macht glücklich, irgendwann. Wenn es heute etwas zu danken gibt, dann für die Liebe. Gottes größtes Geschenk. Egal, welche Worte sie hat. Egal, ob ich krank bin oder gesund. Die Liebe steht drüber. Sie hilft, dass wir uns zurechtzufinden im Leben.

 

[1] Sarah Weeks:  So B. It,  Hanser Verlag München Wien

26.06.2017
Pfarrer Michael Becker