Es ist mir egal!

Wort zum Tage
Es ist mir egal!
05.08.2016 - 06:23
05.08.2016
Pastor Diederich Lüken

Nirgendwo sonst wird so wirkungsvoll und kenntnisreich gestritten wie in den Familien. Man kennt die Schwachstellen, man weiß, wo man angreifen kann, man weiß, wo der andere besonders gereizt reagiert. Ein Wort gibt das andere, eine Boshaftigkeit übertrifft die andere, der eine wird zynisch, die andere zeigt sich verletzt. Eheleute streiten sich, Eltern streiten sich mit den Kindern, erwachsene Kinder streiten untereinander. Manchmal sitzen sie dann vor einem Fachmann für das gute Streiten, sei es ein Psychotherapeut, ein Coach oder auch ein Pastor. Der bemüht sich dann nach Kräften, jeden zu Wort kommen zu lassen, Verletzungen zu benennen und Emotionen zu klären. Das gelingt oft auch, aber nur so lange, bis einer der beiden sagt: „Das ist mir doch alles ganz egal!“ Damit hört der Streit meistens auf, und die Leute gehen schweigend nach Hause – nicht deswegen weil sie sich versöhnt hätten. Sie haben sich einfach nichts mehr zu sagen. Ihre Beziehung ist hier gerade gestorben. Denn solange noch Gefühle im Spiel sind: Enttäuschung, Verachtung, ja, sogar Hass, solange ist noch Hoffnung, dass die Menschen wieder zueinander finden und weiter miteinander leben können. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass; ein antiker Dichter sagt sogar: „Hassen und lieben zugleich muss ich. Warum, fragst du? Ich weiß es nicht; ab er ich spüre es und es quält mich“ (Catull, 84-54 v. Chr.). Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit. Wenn ich nicht mehr spüre oder nicht mehr spüren will, wie meine Empfindungen mich freuen oder quälen, wenn der andere mir gleichgültig geworden ist, dann ist etwas gestorben; und an die Stelle von Hitze und Kälte tritt langweilige Lauheit. Elie Wiesel, der vor ein paar Wochen verstorbene jüdische Publizist, hat gesagt: „Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses.“ Ich denke dabei sofort an die harten Sätze, die der biblische Seher Johannes im Auftrag Gottes niederschreibt: „Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist, und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde“ (Offenbarung 3,15f.). Damit ist das Urteil über die Gleichgültigkeit gesprochen. Wenn aber unter der Asche noch Glut zu finden wäre, könnten die unter der Gleichgültigkeit erstorbenen Gefühle wieder aufleben. Das wäre jede Mühe wert.

05.08.2016
Pastor Diederich Lüken