Geschichten ohne Ende

Wort zum Tage
Geschichten ohne Ende
06.01.2018 - 06:20
16.12.2017
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
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Ich hasse Geschichten ohne richtiges Ende: ein Krimi, wo der Mörder nicht gefasst wird, ein Tatort in zwei Teilen, ein Märchen, das ohne den beruhigenden Satz endet: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…

 

Von den Gebrüdern Grimm stammt so ein Märchen. Als Kind hat es mich empört. Verzweifelt habe ich im Buch die Seiten umgeblättert, weil ich mir sicher war, die Geschichte ginge an einer anderen Stelle des Buches weiter. Aber Fehlanzeige! Das Märchen vom goldenen Schlüssel endet mit einem einzigen Fragezeichen. Es ist ein Wintermärchen: Ein Junge findet im Schnee einen goldenen Schlüssel. Und sucht von da an nach dem passenden Schloss. Er gräbt im Schnee und findet endlich ein eisernes Kästchen. Er steckt den Schlüssel ins Schloss, dreht ihn um und – "nun müssen wir warten, bis er vollends aufgeschlossen und den Deckel aufgemacht hat, dann werden wir erfahren, was für wunderbare Sachen in dem Kästchen waren."

 

Heute geht ein anderes Wintermärchen zu Ende: Die Weihnachtsgeschichte endet mit der Erzählung von den drei Weisen aus dem Morgenland. Sie folgen dem Stern auf der Suche nach dem neugeborenen König. Sie finden ihn im Stall von Bethlehem, und dann packen sie ihre wertvollen Geschenke aus: Gold, Weihrauch, Myrrhe. Das alles liegt in ihren Schatzkästchen. Mit dem 6. Januar endet das Weihnachtsfest. Doch die Geschichte geht weiter: Die Weisen aus dem Morgenland kehren wieder um, ziehen zurück in ihre Heimat. Das Kostbarste in ihrem Leben haben sie mit dem Kind in der Krippe gefunden. Die Heilige Familie bricht auf. Sie flieht vor König Herodes. Die Geschichte Jesu hat damit gerade erst begonnen, und sie wird weitererzählt bis zum heutigen Tag.

 

Heute leuchtet noch einmal hell der Stern über der Krippe. Zu Beginn des neuen Jahres lädt er uns ein, ihm zu folgen, noch einmal an der Krippe zu stehen und zu schauen. Und dann? "Nun müssen wir warten, bis er vollends aufgeschlossen und den Deckel aufgemacht hat, dann werden wir erfahren, was für wunderbare Sachen in dem Kästchen waren."

 

Die Weihnachtsgeschichte – sie ist so etwas wie der Schlüssel auf einer großen Suche. Gott wird Mensch – das war die Botschaft zu Weihnachten. Und nun? Werde ich auch wahrer Mensch? Was ist das Schönste, das Wichtigste, das Kostbarste in meinem Leben? Wonach richte ich mein Leben aus? Und wie komme ich an mein Ziel?

 

Es ist gut, wenn manche Geschichten vorläufig noch offen und mit einem Fragezeichen enden. Damit wir die Antwort selber finden. So wie die Weisen aus dem Morgenland das Kind im Stall und so wie der Junge im Märchen das Kästchen im Schnee.

16.12.2017
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit