Glauben und Lieben

Wort zum Tage
Glauben und Lieben
09.06.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrer Thomas C. Müller

Religion und Glaube – für viele Menschen verbinden sich damit heute negative Gedanken. Sie meinen, dass der Glaube an Gott selbst die Wurzel für Intoleranz und Hass ist. Auch der von vielen Europäern hochgeschätzte Dalai Lama hat mit einem neuen Buch auf sich aufmerksam gemacht, das den Titel trägt: Ethik ist wichtiger als Religion. „Nach meiner Überzeugung“, so schreibt er, „kommt der Mensch ohne Religion aus, aber nicht ohne Ethik, ohne innere Werte.“

 

Ich denke anders darüber. Für mich gehören Ethik und Religion, das gute, gerechte Handeln und der Glaube zusammen. Das Neue Testament erzählt, dass ein Rabbi Jesus fragt: “Welches ist das höchste Gebot?“ Jesus antwortet: „Gott zu lieben aus ganzem Herzen und den Nächsten wie sich selbst, das ist das höchste Gebot.“ Diesem Doppelgebot der Liebe zufolge sind Glaube und Liebe zwei Seiten einer Medaille. Die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen lassen sich nicht auseinanderreißen. Und Jesus ist sich an dieser Stelle ganz und gar einig mit seinem Gegenüber, dem Schriftgelehrten, denn in ihrer heiligen Schrift heißt es: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. “ Kein Wunder also, dass der Rabbi, der nach dem höchsten Gebot fragt, Jesus für seine Antwort lobt: „Gott zu lieben, seinen Nächsten zu lieben, wie sich selbst,“ so sagt er, „das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer,“ das ist also mehr als alle äußerlichen Rituale.

 

Es gibt gemeinsame Wurzeln, die tragen. Wir können – trotz aller Unterschiede – ein ganzes Stück weit gemeinsam der Welt bezeugen, dass der Glaube im Kern Liebe ist.

 

Die Liebe zu Gott und dem Nächsten bestimmt noch lange nicht unsere persönliche und politische Wirklichkeit. Im Gegenteil, es scheint, als ob der Hass und die Anfeindungen sich wieder stärker Bahn brechen. Und auch die Religion und der Glaube selbst werden dazu missbraucht. Der sogenannte Islamische Staat mordet im Namen seines Gottes. Zur vermeintlichen Verteidigung des christlichen Abendlandes wird gegen Fremde und Flüchtlinge gehetzt. Jesus und der Rabbi – sie stehen beide gegen einen Missbrauch des Glaubens für Hass und Gewalt. Sie zeigen einen anderen Weg:

 

Gott zu lieben und seinen Nächsten zu lieben, wie sich selbst. Und ihre heilige Schrift erklärt weiter, brennend aktuell, worin diese Nächstenliebe besteht: „Wenn ein Fremdling in eurem Lande weilt, sollt ihr ihn nicht bedrücken.“

 

Das gemeinsame Zeugnis für das Gebot der Menschlichkeit aus Glauben ist dringlicher denn je. Das Festhalten an der gemeinsamen Wurzel aller, die das Wesen des Glaubens an den einen Gott verstanden haben: seien sie Juden, Christen oder Muslime.

11.01.2016
Pfarrer Thomas C. Müller