Ich bin ein Fremdling gewesen

Wort zum Tage
Ich bin ein Fremdling gewesen
documenta Nachlese 2
26.09.2017 - 06:20
20.09.2017
Angelika Obert

Ein Obelisk, das war im alten Ägypten ein Symbol für den Sonnengott Re. Ein Stein gewordener Strahl, der für die Verbindung von Himmel und Erde stand, für das göttliche Wirken in der Menschenwelt. Ich habe das nicht gewusst. Erst die documenta in Kassel hat mich veranlasst nachzugucken, was es mit den Obelisken auf sich hat. Denn auf dem Kasseler Königsplatz wurde ein Obelisk errichtet mit einer Inschrift aus dem Neuen Testament: „Ich bin ein Fremdling gewesen und ihr habt mich beherbergt“ steht da in vier Sprachen, auch in Türkisch und Arabisch, so dass die Zugewanderten es in ihrer Muttersprache lesen können.

 

Für mich ist das ein sehr vertrauter Satz, denn er gehört zu einem zentralen Text im Matthäusevangelium, dem sogenannten Gleichnis vom Weltgericht. Und es passt nun gut, dass er auf einem Obelisken steht, denn in diesem Gleichnis geht auch um die Verbindung von Himmel und Erde, um Gottes Wirken in der Menschenwelt. Wenn ihr nach Gott fragt, sagt Jesus, wenn ihr das richtige Leben sucht, dann sollt ihr nicht mehr nach oben schauen, sondern vielmehr nach unten – zu denen, die in eurer Hierarchie jedenfalls unten sind, zu den Bedürftigen, den Schwachen und eben auch den Fremden. Wenn ihr euch für sie öffnet, ihre Not lindert, dann kommt euch der Mensch gewordene Gott nah.

 

“Ich bin ein Fremdling gewesen und ihr habt mich beherbergt“ – den Gottessohn Jesus selbst. So steht es da und wird mit Härte auch noch einmal umgekehrt gesagt: Ihr, die ihr den Fremdling nicht beherbergt habt, ihr habt keinen Anteil an Gottes Reich.

So habe ich dieses Gleichnis vom Weltgericht immer wie ein Mahnung gehört, eine Herausforderung, hinter der ich oft genug zurückbleibe – und hinter der wir jetzt, wo es um die Geflüchteten geht, als Europäer erst recht zurückbleiben.

 

„Ich bin ein Fremdling gewesen und ihr habt mich beherbergt“ – ja, ich dachte wirklich, der Künstler, der den Obelisken auf den Königsplatz gestellt hat, wollte an unser christliches Gewissen appellieren. Und ich war überrascht zu lesen, dass es so gar nicht war. Olu Oguibe wollte in erster Linie „danke“ sagen all denen, die tatsächlich Geflüchtete aufgenommen haben. Danke, weil er selbst als Kind dem Bürgerkrieg in Biafra entkam und seine Familie Asyl in den Vereinigten Staaten fand. Danke nun auch den nicht wenigen Deutschen, die sich für die Geflüchteten engagiert haben.

 

Es ist komisch, aber dieser naheliegende Gedanke ist mir gar nicht gekommen: Dass all jene, die bei uns Schutz suchen, wahrhaftig auch dankbar sind, wenn sie ihn finden. Und so gesehen, sind sie dann gar nicht mehr das Riesenproblem, sondern eher ein Grund zur Freude. Wie schön, wenn es Menschen gibt, die mit Dankbarkeit an uns denken. Es fühlt sich nach richtigem Leben an.

20.09.2017
Angelika Obert