Lebensmantel Bibel

Wort zum Tage
Lebensmantel Bibel
08.07.2016 - 06:23
04.07.2016
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen

Es ist die Geschichte eines innigen Lehrer-Schüler-verhältnisses, die erzählt wird im 2. Buch der Könige. Das Leben des alten Propheten Elia geht zu Ende. Und Elisa, sein Lieblingsjünger, weicht nicht von seiner Seite. Als sie an den Jordan kommen, können sie nicht hinüber, weil das Wasser so hoch steht. Da schlägt Elia mit seinem Mantel auf das Wasser, mit dem gleichen Mantel, den er Elisa übergeworfen hatte, um ihn vom Pflügen mit den Rindern zu sich zu holen als Prophetenschüler. Elia schlägt aufs Wasser und sie gehen durch das Flussbett. Trockenen Fußes. Dann kommt der Todeswagen: ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen entführt den alten Propheten. „Und Elia fuhr im Wetter gen Himmel.“ Was dem Schüler bleibt von seinem toten Lehrer ist der Mantel. Er geht zurück, kommt wieder an den Jordan und tut, was sein Lehrer tat: er schlägt mit dem Mantel auf das Wasser. Und wieder teilt sich der Fluss, wie einst den Israeliten sich das Schilfmeer teilte. Elisa schreitet hindurch. Mit der Kraft und mithilfe des Mantels seines großen Lehrers. Er bleibt allein zurück und ist doch nicht allein. Der Geist seines Lehrers wird ihm Mut machen, der Mantel wird ihn wärmen und schützen und Wege ebnen. Ein Lebensmantel für Elisa.

 

Gott hat für jeden Menschen einen genäht, sagt der Theologe Fulbert Steffensky. Die biblischen Geschichten sind Gottes Lebensmäntel für uns, von den Toten an uns weitergereicht. „Man kann sich in sie hüllen, wenn das eigene Glaubenshemdchen gar zu kurz oder zerschlissen ist“ sagt er. (Das Magazin zum Lutherjahr 2015. Reformation – Bild und Bibel, S. 37) Ein wunderbarer Gedanke. Die Toten haben uns ihre Träume hinterlassen, ihre Lebenserfahrungen, ihre Ängste und ihre Liebe zum Leben. Ihre Freiheitskämpfe! Als ich vier Jahre nach meiner Auswanderung aus Siebenbürgen immer noch von Heimweh verzehrt wurde, sagte ein guter Freund: du darfst nicht immer zurückblicken, sonst erstarrst du wie Lots Frau. Als ich zum ersten Mal schwanger war, begleitete ich Elisabeth übers Gebirg, um Maria zu besuchen. Wie sehr bin ich Empfangende, wenn ich ein Kind erwarte. Alles verändert sich. Erst recht, wenn Gott in uns zur Welt kommen will. Und nun bin ich bei den zornigen Propheten angekommen, die sich gegen Unrecht und Gewalt mit der ganzen Kraft stemmen. Mit den Psalmen gebetet, im Buch der Offenbarung die zwölf Tore der heiligen Stadt im Himmel durchschritten.

 

Was wäre ich ohne diese Geschichten? Ja, sie wärmen mich, sie formen mich, sie machen mir Mut, sie helfen mir, trockenen Fußes durch tiefe Wasser zu gehen. Mein Lebensmantel, in den ich mich hülle, wenn mein eigenes Glaubenshemdchen zerschlissen ist.

04.07.2016
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen