Montparnasse

Wort zum Tage
Montparnasse
28.11.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel

Auf dem Friedhof Montparnasse in Paris habe ich Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir einen Besuch abgestattet. Da liegen die beiden nun dicht beieinander, bedeckt von einem schweren Steinquader. Wie ein altes Ehepaar liegen sie da, ich musste schmunzeln.

 

In meiner Jugend waren wir schwer beeindruckt von  Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Sie sahen sich als ein Paar und waren doch ganz ungebunden. Beide hatten  ihre eigene Wohnung,  beide lebten ihr eigenes Leben und auch in ihren Liebesbeziehungen gaben sie sich viel Freiheit. Und doch zweifelte niemand daran, dass die beiden zusammen gehören.

 

Welch ein Skandal das in den dreißiger und vierziger Jahren war, das konnte ich selbst in den sechziger Jahren noch ahnen. Im Westen Deutschlands gab es einen Kuppelparagraphen, und die meisten Vermieter bestanden auf einem Trauschein, wenn sich ein Pärchen bei ihnen einmieten wollte. In der DDR gab es die Wohnungswirtschaft, die hatte zwar keine moralischen Bedenken, wenn zwei junge Leute zusammenziehen wollten, doch dort scheiterten alternative Lebensmodelle an der  Wohnungsnot.

 

Es gab Verheiratete, es gab Verwitwete und es gab Alleinstehende, das waren die üblichen Lebensmodelle, und die waren so zementiert, dass sie bis heute auf vielen Formularen abgefragt werden. Das waren auch die Lebensmodelle, mit denen ich aufgewachsen bin. Sartre und die Beauvoir begeisterten uns deshalb so sehr, weil sie uns zeigten, dass mehr möglich ist, als uns von den Eltern und Großeltern vorgelebt wurde.

 

Es ist erstaunlich, was sich getan hat seit dieser Zeit. Es gibt inzwischen unzählige Lebensmodelle. Selbst gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Pfarrhäusern sind weithin akzeptiert. Über ein Lebensmodell wie Sartre und Beauvoir es praktizierten, verliert heute  kaum jemand mehr ein Wort.

 

Die Freiheit ist da, aber nicht immer gelingt es den Menschen, in dieser Offenheit verbindliche Beziehungen aufzubauen und darin glücklich zu werden. Ich selbst jedenfalls kenne kein anderes Beispiel dafür, dass eine so offene Beziehung wie die zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir am Ende durch eine gemeinsame Grabstelle gekrönt wird.

 

Meine Frau und ich haben einen Blumenstrauß auf ihrem gemeinsamen Grab niedergelegt und dankbar ihrer gedacht. Über Jahrhunderte galt ein konservatives Familienbild als Ausdruck rechter Frömmigkeit, bis sich die Einsicht verbreitete, dass es in unseren Beziehungen auf die Liebe ankommt, auf nichts sonst. Verbindlichkeit entsteht aus der Liebe, sie muss nicht eingeklagt werden.

 

25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel