Thomanerchor

Wort zum Tage
Thomanerchor
20.01.2018 - 06:20
10.01.2018
Pfarrerin Kathrin Oxen
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Untergebracht sind sie zu dritt in einem Zimmer. Nach der Schule essen sie schnell zu Mittag, dann folgen zwei Stunden Chorprobe, Stimmbildung oder Instrumentalunterricht. Ihre Hausaufgaben machen sie unter Aufsicht nach dem Abendbrot. Heute haben sie nicht frei, sondern singen im Gottesdienst, wie an fast jedem Wochenende und an allen kirchlichen Feiertagen. Und das Härteste: Computer sind gar nicht und Smartphones nur sehr eingeschränkt erlaubt.

 

Was sich anhört wie eine Reportage aus einer – sagen wir mal sehr disziplinierten – Erziehungsanstalt, ist der Alltag der Jungen, die in Leipzig im Thomanerchor singen. Knapp 90 Jungen zwischen 9 und 19 Jahren leben dort im Internat und besuchen die Thomasschule gleich gegenüber.

Fast jede Woche gestaltet der Thomanerchor die Gottesdienste in der Thomaskirche, in denen meistens eine Bach-Kantate aufgeführt wird. Und wer sie in der immer gut besuchten Kirche singen hört, fühlt sich dem Himmel ein Stück näher. Egal, ob die Jungs sich kurz vorher noch gestritten hatten oder beim Fußball gefoult – wenn sie singen, klingt es klar und harmonisch.

 

Ich habe einige der Jungen aus dem Thomanerchor kennen gelernt. Ohne ihre Konzertkleidung, in Jeans und Turnschuhen sieht man keinem von ihnen auf den ersten Blick an, dass sie zu einem der berühmtesten Knabenchöre der Welt gehören. Und wenn man sie fragt, warum sie das alles auf sich nehmen, zucken sie mit den Achseln und können es einem gar nicht genau sagen. Die Musik und die Gemeinschaft im Chor, antworten die meisten.

 

Ich denke: Diese Jungen erleben, dass sie etwas gut können und dass die Erwachsenen ihre Begabung ernstnehmen, auch wenn sie erst in der vierten Klasse sind. Ihre Stimme wird gehört, nicht nur bei der Stimmbildung und in den Chorproben, sondern auch in einem übertragenen Sinn. Bei jedem Auftritt erleben sie an den Reaktionen der Zuhörer, dass sich ihre anstrengende Probenarbeit lohnt.

 

Ein Talent darf man nicht vergraben. Es lohnt sich, daraus etwas zu machen. Jesus erzählt dazu die Geschichte von anvertrauten Talenten. In der Bibel ist das eigentlich nur eine Münzeinheit. Das Geld soll nicht irgendwo vergraben werden. Aber Luthers Übersetzung deutet schon in die Richtung, in die es geht.

 

Ein Talent nutzen heißt, etwas aus dem machen, was einem gegeben ist, ob es nun eine musikalische Begabung oder etwas anderes ist. Sich nicht mit Jeans und Turnschuhen und Smartphone allein zufriedengeben. In der Geschichte, die Jesus erzählt, haben nicht alle gleich viele Talente. Und auch nicht jeder Junge kann im Thomanerchor mitsingen. Aber ich bin sicher, jeder Mensch hat zumindest ein Talent bekommen. Daraus lässt sich etwas machen!

10.01.2018
Pfarrerin Kathrin Oxen