Von der Kraft der Vergebung

Wort zum Tage
Von der Kraft der Vergebung
18.04.2015 - 06:23
30.03.2015
Pastor i.R. Dietrich Heyde

Er befreite die Schwarzen, einte das Land und wurde zum Vorbild für Millionen in aller Welt – Nelson Mandela (1918-2013). Sein Kampf gegen die Apartheid in Südafrika wurde zu einer weltweiten Menschenrechtsbewegung. Viele Landsleute nahmen ihn als Erlöser und Heilsbringer wahr: Die Schwarzen, weil er sie aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt hatte. Die Weißen, weil er auf Rache verzichtete und ihnen die Hand zur Versöhnung reichte.

 

Das Buren-Regime hatte Mandela 1964 zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt und nach Robben Island verbannt, eine Gefängnisinsel im Atlantik. Erst 1990, also nach mehr als zweieinhalb Jahrzehnten, beugte sich das Apartheid-Regime internationalem Druck und ließ ihn frei. Südafrika stand ein Umbruch bevor. Ein Bürgerkrieg drohte. In dieser kritischen Phase vermied es Mandela, der 1995 (im Alter von 77 Jahren) zum Präsidenten in Südafrika gewählt wurde, als Sieger aufzutreten. Anstelle von Vergeltung beschwor er den Traum einer Regenbogennation, einer multiethnischen Gesellschaft, in der niemand mehr diskriminiert werden dürfte. Auch nicht die Weißen nach allem, was sie den Schwarzen angetan haben. Mandela vertrat eine Versöhnungspolitik, die auf Wahrhaftigkeit und Vergebung zielte. So vollbrachte er das Wunder, sein von der Apartheid hasszerfressenes Land zur Demokratie zu führen und den Rassenwahn zu überwinden.

 

Was machte diesen Mann so furchtlos und unbeugsam? Woher nahm er die Kraft zur Versöhnung und Vergebung? Immerhin hatte man ihm 25 Jahre seines Lebens gestohlen. Fünfundzwanzig kostbare Jahre! Warum haben ihn nicht im Gefängnis Hass und Rachsucht zerfressen?

 

Fragen, auf die es vielleicht keine letztgültigen Antworten gibt. Ob Nelson Mandela die Gedanken von Rache und Vergeltung überwinden konnte, weil er sein Geschick Gott anheim stellte, „der da recht richtet“, wie es in der Bibel heißt (Römer 12,19) – weiß ich nicht. Aber ablesbar ist an ihm, welche Kraft in der Vergebung steckt, ja allein schon in der Haltung, nicht zu vergelten.

 

Eine solche Einstellung wehrt nicht nur der Eskalation der Gewalt. Sie versteht es, aus Feinden Freunde zu machen. Ihr wächst auf wunderbare Weise die Kraft zu, andere Menschen auch mit dem zu tragen, worin sie schuldig geworden sind. „Vergeben“ meint ja nicht „Vergessen“. Wohl aber die Bereitschaft, keinen Menschen auf Vergangenes festzulegen, sondern jedem (ohne Ausnahme) die Chance eines Neuanfangs zu geben und ihm Zukunft zu eröffnen. Vergebung ist eine Art „Wunderwaffe“ – die einzige, die nicht zerstört, sondern aufbaut und Frieden schafft.

30.03.2015
Pastor i.R. Dietrich Heyde