Was ist normal?

Wort zum Tage
Was ist normal?
20.11.2017 - 06:20
01.11.2017
Pfarrerin Angelika Scholte-Reh
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Ich stehe auf dem Friedhof, grüße in Gedanken die Freundin, an deren Grab ich stehe. Mir fehlt sie, ihre guten Worte, ihr ansteckendes Lachen. Ich glaube: bei Gott hat sie nun ein neues Zuhause gefunden. Da sind aller Schmerz und alle Zweifel vergangen. Sie hat Frieden gefunden und neue Lebendigkeit. Das tröstet mich.

 

An einem Grab ganz in der Nähe stehen ein Kind und seine Oma. Sie haben einen Blumenstrauß auf das Grab gestellt. Der kleine Junge ist ganz nachdenklich. „Opa sieht doch von den Blumen nur die Stiele!“ Die Frau schweigt, ringt nach Worten, sagt dann: „Opa ist doch tot. Der sieht nichts mehr!“ Und als die Trostlosigkeit ihrer Worte bei ihr selbst ankommen, fügt sie hinzu: „Der Opa ist jetzt im Himmel!“ und zeigt in die Wolken.

Einige Tage später ist die Frau wieder da auf dem Friedhof und wir kommen ins Gespräch. Ihr Enkelkind ist gerade in die Schule gekommen. Ob das Kind und seine Eltern kirchlich sind, frage ich nach einer Weile. Ihre Antwort ist spontan „Nein, die sind normal!“ und wie entschuldigend „… also nicht religiös!“

 

Was ist normal? Der Blick in den Duden zeigt folgende Definition: „der Norm entsprechend; vorschriftsmäßig“. Wessen Vorschrift entspricht diese „Normalität“?

 

Ist ein Leben ohne Glauben normal? Ich finde, die kleine Szene zwischen dem Kind und seiner Oma am Grab spricht eine andere Sprache. Für den Jungen ist – wie für fast jedes Kind in diesem Alter – ganz klar, dass der Tod nicht das Ende ist. Und seine Oma spürt nach ihrer ersten „der Norm entsprechenden“ Antwort, dass diese nicht trägt, trost- und hoffnungslos wirkt. Der Himmel, von dem sie dann spricht, bleibt leer, ein Kindermärchen, wie der Osterhase und der Weihnachtsmann.

 

In meiner Kindheit war es „normal“ zu glauben und Gott gehörte ganz selbstverständlich zu meinem Leben. So konnte ich mit Vertrauen ins Leben gehen. Und ich wusste, was ich – Gott sei Dank – immer noch weiß: Gottes Liebe umgibt mein Leben, an jedem Tag.

 

Wenn das Leben gelingt, sage ich Gott „Danke!“, wenn ich mich allein fühle, ist Gott da, wenn ich mal nicht mehr weiter weiß, falte ich die Hände, bitte um Hilfe und erfahre oft, wie Gott die Dinge fügt. Und wenn ich über den Tod nachdenke, weiß ich: bei Gott hat unser Leben eine Zukunft und die, die gestorben sind, haben bei Gott ein neues Zuhause. Im Grab bleiben eben nur die sterblichen Überreste. Was diesen Menschen ausmacht, seine Seele, ist bei Gott.

 

01.11.2017
Pfarrerin Angelika Scholte-Reh