Was vom Leben übrig bleibt

Wort zum Tage
Was vom Leben übrig bleibt
01.04.2015 - 06:23
30.03.2015
Pfarrer Michael Becker

Am Ende hat er noch einen Wunsch: „Gib, dass ich meine Johanna wiedersehe.“ Johanna war seine Frau. Vier Jahre vor ihm ist sie gestorben. Da beginnt die Einsamkeit des Otto von Bismarck, der heute vor 200 Jahren geboren ist. Alles hat er erreicht. Hoch geehrt, beliebt, beschenkt mit Gütern und Wäldern, bejubelt im von ihm geeinten Deutschland. Am Ende ist es dann ein Wunsch an Gott, der ihm vom Leben übrig bleibt: „Gib, dass ich meine Johanna wiedersehe.“ 47 Jahre währte das Glück dieser Ehe. Unzählige Briefe hat er ihr geschrieben, schöne Briefe, edle Briefe. Wenn er im Leben geliebt hat und geachtet; wenn jemand seine Seele reich gemacht hat, dann seine Frau Johanna.

 

Dabei ist es ein reiches, manchmal lautes, oft trickreiches Leben. Otto von Bismarck kann verhandeln, auch schwindeln und seinen Willen über viele Umwege durchsetzen wie kein Zweiter. Er dient Königen und Kaisern. Viele meinen aber, die Herrscher dienten eher ihm. Der letzte Kaiser, der junge Wilhelm II., hat seinen Kanzler Bismarck dann entlassen. Mit dieser Niederlage beginnt sein größter Ruhm. Nach dem Tod Bismarcks geht es weiter, in heute unvorstellbaren Maßen. 173 Bismarcktürme stehen in Deutschland, einer sogar in Chile. 10.000 Orte gibt es weltweit, die einen Bezug zu Bismarck haben. Über 700 Straßen sind nach ihm benannt. Welch ein Ruhm für den Kanzler der Einheit.

 

Und was bleibt ihm am Ende des Lebens, mit 83 Jahren? Der eine, berührende Wunsch an Gott: „Gib, dass ich meine Johanna wiedersehe!“ Vier Jahre ohne sie sind ihm vier Jahre zu viel. Er isst zu viel, trinkt zu viel und bewegt sich zu wenig. Der große Bismarck sitzt in Friedrichsruh bei Hamburg und sehnt sich nach dem Himmel. Nicht wegen des Himmels, sondern wegen seiner Frau, der vertrauten und geliebten, der Mutter ihrer drei Kinder, die er wiedersehen will. Nicht viel, was vom Leben übrig bleibt, vom ruhmreichen Bismarck-Leben. Und doch eine gewaltige Hoffnung: Dass wir einander wiedersehen. Wie einst oder anders. Dass wir einander wieder lieben oder endlich verzeihen, was gewesen ist. Und dass wir hören dürfen, wie der eine zu uns sagt: Wahrlich, heute wirst du mit mir im Paradies sein.

30.03.2015
Pfarrer Michael Becker