Alles hat seine Zeit

Alles hat seine Zeit
Pfarrer Gereon Alter
05.03.2016 - 23:55

"Können Sie das wohl noch mal machen?" Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen. Ich hatte gerade ein Kind getauft. Die Eltern, die Paten, alle standen freudestrahlend vor mir. Da kam dieser Satz aus dem Hintergrund: "Können Sie das wohl noch mal machen?" Eine Kamera hatte nicht rechtzeitig ausgelöst. Nun, das Kind war getauft und eine zweite Taufe ist zumindest in der katholischen Kirche nicht üblich. "Aber Sie können doch noch mal so tun, als ob!" Noch bevor ich darauf antworten konnte, hatte sich zum Glück eine Dame bereit erklärt, dem verunglückten Fotografen ihre Bilder zur Verfügung zu stellen, so dass das Problem gelöst war.

Aber dieser Satz ist mir noch lange nachgegangen: "Sie können doch noch mal so tun, als ob." Der entscheidende Augenblick ist verpasst, aber man kann ja einfach noch mal so tun, als ob da nichts gewesen wäre. Das Bild, der Anschein, die Illusion sind wichtiger als die Wirklichkeit – zu der es eben auch gehört, dass sie einmalig und vergänglich ist. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr Beispiele fallen mir
 

dafür ein. Die Faschings- und Karnelvalsumzüge etwa, die morgen und am nächsten Sonntag nachgeholt werden, weil es am Rosenmontag vielerorts zu stürmisch war. Kann man machen. Aber seien wir ehrlich: so richtig Rosenmontag wird es morgen doch nirgends werden.

Oder nehmen Sie unsere Essgewohnheiten. Wir befinden uns noch mitten im Winter, essen aber mitunter so, als seien wir im Herbst und im Frühling zugleich: Pfifferlinge als Vorspeise, Erdbeeren als Nachtisch. Die Lebensmittelindustrie macht's möglich. Ich möchte gar nicht alles zu jeder Zeit haben können. Ich finde es viel spannender, den natürlichen Rhythmen des Lebens zu folgen. Ich möchte mich auf etwas freuen können, das erst noch kommt. Und ich möchte mich an etwas erinnern können, das es so, wie es war, nicht noch einmal geben wird.

Ja, ich bin der Überzeugung, dass mein Leben erst dadurch, dass es für alles eine bestimmte Zeit gibt, wirklich spannend und lebendig wird. Im Grunde ist das eine alte Weisheit. Schon in der Bibel wird sie beschrieben: "Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit. Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben (…) eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen (…) eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden" (vgl. Koh 3,1-8).

Was ist jetzt gerade an der Zeit? Vor welche Herausforderung stellt mich das Leben jetzt? Das erkennen und mich dann ganz und gar darauf einlassen: Das scheint mir der Schlüssel zu einem lebendigen Leben zu sein. Nicht so tun, als ob das Vergangene noch oder das Künftige schon zu haben wäre, sondern ganz im Hier und Jetzt leben: Wenn ich lache, dann lach' ich; wenn ich weine, dann wein' ich. Für mich ist es jetzt an der Zeit, ins Bett zu gehen. Und morgen nehme ich den neuen Tag dann so, wie er kommt, und lasse mich überraschen, was er mir bringt.