Bestürzung, Trauer, Gebet!

Bestürzung, Trauer, Gebet!
Reinhard Kardinal Marx
23.07.2016 - 23:30

„Bestürzung, Trauer, Gebet!“

 

Stunden des Entsetzens, der Trauer und des Erschreckens liegen hinter uns. Dass die gastfreundliche und lebensfrohe bayerische Landeshauptstadt München durch eine solch schreckliche Gewalttat getroffen wurde, hat weit über Bayern und Deutschland hinaus weltweit Erschütterung und Anteilnahme hervorgerufen.

Ich fühle mich besonders nahe den Angehörigen und Freunden, die um ihre Verstorbenen trauern.

Den Verletzten gilt meine besondere Verbundenheit. Ich danke allen, die in den vergangenen Stunden ihren so wichtigen Dienst getan haben: Der Polizei, den Rettungsdiensten, Ärzten und Pflegern, Seelsorgern und Psychologen.

Wir hoffen und beten, dass die Verwundeten bald wieder nach Haus zurückkehren können.

Nach Hause, das heißt ja auch: Zurück in meine gewohnte Welt der Familie, des Arbeitsplatzes, der Heimat, in der wir alle miteinander leben. Aber können wir einfach so zurückkehren in unseren Alltag nach solchen schrecklichen Ereignissen wie in Nizza, Würzburg und jetzt München? Und das sind ja nur Städtenamen aus einer Liste unzähliger Orte, an denen in den letzten Jahren Terroranschläge und furchtbare Gewalttaten geschehen sind. Woher kommt diese sich scheinbar endlos weiter entwickelnde Entfesselung der Gewalt und des Hasses?

Als Christ sage ich: Die tiefste Ursache der Sünde, also auch der Gewalt und des Hasses, ist die Angst! Es ist die Angst vor dem Anderen, der mir scheinbar mein Leben streitig macht. Die verschiedenen Ideologien, die sich immer wieder in Gewaltexzessen austoben, kommen in unterschiedlichen Verblendungen daher: Politisch aufgehetzt von rechts und von links, religiös untermauert und befeuert wie im radikalen Islamismus unserer Zeit, der sich letztlich gegen die gesamte westliche Zivilisation richtet.

Ich bin überzeugt: Am Anfang dieser Gewalttaten steht die Angst vor dem Verlust der eigenen Lebenswelt, die absolut gesetzt wird. Deshalb müssen die anderen als Bedrohung, als Feinde gesehen und deshalb beseitigt, marginalisiert, unterdrückt oder sogar getötet werden. Konsequenterweise arbeiten der Terrorismus und auch sogenannte ideologische Einzeltäter und Amokläufer mit der Waffe der Angst.

Ihr Ziel ist, unsere Gesellschaft ganz real in Angst und Schrecken zu versetzen, so dass die Angst zur beherrschenden Grundstimmung wird und so unser gesellschaftliches Miteinander vergiftet. Denn Angst führt zu Misstrauen, zu Vorurteilen, zum Hass, zur Feindschaft innerhalb einer Gesellschaft und zwischen den Völkern, auch zwischen den Religionen.

Als Christen können und wollen wir es nicht zulassen, dass die Angst unser Leben beherrscht. Selbstverständlich muss ein geordnetes Gemeinwesen alles tun, um seine Bürger vor Gewalt und Unrecht zu schützen. Deshalb ein Wort des Dankes an alle Verantwortlichen in der Politik und der Polizei für diese Bemühungen. Aber ein guter Staat, ein gutes Gemeinwesen kann nachhaltig nur bestehen in einer Atmosphäre des Vertrauens, des Respekts, der Solidarität. Wenn wir nicht immer neu lernen - so verschieden wir sind in Traditionen, Weltanschauungen, Religionen und Konfessionen - miteinander und füreinander zu leben, werden die Terroristen und Gewalttätet weiterhin die Saat der Angst, der Gewalt und des Hasses ausstreuen. Dagegen werden wir als Christen aufstehen. Durch das Gebet zum Gott und Vater aller Menschen, durch das Zeugnis für das Evangelium in Wort und Tat, durch unseren Einsatz für alle Bedrängten, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion oder Hautfarbe. Sind wir als Christen naiv und unrealistisch mit einer solchen Haltung? Nein, denn die die Zukunft gehört nicht der Gewalt, dem Hass und dem Kampf gegeneinander, sondern der Hoffnung, dass die eine Menschheitsfamilie im gemeinsamen Haus der Erde Heimat findet.

Darum bete ich zum Gott und Vater aller Menschen am heutigen Abend.