Das Wort zum Sonntag

Das Wort zum Sonntag
Pastor Christian Rommert
19.06.2016 - 00:30

Wer jetzt noch wie sie vor dem Schirm sitzt, der muss Fußball sehr wahrscheinlich genauso lieben wie ich. Am liebsten würde ich alle Spiele der EM sehen. Andererseits wird mir der Spaß am Fußballgucken gerade tüchtig verdorben. Ein altes Problem ist wieder da: Prügelnde Hooligans. Mich frustriert diese Seite meines Lieblingssports. Mich frustriert die Tatsache, dass sich seit Jahren nichts an der Situation ändert. Das wurde mir klar, als im Fernsehen das Bild eines besonderen Stadionbesuchers gezeigt wurde. Ein Invalide. Stumm und auf einem Auge erblindet. Während des Auftaktspiels der Deutschen zeigten die Kameras: Daniel Nivel. Franzose. Ehemaliger Polizist. Opfer eines Hooliganangriffs während der WM in Frankreich – im Jahr 1998 (!!!). Die Täter damals: Deutsche. Nivel kam jetzt mit seiner Frau ins Stadion. Der DFB hatte ihn eingeladen. Es sollte wohl ein Zeichen sein. Und nun muss er erleben, dass sich anscheinend nichts geändert hat. In Marseille prügeln sich russische und englische Hooligans. In Lille machen deutsche Hooligans Jagd auf ukrainische. Und gleichzeitig sitzt Nivel stumm und gezeichnet auf der Ehrentribüne der Deutschen... Ein Friedensstifter? Einer, von denen Jesus in der Bibel einmal sagt „Glücklich - sind die Frieden stiften“? Ein Zeichen der Liebe und der Versöhnung? Mich hat das berührt. Doch von den deutschen Hooligans im Jahr 2016 zeigt sich niemand von dieser Geschichte beeindruckt. Liebe und Versöhnung? Darüber können die Gewalttäter nur lachen.

Bei Spielen meines Lieblingsvereins, zu denen ich oft und leidenschaftlich gern gehe, habe ich immer wieder mal mit einem ehemaligen Hooligan Kontakt. Wir haben uns angefreundet. Auch ihn konnte zu seinen schlimmen Zeiten niemand aufhalten. Das hat er mir irgendwann erzählt. Alkoholverbote? Tränengas? Polizei? Das habe ihn immer nur aufgestachelt. (...) Aber was war dann der Auslöser, mit der Gewalt aufzuhören? Sein erstes Kind kam zur Welt. Und mit diesem Häufchen Mensch in seinem Arm wurde ihm plötzlich klar: so kannst Du nicht weiterleben. Die Liebe zu seinem Kind machte ihn weich. Keine Strafe und keine Gesetzeshärte: Nichts war so wirksam wie diese Liebe. Das ist ein Einzelfall, aber einer, der mir Mut macht. Die anderen Hooligans, die weiterprügeln, müssen durch Polizei und Verbote an ihrem Gewaltrausch gehindert werden. Aber wird dadurch das Übel wirklich beseitigt? Kommt man dadurch an die Wurzel des Problems? Hilft Gewalt auch, wenn man einen Menschen innerlich ändern will? Die Botschaft Jesu lautet: „Nein!“ Durch Gewalt entsteht nicht plötzlich Frieden. Aber vielleicht durch Frieden stiften. (...) Obwohl uns unzählige Kriege gelehrt haben, dass wir mit Gewalt auch nicht weiterkommen, behaupten wir schnell, dass das, was Jesus hier vorschlägt, nicht lebbar ist. Aber warum eigentlich nicht? Gewalt entsteht durch Menschen, die Gewalt ausüben. Und Frieden? Frieden entsteht durch Menschen, die Frieden stiften.

Nivels Familie, sagte einmal, dass sie keinen Groll gegen Deutschland hegen würde, obwohl die Täter aus Deutschland kamen. Das ist ein erster Schritt aus der Gewaltspirale: Den Gedanken an Vergeltung vergessen.

Wie wäre es, wenn auch wir das ewige Spiel -„haust Du mich, haue ich Dich“ – durchbrechen. Wenn wir unsere Kinder so erziehen würden? Selbst, wenn wir meinen, dass die Wirklichkeit eine andere Sprache spricht? Wie wäre es, wenn wir zuhause damit anfangen würden. Statt Wut: Versöhnung. Statt Hass: Liebe. Statt Gewalt: Frieden stiften. Je mehr von uns mitmachen, desto besser. Klingt das zu schön, um wahr zu sein? Die Menschen, die das versuchen, können sich glücklich schätzen. Sie bewahren etwas Göttliches in sich.