Zum Vergessen!

Zum Vergessen!
spricht Stefanie Schardien aus Fürth
17.04.2021 - 23:45
26.03.2021
Stefanie Schardien

In dieser Woche saß ich auf einmal mittags in der Kirche. Ganz allein, vorn auf den Altarstufen, mit einer Kerze in der Hand. Das mach sogar ich als Pfarrerin nicht alle Tage. Da sitz ich also und denke an zwei Menschen, die ich gar nicht kenne. Das kam so:

Kurz vorher kam ein Anruf. Eine Frau. Ihren Namen hat sie gar nicht gesagt. Nur ein paar Sätze geschluchzt: Dass ihre Tochter schwer mit Corona in der Klinik läge. Und dann: „Beten Sie für sie. Bitte, denken Sie an meine Tochter.“ Und ich? Bin rüber in die Kirche, hab die Kerze angezündet, und dann hab ich eben an die junge Frau mit ihrer Mutter gedacht. Und ja: Ich hab mich zwischendurch schon auch gefragt: Was tust Du hier eigentlich?

Bringt das was? Wenn morgen der große ökumenische Gottesdienst und die nationale Gedenkfeier für die 80.000 Toten und die vielen Leidenden der Pandemie stattfinden, fragen sich das vermutlich auch viele: Braucht es so etwas? Große Worte, große Gesten. Es ist doch ohnehin schon alles traurig und schwer genug. Manch einer hat auch gleich kräftig draufgehauen auf die gute Absicht: Warum auf einmal für Corona-Opfer? Was ist mit allen anderen, die leiden oder sterben? Die Toten im Straßenverkehr? Die Opfer der Umweltverschmutzung? Oder, oder, oder. Und?

Was soll mir das sagen? Dann also lieber gefälligst an niemanden denken? Lieber keine Kerze für diese eine Frau und ihre Mutter anzünden, weil ich es nicht auch für alle anderen auf der Intensivstation tue? Es geht morgen bei den Gedenkfeiern einmal um die vielen Tränen in dieser Pandemie, um die geweinten und die ungeweinten. Nur wozu ist Gedenken gut? Was bringt das, an andere zu denken? Kerzen in der Kirche anzünden für Menschen, deren Schicksale man kaum kennt. Namen nennen von denen, die man nie getroffen hat.

Was dadurch passieren kann, das lässt sich schwer beschreiben. Ich kenne zum Beispiel einen Pfarrer, der nimmt immer, wenn er laufen geht, in Gedanken einen Menschen mit, dem es nicht gut geht. Manche kennt er persönlich, andere nur aus Erzählungen. Laufbuddy nennt er sich. Was macht der da, hab ich anfangs gedacht, als ich davon las.

Mittlerweile spüre ich: Er trägt diese Menschen mit ihrem Leid ein Stück mit sich, einige Kilometer und ein paar Stunden. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Manchmal ist auch an Kalendersprüchen viel dran. In der Gemeinde erlebe ich das an jedem Sonntag im Gottesdienst: da gehört das Erinnern von Menschen und ihrer Not immer dazu. Im Fürbittengebet. In der Hoffnung, dass Gott auf ganz besondere Weise das Leiden mit uns teilt. Wer in dunklen Momenten schon einmal erlebt hat, dass Menschen an einen denken, der ahnt etwas von dieser Kraft, die im Erinnern und Gedenken stecken kann. Sich nicht allein zu wissen in traurigen Zeiten, das tröstet. Das, was andere gerade mitmachen, nicht einfach schnell zu vergessen, sondern es mitzutragen, mit uns zu tragen, zu Erinnern – das braucht es zum Heilen. Sonst bleibt die Seele wund.

Morgen sind wir alle eingeladen, es zu probieren mit diesem heilsamen Erinnern. Denken Sie an andere, denen es gerade nicht gut geht, die Sie vielleicht kaum kennen. Und vertrauen Sie darauf: Ja, das bringt was. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Nacht.

26.03.2021
Stefanie Schardien