Das Wort zum Sonntag: "Zeit haben"

Das Wort zum Sonntag: "Zeit haben"
Pfarrer i.R. Alfred Buß
29.03.2014 - 23:05

Eigentlich kann’s mir egal sein – als Rentner. Doch wer Montag früh raus muss, dem wird die eine Stunde fehlen. Gleich wird die Zeit umgestellt. Das verärgert so manchen. Muss das sein? Andererseits macht die vorgestellte Uhr lange Sommerabende. Hell sind sie und wärmer. Doch welche Zeit ist die richtige Zeit?

Richtig ist es, Zeit zu haben. Aber die Zeit hat uns. Und sie rennt uns weg. Viel zu oft. Zeit ist knapp. Und die Welt voller Möglichkeiten. Beschleunigung verspricht Lebensgewinn. Wir müssen nur zugreifen. Reisen, Shoppen, chatten, surfen – soviel das Herz begehrt. Wir leben schnell, um Zeit zu sparen. Doch Zeit sparen geht nicht. Wir landen dabei im Hamsterrad.

Und dann passierte mir dies: Ich fuhr mit dem Rad durch den Park. Vor der Unterführung entdeckte ich unsere Nachbarin. Sie schob ihr Rad. Was mag da passiert sein, dachte ich, dass sie ihr Rad schiebt. Kaum hatte ich sie erreicht, fragte ich schon: "Was ist passiert?" – "Nichts", antwortete sie – "ich hab Zeit!"

Ich war verblüfft. Warum? Weil keine Zeit haben üblich ist. Wer Zeit hat, mit dem stimmt etwas nicht. Der scheint die Zeit nur totzuschlagen. Es wollen doch alle vorwärts kommen. Schneller und höher und weiter. Da gilt es, die Zeit zu nutzen. Doch beim Schneller, Höher und Weiter stoßen wir an Grenzen. Weil die Menschheit viel zu viel verbraucht in ganz kurzer Zeit.

Wer in Kürze mehr Bäume abholzt als nachwachsen können, der hat bald keinen Wald mehr. Das hält kein Wald aus. Auch unsere Erde nicht. Sie hat Kohle, Öl und Gas gebildet in ihrem Inneren. In Millionen von Jahren. Jetzt verbrennt die Menschheit in einem Jahr, was in tausend mal tausend Jahren entstand.

Und die Zeit geht uns aus. Weil unsere Lebensweise das Gewebe der Erde zerstört und den Rhythmus der Schöpfung missachtet. Die Bibel hat dafür ein einprägsames Bild: "Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen. Aber mein Volk will das Recht des Herrn nicht wissen. Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt"(Jer. 8,7).

Unsere Lebensweise zerstört, was ihr unter die Hufe gerät – wie ein dahinstürmender Hengst in der Schlacht. Wir müssen uns umstellen. In sehr kurzer Zeit. Naturverträglich wirtschaften. Nachhaltig. Neu lernen, den Rhythmus der Schöpfung zu achten. Damit alle leben können. Auch die Menschen in den Ländern des Südens. Und unsere Kindeskinder.

Heute Nacht werden die Uhren umgestellt – ja. Ich will meine innere Uhr umstellen. Will aufhören, der Zeit nachzujagen und sie vollzustopfen. Richtig ist Zeit haben. Das tut gut. Mir und der ganzen Schöpfung.

Ich will mein Leben entschleunigen. Wenn ich mit dem Rad in die Stadt fahre, entkomme ich Lärm und Stau, radle in frischer Luft durchs Grün, höre die Vögel singen – und spüre den Rhythmus der Schöpfung wieder. Und genieße das Zeithaben.