Die Gewalt und der Glaube

Dr. Wolfgang Beck

Foto: Julia Feist

Dr. Wolfgang Beck

Die Gewalt und der Glaube
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
17.12.2016 - 23:35

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

es könnte so schön sein: Der Löwe und das Lamm liegen nebeneinander. Das Kind spielt in der Nähe der Schlange und alle, die sich sonst das Leben schwermachen, vertragen sich. Es könnte alles so schön sein. Es ist die Bibel, genauer der Prophet Jesaja, der solche harmonischen und zugleich utopischen Bilder zeichnet. „Zu schön, um wahr zu sein“, könnte man da meinen. Seine Texte werden vor allem in den Gottesdiensten der Adventszeit gelesen. Sie muten schon fast kitschig an. Ich jedenfalls mag sie nicht besonders, das muss ich gestehen. Sie haben etwas Provozierendes, weil das Leben eben doch ganz anders aussieht. Da macht der Löwe dem Lamm doch gerne mal „den Garaus“. Und das ist noch harmlos gegenüber all den Dingen, die Menschen anderen Menschen antun. Die Terroranschläge in Ägypten und in der Türkei, die Berichte aus der Stadt Aleppo sind da nur die jüngsten Beispiele. Das bald hinter uns liegende Jahr hatte ein Übermaß an Gewalt. Und dabei werden die Gewaltexzesse hinter manchen Wohnungstüren noch nicht mal berücksichtigt. Womit uns Nachrichten und Zeitungen konfrontieren, ist schließlich immer nur ein kleiner Ausschnitt der bitteren Realität. Zu dieser Realität scheinen die biblischen Bilder kaum zu passen. Sie wirken eher wie schöne Träumereien, um der Wirklichkeit zu entfliehen. Dann zu sagen, „alles wird gut“, klingt für mich wie Hohn. Nein, nur, weil ich das gerne möchte, wird noch lange nicht alles gut!

Dabei haben sich gerade die Religionen, haben sich auch die christlichen Kirchen doch dieser Realität zu stellen. Immer wieder steht schließlich der Vorwurf im Raum, dass die Religionen gewaltsame Konflikte hervorrufen und die Welt ohne Religionen friedlicher wäre. Das ist vielleicht die heftigste Anfrage, die in den letzten Jahren auch von Religionswissenschaftlern an die Adresse der Religionen und Kirchen gerichtet wurde.

Ja, die Geschichte des Christentums hat auch viele dunkle Kapitel. Das muss immer wieder klar benannt werden, ohne den Fingerzeig auf andere Religionen oder atheistische Ideologien. Die Größe der eigenen Religion zeigt sich nicht darin, wie effektiv sie mit dem Finger auf andere zeigt, sondern wie ernsthaft sie sich mit den eigenen Abgründen beschäftigt.

In den Religionen, auch in den christlichen Reihen, gibt es Fanatiker und Extremisten, die sich schwer damit tun, anderes Denken und Glauben zu tolerieren. Darum haben wir uns den Vorwürfen immer wieder zu stellen. Das erfordert allerdings einen Spagat: einerseits die Verbundenheit mit den verfolgten und entrechteten Christen in der Welt in aller Klarheit auszudrücken. Sie haben wie alle Opfer verdient, dass wir entschieden an ihrer Seite stehen. Andererseits gilt es aber eben auch, wachsam gegenüber dem eigenen Gewaltpotenzial zu sein. Das bedeutet, schmerzliche Anfragen und harte Kritik zuzulassen.

Wenn christlicher Glaube selbstkritisch bleibt, dann bringt er, davon bin ich überzeugt, Menschen nicht gegeneinander auf, sondern führt sie zusammen. Nur dann sind die romantisch anmutenden Bilder der Bibel, die mit dem Weihnachtsfest bevorstehenden Gottesdienste und auch die feierlichen Traditionen keine Absurdität und kein Betäubungsmittel fernab der Wirklichkeit.

Einen guten vierten Advent!