Flüchtlingselend

Flüchtlingselend
Mediales Räsonieren und persönliche Erfahrungen
25.04.2015 - 23:35

Guten Abend, meine Damen und Herren.

 

Ja, es ist das Thema der Woche. Und ja, auch ich beim „Wort zum Sonntag“ spreche darüber: Das Flüchtlingselend im Mittelmeer. Aber ich gestehe Ihnen frank und frei, dass mich das ständige Abwägen und Debattieren darüber, was denn nun für die Flüchtinge getan werden sollte auch, ziemlich ermüdet. Die Art und Weise, wie in den zahllosen Talkshows und Sondersendungen dieser Woche darüber gesprochen wurde. Kaum ist ein Vorschlag auf dem Tisch, gibt es mindestens drei gute Gründe, warum dieser Vorschlag nun gerade nicht hilfreich ist. Und selbst da, wo sich etwas zu tun scheint – „Brüssel gibt mehr Geld zur Seenotrettung!“ – werde ich das Gefühl nicht los, dass es doch vor allem darum geht, die aufgeregte Öffentlichkeit zu beruhigen. Ist der Medienhype erst mal vorbei, wird man auch wieder einen Gang zurückschalten können. Ich bin dieses Hin und Her einfach leid.

 

Ganz anders geht es mir seltsamerweise, wenn ich auf einen Flüchtling treffe, den ich persönlich kenne (oder kennenlerne). Da bin ich mit einem Mal wach und bei der Sache. – Es gibt in meiner Kirchengemeinde drei große Übergangswohnheime. Da trifft man sich, da unterhält man sich, auch jenseits der großen Hilfsaktionen. Ich bin dann nicht immer nur der nette Pfarrer von nebenan, der zu allem Ja und Amen sagt und schnell mal einen Geldschein zückt. Da gibt’s auch schon mal Auseinandersetzungen darüber, warum diese oder jene Hilfe jetzt mal eben nicht möglich ist. Da prallen dann auch schon mal Meinungen aufeinander. Aber es ist eine echte und lebendige Begegnung.

 

Seltsam: wenn im Fernsehen über das Flüchtlingselend gesprochen wird, werde ich müde; steht mir ein Flüchtling direkt gegenüber, bin ich hellwach und bereit mich zu engagieren. – Vielleicht ist das ja das eigentliche Problem: dass uns das Flüchtlingselend fast ausschließlich medial vermittelt wird. So schrecklich die Bilder von den gekenterten Schiffen auf dem Mittelmeer auch sind: es sind für die meisten von uns nur Bilder. Wer kennt schon einen der Flüchtlinge persönlich? Wer weiß schon, was sie denken und fühlen? Wer kann schon genau sagen, warum sie sich auf die Flucht gemacht haben? Dabei wäre doch gerade das wichtig zu wissen, wenn wir denn wirklich helfen wollten.

 

Ich habe kürzlich einen Spielfilm gesehen. Da sitzt eine EU-Außenbeauftragte mit ihrer Familie am Mittagstisch. Auf einmal betreten Flüchtlinge den Raum. Menschen, die kurz davor noch auf einem Boot im Mittelmeer saßen. Jetzt stehen sie der Politikerin und ihrer Familie direkt gegenüber. Zitat: „Wir glauben: wenn ihr uns vor euch seht, dann werdet ihr uns nicht sterben lassen. Deswegen kommen wir nach Europa.“ Einige Filmsequenzen später ist die Politikerin zu der Einsicht gelangt, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Aber, so sagt sie: „Wir sind noch nicht bereit für euch, ihr müsst uns noch mehr Zeit geben.“

 

Der Film heisst „Der Marsch“. Erstausstrahlung Mai 1990. Das ist exakt 25 Jahre her! Da war genug Zeit, bereit zu werden! Da gab es genug Gelegenheiten, genauer hinzusehen. – Wenn ich denn wirklich will, dass sich was ändert, dass das Sterben im Mittelmeer ein Ende nimmt und die Menschen in ihrem Flüchtlingselend eine neue Perspektive für ihr Leben bekommen, dann muss ich jetzt konkret etwas tun. Das wird bei einer EU-Außenbeauftragten anders aussehen als bei einem Innenminister und nochmal anders bei uns Bürgerinnen und Bürgern. Aber eines ist mir in diesen Tagen klar geworden: die Zeit des Zuschauens und Abwartens ist vorbei.