Newtown, USA: "Das Wort zum Sonntag" im Ersten

Newtown, USA: "Das Wort zum Sonntag" im Ersten
Es spricht Pfarrer Ulrich Haag
15.12.2012 - 22:10

Eigentlich wollte ich heute Abend über Advent sprechen. Über Kerzen und Besinnlichkeit. Doch das geht nicht mehr so einfach. Wir haben es in den Nachrichten gesehen: In einer Grundschule im US-Bundesstaat Connecticut sind  20 Kinder   umgebracht worden und auch 6 Erwachsene. Das war gestern in den USA. Das ist weit weg. Da herrschen andere Gesetze. Aber die Kinder, die dort in die Kameras stammeln, was sie erlebt und gesehen haben, haben die gleichen Gesichter wie unsere Kinder. Die Eltern weinen die gleichen Tränen. Die Menschen, die sich in den Kirchen versammeln, beten Gebete, wie wir es tun - und ein Präsident, der sichtlich um Fassung ringt. Der Ort des Geschehens ist weit weg. Aber die Menschen sind uns nah. Wir fühlen mit ihnen.

 

Und wir machen uns Gedanken. Wie sich die Menschen dort Gedanken machen. „Zu oft, zu viele dieser Amokläufe. In zu geringem Abstand“ - so hat es der Präsident der Vereinigten Staaten in seiner ersten Ansprache gesagt. Wir müssen Konsequenzen ziehen. Wir müssen solche Taten in Zukunft verhindern. Wir müssen in Zukunft genau hinsehen.

 

Genau hinsehen: Das wird die Mutter des jungen Mannes, der das Attentat begangen hat, getan haben. Jetzt ist auch sie tot. Sie war Lehrerin. Sie muss eigentlich ein Gespür für junge Leute gehabt haben. Sie muss eigentlich auch ihren Sohn genau wahrgenommen haben. Sie hat gewusst, der Junge ist schwierig. Sie hat für ihn gesorgt, sie hat sich um ihn Sorgen gemacht. Die Nachbarn haben den Jungen gekannt, die Mitschüler. Aber das alles hat offensichtlich nicht genügt.

 

Genau hinsehen: Das müssen auch wir. Wir machen uns Gedanken um die heranwachsende Generation, um die jungen Leute bei uns. Wir hören, wie sehr sie unter Druck stehen. Hören, dass es für sie mancherorts aussichtslos ist, eine Wohnung zu finden. Und wie schwierig es für sie ist, sich einen Platz im Leben zu erkämpfen. Wir hören davon, dass immer mehr junge Menschen Psychopharmaka nehmen, um dem Druck standzuhalten. Wir möchten es ihnen leichter machen. Wir möchten sie darin unterstützen, dass sie zu Menschen werden, die widerstandsfähig sind und mit beiden Beinen im Leben stehen. Nun passt es doch noch, dass ich über Advent spreche. Denn das ist die Zeit, in der wir uns besinnen und das heißt genau hinschauen. Die Zeit im Jahr, in der wir in unseren Familien besonders eng zusammenfinden. Wie wertvoll wir einander sind, spüren wir an diesem Wochenende angesichts der tragischen Ereignisse besonders. Und können uns eindrücklicher als sonst vorstellen, wie weh es tut, wenn plötzlich ein Mensch fehlt. Das, was eigentlich selbstverständlich ist, wird mit einem mal ein Grund zum Danken: Dass wir einander haben und einander sehen. Dass wir die Möglichkeit haben, miteinander zu sprechen und einander zuzuhören. Ein Grund zum Danken. Und ein Grund, im Gebet daran zu denken, dass es in diesem Jahr bei allen Menschen Weihnachten werden soll. Auch bei denen, die nahe daran sind zu verzweifeln. Bei allen Menschen soll es Weihnachten werden.

 

Ihnen allen einen guten Abend und einen gesegneten Sonntag.