Spielregeln

Spielregeln
Pfarrer Gereon Alter
03.07.2016 - 00:15
20.04.2016
Gereon Alter

Spielanalyse

Guten Abend meine Damen und Herren.

So ein Fußballspiel wie das heute Abend ist relativ schnell analysiert. Die Experten sind schon jetzt dabei, und morgen wird jeder eine Meinung haben, warum das Spiel so und nicht anders gelaufen ist. Bei einem Fußballspiel ist das relativ leicht.

Andere Analysen sind deutlich schwerer. Die der Brexit-Entscheidung zum Beispiel. Wer von uns ist schon in der Lage, die Konsequenzen dieser Entscheidung zu überschauen? Selbst Experten tun sich da schwer und müssen dennoch etwas dazu sagen.

Was tue ich in einer Situation, die für mich unüberschaubar ist, in der ich mir aber doch eine Meinung bilden oder gar eine Entscheidung treffen muss? Woran orientiere ich mich? Wem folge ich? Den großen Vereinfachern, die selbst auf die komplexesten Fragen noch ganz einfache Antworten haben? Den Systemkonformen, die mir raten, doch besser alles beim Alten zu lassen? Den Radikalen? Den Behutsamen? – Ich weiß oft nicht, wie ich mich entscheiden soll und wessen Stimme ich trauen kann.

Umso wichtiger sind mir drei Regeln. Die erste ist die wichtigste: Alles, was die Würde eines anderen Menschen verletzt, kann nicht gut sein. – Wie viele Kampagnen verletzen die Würde anderer Menschen oder anderer Menschengruppen! Die der Flüchtlinge, der Muslime, der Homosexuellen … Wann immer sich Einzelne oder Gruppen auf Kosten anderer profilieren, geht bei mir eine Alarmglocke an: dieser Meinung folge ich sicher nicht. Denn was die Würde eines anderen Menschen verletzt, das kann zu keinem guten Ergebnis führen.

Die zweite Regel: Glaubwürdig ist, wer selbst tut, was er sagt. – Es gibt Menschen in Politik, Kirche und Gesellschaft, die allein deshalb mein komplettes Vertrauen verloren haben: Weil ich die Art und Weise, wie sie agieren, einfach nicht zusammenbekomme mit dem, was sie sagen. Glaubwürdig ist für mich, wer mit seinem eigenen Leben und Handeln hinter dem steht, was er sagt.

Die dritte und letzte Regel stammt aus der Bibel: „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen.“ (Lk 6,31). Oder negativ formuliert: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Die sogenannte „Goldene Regel“. – Würde ich das, was ich anderen mit meiner Entscheidung zumute, auch für mich selbst akzeptieren können? Wäre ich bereit, anderen zu geben, was ich für mich selbst verlange?

Mit diesen drei Regeln habe ich immer noch nicht auf jede Frage eine Antwort. Aber ich habe zumindest ein Geländer, an dem ich mich orientieren kann und das mich davor bewahrt, ins Viel-zu-kurz-Gegriffene abzurutschen. Ein Geländer, das mich vor Fehlentscheidungen schützt und auch vor populistischen Verführungen.

Ein solches Geländer ist heute wichtiger denn je. Wir brauchen Grundhaltungen, Werte. Und wir brauchen das Gespräch darüber, was uns bei unserer Meinungsbildung leitet, im Großpolitischen wie im Privaten. Einfache Antworten auf komplexe Probleme verlangt niemand. Wohl aber Entscheidungswege, die nachvollziehbar sind und nicht zu einer Gefahr für andere werden.

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und einen gesegneten Sonntag.

20.04.2016
Gereon Alter