Wenig Neues unter der Sonne

Wenig Neues unter der Sonne
Pfarrer Benedikt Welter
13.01.2018 - 23:50

Einen guten späten Abend, verehrte Damen und Herren.

 

Von Neujahrsempfang zu Neujahrsempfang. Das alljährliche Jahreseröffnungsprogramm. Die ersten Wochen des Jahres bin ich alle paar Tage zu Neujahrsempfängen unterwegs.

 

Fester Bestandteil bei jedem Neujahrsempfang ist eine Rede; Gastgeberin oder Gastgeber blickt zurück und vor allem nach vorn. Verbreitet Zuversicht nach dem Motto „Nicht Alles, aber doch Vieles wird im Neuen Jahr besser werden.“

Manchmal blitzt da ein Satz in mir auf: „Nichts Neues unter der Sonne!“ (Koh 1,9)

Ein Satz, der schwermütig und resigniert klingt, aus dem biblischen Buch Kohelet –Luther hat diese Sprüche-Sammlung „Prediger Salomos“ genannt.

Nicht neu unter der Sonne ist wohl auch die ein bisschen krampfhafte Zuversicht:  in einem „Neuen Jahr“ würde oder sollte „Vieles besser“ werden. Was bitte ist denn da „neu“ und was würde „besser“ – und wie?

Dabei ist es doch eine allgemeine Erfahrung, wie brüchig jedes noch so ernst gemeinte „Frohes Neues Jahr“ ist. Da erreicht mich die Nachricht, dass mein Vater schwer erkrankt ist – und schon ist es vorbei mit „frohes“ oder „gutes Neues Jahr“.

Nix mit froh und gut. Stattdessen ist voll präsent, was  ganz  menschlich ist: Angst um diesen lieben Menschen und Sorge – im 21. Jahrhundert wohl ganz ähnlich empfunden wie vor hundert oder ein paar tausend  Jahren.

„Nichts Neues unter der Sonne“: wenn ich erfahre, wie der Mensch leidet; aber auch, wie er liebt und wie er versucht, es irgendwie besser zu machen – oft genug vergeblich.

 

Wenn ich dann mal ein wenig über meinen Tellerrand hinaus blicke ins Große der Welt, dann entdecke ich auch wenig „Neues“: statt endlich Frieden in Krisenherden und Kriegen werden täglich neue Konflikte gemeldet.

Und auch „neue Konflikte“ sind ja in Wirklichkeit nichts „Neues“ unter der Sonne. Da schreibt einer:„Überall  sehen  wir  Krieg.  Überall  hören  wir  das  Volk stöhnen.  Unsere  Städte sind zerstört, unsere Felder sind verwüstet, das Land ist zu einer Wüste geworden.“ (Gregor der Große: Evangelienhomilien, I,  Hom. 1, 50-63.)

Dieser Aufschrei stammt nicht aus Kabul 2017/2018, sondern aus Rom – im sechsten Jahrhundert, von Papst Gregor dem Großen.

 

„Nichts Neues unter der Sonne?“  –Mit diesem Satz im Kopf  stehe ich  mitten in der Menge beim Neujahrsempfang, höre die  Neujahrsrede und sehe die Menschen um mich herum. Ich blicke in Gesichter – erwartungsvolle, aufmerksame, gelangweilte, fröhliche. Jeder und jede Einzelne von ihnen wird in diesem neuen Jahr Neues lernen, neues sehen, neues hören, alle hungern geradezu nach Leben und Erleben.

Ich schließlich auch.

 

„Nichts Neues…“? Doch! Wenn ich wirklich lebe und mit allen Sinnen die Welt und die Menschen um mich herum wahrnehme, werde ich auch im neuen Jahr entdecken: Dieses Leben ist immer größer, es bietet immer mehr als mein erster skeptischer Blick mich erkennen lässt.

 

„Gott hat in alles seine Ewigkeit gelegt“ (Koh 3,14) – so sagt das der Prediger in der Bibel.

DAS macht für mich das ganz Neue, immer wieder: In Allem, was mich und die Menschen um mich herum bewegt, steckt Ewigkeit. „Ewigkeit“ – das hat etwas von Gültigkeit und Erneuerung. Was ich erlebe, geht nicht verloren; auch nicht, was ich erleide oder erdulde. Gott ist nichts egal, was in meinem Leben, im Leben jedes Menschen geschieht.

Das Leiden meines Vaters macht mich traurig; und zugleich fordert es mich und andere heraus. „Ewigkeit“ heißt dann: wo ich stumm bin und mir alles zu entgleiten droht – es ist nichts umsonst. Wo mein Vater  stumm wird, was er fühlt, nicht mitteilen kann – es ist nicht verschwunden.

 

Vielleicht gibt es wenig Neues UNTER der Sonne. Aber da ist jemand ÜBER der Sonne, der gibt mir immer wieder neue Kraft, in der ich dieses Leben annehmen und gestalten kann. Skeptisch und hoffnungsvoll zugleich.

 

Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen.