Friedensreligion oder Kultur der Gewalt?

Friedensreligion oder Kultur der Gewalt?
Präses Nikolaus Schneider diskutiert über den Islam in Deutschland
24.10.2010 - 21:30

###f03###Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Religion und Gewalt? Der EKD-Ratsvorsitzende Präses Nikolaus Schneider sagte: „Religionen können Gewalt hervorrufen und legitimieren.“ Da, wo Religion fundamental ausgelegt werde, bestehe die Gefahr der Gewaltbereitschaft. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, wandte sich gegen die Kritik am Islam. Er nannte den Islam „eine gesellschaftliche Ressource“ für ein friedliches Miteinander. Mazyek und Schneider diskutierten mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer und dem CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach bei Tacheles. Phoenix strahlt die Debatte am 17. Oktober um 13 Uhr und am 24. Oktober um 22.30 Uhr aus.

Es war die weltweit größte Schülerbefragung. Und sie erbrachte brisante Funde. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen befragte bundesweit 45.000 junge Leute. Vor allem die Ergebnisse zu männlichen jungen Muslimen haben Aufsehen erregt.

Ausgerechnet diejenigen unter ihnen, die am häufigsten in die Moschee gehen, regelmäßig beten, und sich als sehr religiös beschreiben, sind schulisch und sozial am schlechtesten integriert und dann auch am häufigsten gewalttätig. Wie ist der Zusammenhang zwischen Jugendgewalt und Religion?

Christian Pfeiffer: Viel spannender war für uns der Zusammenhang, der sehr klar herausgekommen ist, bei den Muslimen deutlicher, als bei irgendeiner anderen Gruppe: Je religiöser sie sind, desto weniger trinken sie Alkohol, desto weniger klauen sie im Laden. Wir haben also feststellen können, unsere Erfassung von Religiosität stimmt. Das ist ja eine Grundüberzeugung der Muslime, dass es sich für einen anständigen Muslim nicht gehört, Alkohol zu trinken.

Es gibt aber keinen direkten Zusammenhang je religiöser, umso gewalttätiger. Nein, es läuft bei den muslimischen Jungen vermittelt. Je religiöser, umso mehr der Machokultur verpflichtet. Je religiöser, umso mehr spielen sie extrem gewalthaltige Computerspiele, die zur Desensibilisierung beitragen. Im Ergebnis trägt das dazu bei, dass die hochreligiösen Jugendlichen mehr Gewalt aufweisen als die nichtreligiösen.

Was uns richtig erschüttert hat, war: Nichtreligiöse türkischstämmige Jugendliche fühlten sich zu 51 Prozent als Deutsche. Und die hochreligiösen nur zu 14 Prozent, obwohl neun von zehn von ihnen in Deutschland geboren sind. Das ist ein großer Misserfolg von Integration. Je häufiger sie eine Moschee besuchen, desto weniger fühlen sie sich als Deutsche.

Aiman Mazyek: Es überrascht nicht, dass sich viele Muslime hier im Land nicht angenommen fühlen. Sie mühen sich, sie setzen sich hier für das Land ein, sie arbeiten und studieren. Aber sie erleben tagtäglich Abgrenzung und Ausgrenzung. Das ist ein Grund dafür, dass sich viele nicht als Teil der Gesellschaft fühlen. Deshalb war die Rede des Bundespräsidenten sehr wohltuend für die Muslime, weil er ein deutliches Bekenntnis zur multireligiösen und multiethnischen Vielfalt unserer Gesellschaft abgegeben hat.  Das sind Signale, die in der Vergangenheit rar waren. Wir brauchen von Politikern mehr solche Aussagen.

Professor Pfeiffer ist den eindeutigen Beweis schuldig geblieben, inwiefern es eine direkte Kausalität zwischen Religiosität und Gewaltneigung gibt. Und es ist auch nicht klar, inwiefern sich Probanden, die sich als Muslime bekennen, wirklich religiös sind. Es gibt andere Studien wie die Bertelsmann-Studie  2009, die zu einem genau gegenteiligen Ergebnis gekommen ist: Je religiöser, desto toleranter.

Pfeiffer: Wir haben ja gar nicht von Kausalität gesprochen. Wir sehen einen Zusammenhang, den wir interpretieren müssen. Kausalität kann man erst nachweisen, wenn man Längsschnittanalysen macht, wenn man an denselben Menschen dranbleibt und sieht, wie es bei dem einen wird, der innerlich aus der Religion aussteigt, und bei dem anderen, der immer religiöser wird. Dann könnten wir von Ursachen sprechen. 

Wir legen Daten vor, die zeigen, je religiöser sie sich fühlen, desto weniger fühlen sie sich als Deutsche. Der Unterschied ist gewaltig. Hat es vielleicht damit zutun, dass die Imame eine Botschaft verbreiten, die der Islamwissenschaftler Rauf Ceylan so benennt: Sie predigen in der Moschee, bleib im Herzen ein Türke, und halte dich von den Ungläubigen fern. Eine solche Botschaft kann doch nicht integrativ wirken. Und das hat Ceylan nachgewiesen, dass sich die Mehrheit der türkischstämmigen Imame in Deutschland so verhält, dass sie nicht in unserer Kultur angekommen sind.

Der KFN-Studie zufolge hat jeder vierte junge Muslim, der sich besonders stark mit dem Islam identifiziert, mindestens eine Gewalttat begangen.

Nikolaus Schneider: Das erschreckt mich. Aber ich sehe auch einen Zusammenhang mit sozialer Lage...

Pfeiffer: ...natürlich!

Schneider: ...Perspektiven, Frustrationen - und wenn dann religiöse Botschaften dazukommen, die Gewalt rechtfertigen, dann wird diese Mischung problematisch.  Dann kann es in der Tat zu Verhaltensweisen kommen, die in der Tat erschreckend sind.

Junge muslimische Männer gaben sehr viel häufiger in der Studie an, wenn sie später mal eine 13-jährige Tochter hätten, die abends viel zu spät nach Hause kommt, würden sie sie verprügeln.

Wolfgang Bosbach: An keiner Stelle der Studie von Professor Pfeiffer habe ich den Satz gefunden, weil der junge Mann ein Moslem ist, deshalb ist er gewalttätig. Meistens ist es ein Motivbündel. Wenn man sich aber die Karrieren vieler jugendlicher Straftäter ansieht, insbesondere der jugendlichen Gewalttäter, dann stellen wir fest, es gibt soziale Probleme, fehlende Integration. Viele sind auch Opfer häuslicher Gewalt. Sie sind nie erzogen worden, Konflikte ohne Gewalt, im Gespräch zu lösen. Viele sind Täter und Opfer zugleich. Sie waren selber Opfer von Gewalt und üben später Gewalt aus.

Aber wenn man den Zusammenhang schlicht bestreitet zwischen bestimmten Ausprägungen des Islam, zwischen einigen wenigen, bestimmten Moscheegemeinden, die eine riesige Sorge für die Sicherheit in unserem Land sind, und extremen Bedrohungen durch islamistischen Terror, dann tabuisiert man ein Problem, was man nicht tabuisieren darf. Vor wenigen Stunden bin ich im Lagezentrum des Bundesinnenministeriums über eine besorgniserregende Bedrohungslage in Deutschland informiert worden. Da ging es nicht um Christen, nicht um Juden, nicht um Buddhisten, das ist der islamistisch motivierte Terror. Das hat nichts mit Generalverdacht zu tun. Wir wissen alle, weit über 90 Prozent der hier lebenden Muslime sind friedlich und rechtstreu, aber über die anderen müssen wir auch sprechen.

Mazyek: Ich stelle eine regelrechte Lust fest, soziale, wirtschaftliche und psychologische Ursachen einer Religion zuzuschreiben. Und ich frage mich, wo diese Lust herkommt. Die Erklärung greift zu kurz, dass es besonders populär ist, auf den Islam draufzuhauen. Rechtspopulisten bedienen sich dieses Islambashings, um Stimmen zu gewinnen. Manch ein Konservativer wird auch etwas schwach, besonders vor Wahlen, die Lufthoheit über den Stammtischen zu behaupten. Es hat auch etwas damit zu tun, das unsere Gesellschaft im Umbruch ist - Angst vor der Zukunft, vor Arbeitsplatzverlust. Vielleicht hat die Politik auch die Antwort auf die neue Vielfalt noch nicht gefunden. In den 90er Jahren haben große Parteien immer noch geglaubt, wir wären kein Einwanderungsland. Man pflegt noch das Feind-Freund-Bild, um Abgrenzung, um Identifikation zu stiften. Ich erlebe das bei Teilen der Union, die nach der Wulff-Rede in Abwehrreflexe kommen und sagen, wir sind zivilisiert, weil die anderen nicht zivilisiert sind. 

Schneider: Eines weise ich zurück. Ich habe überhaupt keine Lust, diese Zusammenhänge zu sehen und wahrzunehmen. 

Mazyek: Sie habe ich auch nicht gemeint!

Schneider: Sie haben eben gesagt, Sie stellen so eine allgemeine Lust fest. Ich sehe mit großem Bedauern in erster Linie junge Menschen und wünsche ihnen, dass sie eine Zukunft haben und gerne in diesem Land leben.

Wenn wir die Religion vergleichen und auf der einen Seite den Zimmermann Jesus sehen, der zur Feindesliebe aufrief, auf der anderen Seite den Feldherrn Mohammed - liegen darin Gründe für eine unterschiedliche Nähe zu Gewalt?

Schneider: Religionen können Gewalt hervorrufen und legitimieren. Und sie können vor Gewalt warnen. Dazu sind alle Religionen in der Lage. Dazu ist der Islam in der Lage, aber das Christentum auch. Der große Bernhard von Clairvaux hat im zwölften Jahrhundert zu Kreuzzügen aufgerufen, und er hat seine Gefolgsleute angestachelt mit der Parole: Gott will es! Das hat es auch bei bedeutenden Christen gegeben. 

Nur, eines muss ich sagen: Wir haben unsere Lektion gelernt. Die furchtbaren Gewaltausbrüche im Mittelalter haben dazu geführt, dass wir gesagt haben, Gewalt und Religion gehen nicht zusammen, und da kam es in unserem Land am Ende zur Trennung von Staat und Kirche, damit die Kirchen nicht mehr die staatliche Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen nutzen können. Die Lektion haben wir gelernt.

Das ist in islamischen Ländern anders. Eine christliche Republik Deutschland wäre undenkbar. Eine islamische Republik Iran gibt es aber! Da sind die Entwicklungen sehr unterschiedlich verlaufen. Da, wo ein Glaube fundamentalistisch verstanden und gelebt wird, hat er eine Tendenz zur Gewalt, Weil es in allen heiligen Büchern, auch in der Bibel, Passagen gibt, die Gewalt legitimieren. Und die werden von Fundamentalisten als Selbstermächtigung genutzt, um andere mit Gewalt zu überziehen. Wir haben auch das Problem mit christlichen Fundamentalisten in den USA, die etwa vor Abtreibungskliniken Ärzte erschießen und sich durch die heilige Schrift dazu ermächtigt fühlen. 

Die komplette Dokumentation finden Sie im Internet unter www.tacheles.tv.

 

Phoenix strahlt Tacheles am 17. Oktober um 13.00 und am 24. Oktober um 22.30 Uhr aus. Im Anschluss an die Erstausstrahlung diskutiert Prof. Pfeiffer am 17. Oktober von 14 bis 15 Uhr im Tacheles-Chat.

 

Tacheles wird veranstaltet von der Evangelischen Radio- und Fernsehkirche im NDR und gemeinsam getragen von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und der Klosterkammer Hannover.

 

Redaktion Tacheles, Archivstr. 3, 30169 Hannover Tel. (0511) 1241-840,

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