Die Sauerorgel in der Lutherkirche

Die Sauerorgel in der Lutherkirche

Foto: Bernd Schubert

In der Lutherkirche befindet sich eine spätromantische Orgel mit der Opusnummer 891 von der Orgelbaufirma Wilhelm Sauer. Sie wurde vom berühmten Bad Harzburger Mäzen Fritz König gestiftet und unmittelbar nach dem Kirchenneubau im Jahr 1903 eingeweiht. In der damaligen Abnahme wurde sie als eine der wertvollsten Orgeln der braunschweigischen Landeskirche bezeichnet.

 

Obwohl die symphonischen Orgeln vor dem ersten Weltkrieg als qualitativ hochwertig

eingestuft wurden, fielen einer Kampagne von 1930 bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts vorwiegend Instrumente der Kaiserzeit zum Opfer, also Instrumente mit einem reichhaltigen 8´- Spektrum in den Manualen und mit pneumatischer Traktur. Ihren Klang empfand man als unzeitgemäß. Sie wurden umgebaut, geeignet für Buxtehude und Bach.

 

So geschah es auch mit dieser Sauer-Orgel: Der Orgelbauer Friedrich Weißenborn führte 1952 einen ersten Umbau durch. Das Ergebnis war ein neobarocker Klangpool von Quintade16´ bis Zimbel ¼´ mit alter, pneumatischer Technik. 1963 ließ die Gemeinde auf Wunsch des Organisten Herbert Spittler die Orgel elektrifizieren und mit einem neuen Spieltisch versehen. Orgelbauer Hans Heinz Blöß aus dem benachbarten Oker führte die Arbeiten aus. Die Kegelladen blieben erhalten und auch die Disposition wurde zunächst nicht weiter verändert.

 

Epoche der "Wiedergutmachung"

1970/71 schließlich wurde der Rest der ursprünglichen Technik beseitigt. Blöß führte einen durchgreifenden Umbau aus. Schleifladen mit neuem Tragwerk ersetzten Kegelladen und Lager von 1903 mit der bis dahin erhalten gebliebenen Windversorgung. Die Disposition wurde leicht verändert und das Pfeifenwerk neu intoniert. Die Addition von elektropneumatischer Traktur plus 2/3 romantisches Pfeifenwerk inklusive barockem Klangideal führte zu einem Klangkörper mit vielen Narben und wenig Charakter. Bald schon setzten erste Ermüdungserscheinungen im

Klang und in der Technik ein.

 

Die Epoche der "Wiedergutmachung“ folgte auf dem Fuße. Orgelbaumeister Christian Scheffler verdeutlichte der Luthergemeinde 1997 den historischen und klanglichen Wert des ursprünglichen Orgeltypus. Auf Empfehlung von Propsteikantor Karsten Krüger wurde der Einbau eines zusätzlichen dritten Manuals beschlossen. Die Orgel erweiterte damit ihr Klangspektrum von ursprünglich 30 auf nunmehr 40 Register. Dieses hat den Vorteil, dass ein Zugang zur kompletten Musikliteratur aus der Geburtsepoche der Orgel geöffnet wird.

 

Musterbeispiel für den Stilwandel vergangener Jahrhunderte

Die Orgel wurde am ersten Advent 2001 wiedereingeweiht. Sie ist ein Musterbeispiel für den Stilwandel zwischen 1900 und 2000. Im Jahre 1998 wurde hier die erste pneumatische Kegelladen-Orgel wieder neu gebaut. Es handelte sich bei diesem Projekt zusammengefasst um eine Rekonstruktion einer dreimanualigen Orgel nach Sauerschem Vorbild inklusive der Restaurierung der Originalbestandteile (Prospekt und Pfeifenmaterial).

 

Die Orgel hat ihren warmen, grundtönigen Klang und ihren symphonischen Ursprungscharakter wiederbekommen. Sie ist in dieser Größenordnung und in dieser Region etwas Besonderes. Der heutige Organist wird mehr als 100 Jahre zurückversetzt und findet dort eine moderne, neu gebaute Orgel mit

pneumatischer Kegellade vor. Gleichzeitig hört er den Klang von Pfeifen, die zum Teil schon über 100 Jahre alt und von hoher Qualität sind. Ein ästhetischer Genuss ist der Nachbau des dreimanualigen Spieltisches, der, ebenso wie der erneuerte Prospekt, dem aufmerksamen Betrachter ins Auge fällt.