Das Kreuz mit dem Kreuz in der Kreuzkirche

Das Kreuz mit dem Kreuz in der Kreuzkirche

Das ungewöhnliche Kreuz in der Kreuzkirche begann als provokantes Kunstprojekt. Dazu ein Artikel von Pfarrer Thomas Damm.

 

 

Das Kreuz mit dem Kreuz in der Kreuzkirche

 

Das Kreuz mit Christusfigur in der Kreuzkirche bewegt die Gemüter. Das Kunstprojekt, das am Ostersonntag 2012 seinen Anfang nahm, hat allein in wenigen Woche mehrere hundert Menschen in die Kreuzkirche gebracht. Mehrfach sind ganze Gruppen gekommen, nicht nur aus Marl übrigens, um sich das Kunstwerk von Friedhelm Schmidt (Marl) anzusehen und unter dem Kreuz ins Gespräch zu kommen, ins Gespräch über den Glauben. Und das geschieht meist sehr persönlich: „Ich sehe hier den leidenden Christus, in Schmerzen gekrümmt“, haben zwei Betrachterinnen gesagt. „Die Darstellung tröstet mich. Es zeigt mit, dass nach jedem Tief ein Hoch kommt“, sinnierte jemand anders. Ein siebenjähriger Junge: „Dies ist der erste Jesus am Kreuz, vor dem ich keine Angst habe.“ Andere: „Er will mich mitnehmen.“ „Vor diesem Kreuz kann ich meinen Ballast abwerfen.“ „Jesus hat im Leid das Leben nicht vergessen.“ „Seht, ich bin bei euch, mitten unter euch.“ Viele weitere BetrachterInnen stimmten in dem Punkt überein, dass sie hier schlicht die Auferstehung Jesu dargestellt finden. Ein Gespräch über Jesus Christus, die Mitte unseres Glaubens, ist neu entfacht worden. Hoffentlich hält dieses Gespräch noch lange an.

 

Ganz am Anfang stand die Idee, zu dem schottischen Kirchenlied „Lord of the Dance“ einen Kruzifix zu gestalten, der neue Akzente setzen und Menschen miteinander ins Gespräch bringen kann. So hat es der Bildhauer Gurdon Brewster mit Altar- und Wandkreuzen in Großbritannien getan. Das Lied beschreibt das Leben Jesu von seiner Mitwirkung an der Schöpfung der Welt (Kol 1,16f) über sein Kommen auf die Erde, sein Leben, Leiden und Sterben, seine Auferstehung und seine Einladung an uns, mit ihm zu leben. Es wird in zwischen überall auf der Welt gesungen. Entstanden allerdings ist dann ein Kreuz, für dessen Verständnis und Interpretation der Tanz gar nicht mehr notwendig ist, weil die Bewegung des Christus nicht an einen Tanz erinnert. Aber die diesbezügliche Zeitungsschlagzeile hat viele Gemüter bewegt und das Gespräch über den Christus unseres Glaubens angeheizt, wie die öffentliche Diskussion in der Kreuzkirche seit Ostersonntag 2012 auf gute Weise gezeigt hat.

 

Ich denke, dass wir als Christinnen und Christen die Diskussion über unsere Glaubensbilder gut gebrauchen können, damit unser Glaube angefeuert wird und immer wieder Nahrung  bekommt. Für die Erlösung, die Jesus durch sein Leiden und Sterben gebracht hat, gibt es neben den Passionsberichten in der Bibel unzählige Bilder und Darstellungen aus den letzten 1000 Jahren, z.B. die Kreuzigungsszene des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald in Colmar, eine der ersten Darstellungen des leidenden Christus überhaupt, denn diese kamen erst im Mittelalter auf. Biblische Inspiration ist Jes 53,4f: „Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen... Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen.“ Die Tradition des leidenden Christus hilft unserem Glauben, weil wir erkennen: Unser eigenes Leiden ist dem Sohn Gottes vertraut, er kennt es und umfängt es in seinem Leiden. Das kann uns trösten.

Die zweite große Tradition finden wir in den Bildern des Auferstandenen, mit der Tradition auch Christus-König genannt. Die heute bekannteste Darstellung ist wohl der Christus von Rio de Janeiro, inspiriert durch Mt 28,18-20:  „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde... Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Die Tradition des auferstandenen Christus gibt uns Ruhe und Gelassenheit, weil wir erkennen können, dass er den Tod besiegt hat und wir mit ihm leben werden, auch durch den Tod hindurch.

 

Die Christusdarstellung in der Kreuzkirche kann Glaubensbilder inspirieren für die Mitte des Lebens. Diese dritte Tradition von Christusdarstellungen ist weniger entwickelt als die beiden eben genannten. Aber sie wirft wichtige Glaubensfragen auf: Mit welchen Christusbildern leben wir dort, wo wir mitten im Leben stehen? Wo wir glücklich sind? Wo wir leben und lieben, aktiv sind und voller Kraft? Die Bibel spricht von diesem Jesus, der beispielsweise auf einer Hochzeit für guten Wein gesorgt hat, damit fröhlich weiter gefeiert werden konnte (Joh 2), der sich an den Kinder freute und sie segnete (Mk 10,16) und den seine Gegner nicht von ungefähr „Fresser und Weinsäufer“ genannt haben (Mt 11,19): Er lebte gern und fröhlich! Nicht nur, aber auch.

Und auch wir brauchen diese Christusbilder in unserem Leben, um ihn auch dort bei uns zu spüren, wo wir mitten im Leben stehen. Denn Jesus kennt und liebt das Leben. Er hat Lebensfreude ausgestrahlt und verbreitet. Weil er ein Liebhaber des Lebens war, dürfen auch wir unser Leben hoch schätzen. Gott will, dass wir das Leben genießen! (vgl. Prediger 3,11f) Im Sinsener Kreuz können wir neben dem Leidenden und dem Auferstanden auch diesen Christus entdecken, den lebensfrohen. Und viele haben ihn dort schon gesehen!