Istanbul

Nach dem Selbstmordattentat auf eine Touristengruppe in Istanbul
The Eternal Flames of Chimera (Yanartaş)

The Eternal Flames of Chimera (Yanartaş) - © Thomas Dörken-Kucharz

The Eternal Flames of Chimera (Yanartaş)

13.01.2016
hr1  | hr2 kultur: Zuspruch aktuell 13.01.2016, 5.45 | 6.30 Uhr

 

Morgenandacht von Pfarrer Martin Vorländer

„Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.“ Das ist ein Gedicht des türkischen Schriftstellers Orhan Veli. Ich liebe Istanbul. Ich habe dort ein Jahr lang gelebt und für die evangelische deutschsprachige Gemeinde in Istanbul gearbeitet. Ich habe Freunde und Verwandte in Istanbul. Ich will dieses Jahr wieder hin.

Wenn ich heute meine Augen schließe, dann höre ich das Getriebe rund um die weltberühmte Hagia Sophia und um die Blaue Moschee. Da laufen viele Istanbuler und Touristen. Ein Verkäufer ruft: „Simmit, frisches Sesambrot!“ Die Straßenbahn fährt vorbei. Und mittendrin mischt sich ein Mann in eine Touristengruppe und zündet den Sprengstoff, den er am Leib trägt. Er reißt mindestens zehn Menschen mit sich in den Tod.

Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen, und da ist die Stille und die Schreie der Menschen, die verletzt sind. Die Stille und Schreie derer, die unter dem Schock stehen, dass ihre Frau, ihr Vater, ihre Tochter von diesem Attentäter ermordet worden sind.

Istanbulu dinliyorum, gözlerim kapalı. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ich weiß, dass meine türkischen Freunde es jetzt so hören: mit Trauer, Entsetzen, und  Wut darüber, dass Terroristen glauben, sie könnten im Namen des Islam töten und morden.

Das ist das Kalkül der Terroristen. Sie wollen vor Angst lähmen. Sie wollen, dass wir anfangen, einander zu hassen und jedem zu misstrauen. Was ist das für ein Typ neben mir im Bus, in der U-Bahn, im Flugzeug? Woher kommt der? Was führt er im Schilde? Die Terroristen haben ihr Ziel erreicht, wenn wir das mit uns machen lassen.

Einer meiner starken Sätze gegen die Angst, gegen den Hass steht in der Bibel: “Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes.” Ich hoffe, dass die Angehörigen in ihrer Trauer jetzt von vielen liebenden Menschen gehalten werden. Und ich hoffe, dass wir uns nicht voneinander trennen lassen durch den Hass und die Kälte der Terroristen.