Engagement – die Stimme hören

Morgenandacht
Engagement – die Stimme hören
23.01.2018 - 06:35
11.01.2018
Cornelia Coenen-Marx
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Die Begegnung mit dem Sterben ihrer Mutter hat sie freigemacht. Das beschreibt Daniela Tausch-Flammer in ihrem Buch „Jeder Tag ist kostbar“. Ihr ist die Endlichkeit bewusst geworden, aber mitten in der Angst öffnete sich eine Tür und sie begann, zu vertrauen: „Dass ich in meinem Leben geführt werde und dass ich von Gott begleitet bin.“

 

Tausch-Flammer fand ihre Berufung in der Hospizarbeit. Sie begleitet fremde Menschen im Sterben und in der Trauer, damit auch andere die Lebenskraft entdecken, die darin verborgen ist: plötzlich klar zu sehen, was wesentlich ist und was unwichtig. Angesichts des Todes zu erleben: es zählen vor allem die Momente, in denen Menschen wagen, sich offen zu zeigen. Tausch-Flammer spürt das immer wieder. Im Angesicht der Trennung wird eine ungeahnte Nähe möglich. Wer sich darauf einlässt, findet oft den Sinn im eigenen Leben. Die eigene Berufung.

 

Berufung – da ist eine Stimme, die lockt sich einzulassen – auf eine Aufgabe, einen Weg. Im Beruf gelingt das oft nicht mehr. Der Job wird zur Routine oder sogar zur Last. Manche suchen sich dann eine selbstgewählte Aufgabe. So wie die Ärztin Adelheid Franz. In der Malteser-Migrantenmedizin hat sie ehrenamtlich ein dichtes Netzwerk geknüpft – vom Entbindungsplatz bis zum Krankenhaus, von der Kleiderkammer bis zur Flüchtlingsberatung. Ein Netzwerk aus ehrenamtlich Engagierten – Ärzte, Juristinnen, Sozialarbeiter, bei denen Menschen in Not Hilfe finden. Flüchtlinge sind dabei, Tagelöhner aus Osteuropa und auch verarmte Deutsche. In der Migrantenmedizin bekommen sie eine erste Hilfe. Genauso wie im Kältebus der Stadtmission oder bei den Tafeln, wo Freiwillige sich engagieren.

 

Oft sind es solche ehrenamtlichen Initiativen, bei denen Menschen ihre Berufung wiederfinden. Ärztinnen und Zahnärzte, Friseurinnen, die kostenlose Haarschnitte anbieten. Bäcker, die frische Brötchen zur Verfügung stellen – hier haben sie endlich wieder Zeit, sich anderen mit ihrer ganzen Kompetenz zuzuwenden. Und anders als im Berufsalltag erleben sie wieder, wie wunderbar es sein kann, für andere da zu sein. Wenn jemand krank ist oder stirbt. Wenn einer Hunger hat oder ein Dach über dem Kopf braucht.

 

Werke der Barmherzigkeit. In den Fenstern der Elisabethkirche in Marburg sind sie zu sehen. Szenen aus dem Leben der Landgräfin Elisabeth, die von ihrer Burg herabstieg, um Leidenden auf Augenhöhe zu begegnen. Wer ihr begegnete, berichtet davon, dass Menschen und Dinge sich in ihrer Nähe wandeln: aus Brot werden Rosen, Blinde lernen zu sehen, Eltern, die ihre Kinder verstoßen hatten, lernen sie anzunehmen.

 

Da ist die Nähe Gottes zu spüren – eine Kraft, die heilt, eine Quelle, die lebendig macht. In den Werken der Barmherzigkeit, in diesen einfachen Handlungen der Liebe, lassen sich religiöse Erfahrungen machen wie sonst nur in Gebet und Meditation. Engagement kann ein spiritueller Weg sein.

 

Wer sich darauf einlässt, findet Zugang zu den eigenen Kraftquellen. Victor Frankl, ein jüdischer Psychotherapeut, hat diese Entdeckung im Konzentrationslager gemacht. Alles hängt davon ab, sagt er, ob unser Leben Bedeutung für andere hat – und sei es nur für einen Menschen, den wir lieben. Es kommt darauf an, dass wir unseren Beitrag leisten – und sei er auch noch so klein – damit Güte und Gerechtigkeit sich ausbreiten. Auch die Mitgefangenen im KZ schöpften Lebensmut daraus, dass sie nicht nur für sich selbst lebten.

 

Das ist die Erfahrung, von der auch Ehrenamtliche immer wieder erzählen. Dass sie bei ihrer Arbeit mehr empfangen als sie geben. Damit ist nicht nur Dankbarkeit gemeint. Wer sich für andere einsetzt, ist oft überrascht von der Hoffnung und der Kraft bei denen, die ganz unten und in Not sind. Viele erleben, dass im hilfreichen Handeln etwas heil und ganz wird – auch bei ihnen selbst. So hat es Daniela Tausch-Flammer bei der Sterbebegleitung erlebt. Ihre Angst trat zurück, sie spürte, dass sie geführt und begleitet ist. Das eigene Leben hat Bedeutung. Das ist es, was Christen „ Berufung“ nennen.

11.01.2018
Cornelia Coenen-Marx