All You Need Is Love

All You Need Is Love
Eine Erkenntnis und ihr Erfolg
25.06.2017 - 08:35
25.06.2017
Pfarrer Peter Oldenbruch

Angenommen, es gäbe so etwas wie außerirdische Intelligenz. Und nicht wenige glauben ja daran. Angenommen, es wäre so. Und diese intelligenten Wesen könnten von uns nichts sehen, nicht einmal die Fernsehbilder. Bloß die Radio-Schallwellen könnten sie wahrnehmen. Und ich stell´ mir vor, die Wissenschaftler der Außerirdischen hätten es geschafft, die Sprachen unserer Welt zu dechiffrieren. Sie könnten also die irdischen Botschaften verstehen. Was würden sie von unserm blauen Planeten wahrnehmen? Ich bin mir ziemlich sicher: vor allem Musik! Und wenn die Außerirdischen – anhand der Texte der musikalischen Beiträge – verstehen wollten, was den Lebewesen auf diesem blauen Planeten wichtig ist?

 

Auch da bin ich ziemlich sicher, was dabei herauskäme. Die außerirdischen Wissenschaftler kämen zu einem eindeutigen Ergebnis: Diese Erdlinge auf dem fernen Planeten singen vor allem von – Liebe! Vom Verliebtsein, von der Sehnsucht, vor allem von der Liebe zwischen Frau und Mann. In allen Sprachen der Erde: l´amour, amor, ai, … Ach, das Motto der Erdlinge ist: All you need is love! „Liebe ist alles, was man braucht.“

 

 

Mittlerweile ist dieser Beatles-Song alt. Auf den Tag genau 50 Jahre! 50 Jahre! Mir kommt der Song so jung vor (aber ich bin auch über 60). Bei einer Musikveranstaltung in einem Altersheim müsste man neben anderen Beatles-Songs wie Yesterday auch diesen Song spielen. Denn er stand in den Charts, als die heute Alten um die dreißig waren. Heute vor 50 Jahren also, am 25. Juni 1967, wurde der Song live in 31 Länder übertragen. Und von über 400 Millionen Menschen gesehen. Das war die erste Live-Sendung, die weltweit ausgestrahlt wurde. Sieben Jahre zuvor, 1960, begann die Karriere der Beatles. Übrigens in Hamburg. Heute stehn sie dort als Denkmal, an der Kreuzung Reeperbahn/Große Freiheit. Nur zehn Jahre lang spielte die Gruppe zusammen, allerdings: „Ein Jahrzehnt für die Ewigkeit“.

Manche vermuten, die Beatles hätten durchaus religiöse Bedeutung. All You Need Is Love spricht schließlich universale Gefühle an. Diesen Song kennen Menschen in der Mongolei oder Südafrika, in Deutschland oder Venezuela. Die Beatles seien so etwas wie eine universale Vereinbarung, meinte einmal der Spiegel, „eine globale Übereinkunft, ungefähr so gültig wie die Uno-Charta“[1].

Universale Geltung hätte dann auch „All You Need Is Love“. „Alles, was du brauchst, ist Liebe. Liebe ist alles, was du brauchst.“ Für alle auf der Welt würde also gelten: „All You Need Is Love“. …

Die Beatles haben das offensichtlich so gemeint. Sonst hätten sie als Intro zu dem Song nicht die Marseillaise gewählt, die französische Nationalhymne.

 

 

Ich vermute, dass John Lennon weniger an den blutrünstigen Text der Marseillaise gedacht hat, als er das Lied schrieb. Er hatte die Melodie im Kopf und das, wofür sie steht. Die Marseillaise ist nicht allein die französische Nationalhymne, sie ist die Hymne der Freiheit schlechthin.

In Tony Curtis Filmklassiker Casablanca gibt es eine berühmte Szene. In Rick´s Café singen deutsche Offiziere von einem Klavier begleitet die Wacht am Rhein. Unterstützt von einer kleinen Kapelle und unter den Augen einer schmachtenden Ingrid Bergmann stimmen die Franzosen die Marseillaise an. Und übertönen schließlich die deutsche Wacht am Rhein. Freiheit, Gleichheit, Solidarität statt Unterdrückung und Standesunterschieden, statt Rassismus oder Egoismus dafür steht die Marseillaise, für diese Werte der französischen Revolution.

 

Die Liebe, die die Beatles in „All You Need Is Love“ besingen ist also keine Gefühlsduselei. Diese Liebe ist politisch eingespurt. Vielleicht ist jene Liebe, die alles ist, was du brauchst, eine der Triebfedern, sich überhaupt einsetzen zu können: für die Freiheit, für den menschenrechtlichen Grundsatz: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Und: sie sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen. Bevor der Beatles-Song überhaupt losgeht, ertönt die Hymne der Freiheit!

 

 

Aber nicht nur am Anfang von „All You Need Is Love“ zitieren die Beatles andere Melodien. Am Schluss des Songs hören wir eine längere Klangcollage, Fetzen verschiedenster Musiktitel:

 

„In The Mood“ war leicht zu erkennen. Johann Sebastian Bachs achte Invention für Klavier schwieriger. Die Melodie wurde von einer Trompete gespielt. Warum zitieren die Beatles am Ende von „All You Need Is Love“ Bachs achte Invention für Klavier?

 

 

Ich glaube, das ist die beliebteste von Bachs Inventionen für Klavier, jedenfalls die am häufigsten gespielte. Warum? Ich vermute, weil sie nur so sprüht vor Lebensfreude. Und das passt zum Song. In einer Gebrauchsanweisung für die Inventionen meinte Bach, sie seien eine – so wörtlich – „aufrichtige Anleitung“,

 

„wormit den Liebhabern des Clavires, besonders aber denen Lehrbegierigen, eine deütliche Art gezeiget wird, eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und darneben einen starcken Vorschmack von der Composition zu überkommen.“

 

Also: Ist „All You Need Is Love“ vielleicht eine Art aufrichtiger Anleitung sagen wir – für die Liebhaber des Lebens, eine „cantable Art im Spielen zu erlangen“? Also: das Leben neu einzuüben?

 

Es gibt nichts, was du tun kannst, das nicht getan werden kann, niemand, den du nicht retten kannst.

Es gibt nichts, was du wissen kannst, das nicht gewusst werden kann,

nichts, was du sehen kannst, das nicht gezeigt werden kann.

Du kannst lernen, wie das Spiel zu spielen ist.

Es ist einfach.

 

Singen die Beatles.Und wie ist das Spiel zu spielen? Was macht es so einfach?

 

Alles, was du brauchst, ist Liebe

Liebe ist alles, was du brauchst.

All You Need Is Love.“

 

Ist es wirklich so einfach? Und Gewalt oder Terror, Krieg oder menschliche Niedertracht verschwänden, wenn es nur genug Liebe gäbe?

 

Alle menschlichen Verfehlungen sind das Ergebnis eines Mangels an Liebe.“

 

Meinte vor 100 Jahren jedenfalls der österreichische Tiefenpsychologe Alfred Adler. Sind tatsächlich alle menschlichen Verfehlungen auf einen Mangel an Liebe zurückzuführen? Kann man allen Hass und alle Niedertracht auf fehlende Liebe zurückführen? Wird alle kriminelle Energie vor allem aus der Kindheit gespeist? Weil dort Liebe gefehlt hat?

Ja: Kinder gedeihen am besten, wenn sie „in der Liebe bleiben“, also geliebt, geachtet und beachtet werden. Wenn Kinder aus der Liebe herausfallen, wenn sie sich nicht geliebt fühlen, dann tritt das ein, was man emotionale Verunsicherung nennt, vielleicht bloß ein anderes Wort für diffuse Angst.

Und diese Angst schlägt nicht selten um. Schlägt um in Hass, in Gewalt, in ziellose Aggression. Also doch: all you need is love? Im ersten Johannesbrief der Bibel hört es sich so an:

 

Gott … ist Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. … Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand sagt. Ich liebe Gott -, und hasst seinen Bruder, so ist er ein Lügner. Denn wer seine Schwester nicht liebt, die er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“

 

Welches Bild kommt einem in den Kopf wenn man den Satz hört: Gott ist Liebe. Martin Luther hat sich die Frage vor 500 Jahren gestellt. Und er hat einen berühmten Vorschlag gemacht.

„Wollte einer Gott malen“, soll Luther gesagt haben, „er müsste einen Abgrund von Feuer malen einen glühenden Backofen voll lauter Liebe.“ Dabei darf man sich nun keinen Elektroherd vorstellen. Auch die halten zwar die Hitze, aber nicht besonders lange. Nein: einen großen Bäcker- oder Bauernofen muss man sich vorstellen, der mitten in der Küche steht und um den herum das Leben stattfindet. Der mit Holz beheizt wird. und dessen Steine die Wärme lange halten, auch wenn das Brot längst gebacken ist. Wer sich von diesem Backofen-Liebe-Gott erwärmen lässt, bleibt in der Liebe, strahlt selber Wärme aus.

In der Liebe bleiben. Dass das geht, daran scheinen viele zu zweifeln. Viele haben Angst, aus der Liebe heraus zu fallen, nicht nur wenn sie trauern oder verlassen werden.

 

Furcht ist nicht in der Liebe, sondern: die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.“

 

Dorothee Sölle formulierte einmal in einem Gedicht, sie habe immer wissen wollen, was die vollkommene Liebe und wo sie zu finden sei. Dabei aber stolperte sie stets über die eigenen Füße. Dieses Stolpern beschreibt sie so:

 

„immer wenn ich meine ich könnte meine ängste nennen

dann finde ich unter der letzten eine allerletzte versteckt

und hinter der allerletzten von gestern kommt eine andere hervorgekrochen“[2]

 

Das kann ich gut nachempfinden, die Sehnsucht nach Ganzwerden, nach Einssein mit mir, mit den andern, mit Gott. Das Stolpern über die eigenen Füße verstehe ich ebenso gut. Das Stolpern über die eigenen Ängste, die eigene Lebensangst, die unmögliche Möglichkeit, aus der eignen Haut zu fahren. Angesichts dieses Dilemmas meint Sölle schließlich:

 

auch die unvollkommene liebe sag ich mir

treibt und treibt aus“[3]

 

Auch die unvollkommene Liebe treibt die Angst aus, treibt sie vor sich her wie der Wind die Wolken. Die vollkommene Liebe gehört Gott allein, sie ist sozusagen im Backofen drin. An der unvollkommenen Liebe brauchen wir also nicht zu verzweifeln. Sie wärmt und vertreibt die Angst.

 

„Gott … ist Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“

 

Ich verstehe das so: Wir wurden getragen, ehe wir auf eignen Füßen gehen konnten, angesprochen, ehe wir ein eignes Wort über die Lippen brachten, zärtlich berührt, ehe wir greifen konnten. Und geliebt. Lange bevor wir irgendetwas begreifen konnten.

 

„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Wer so betet und meditiert, denk´ ich, lenkt seine Sinne auf die Quelle hin, die in jedem Menschen strömt. Wer so betet, übt sich darin, diesen Backofen-Liebe-Gott überhaupt wahrzunehmen. Wer diesen Backofen-Liebe-Gott im eigenen Leben wahrnimmt, kann selber Wärme abstrahlen, weitergeben. Zur Liebe zwingen kann man keinen Menschen. Befehlen lässt sich Liebe nicht. Man kann Menschen zur Arbeit zwingen oder in die Arbeitslosigkeit.

Man kann Menschen befehlen, ihre Heimat zu verlassen. Liebe ... kann man nicht befehlen und nicht erzwingen. Zum Glück! Wir können lernen, wie dieses Spiel zu spielen ist, behaupteten die Beatles. Es ist einfach: „All you need is love“.

 

[1] Der Spiegel, Nr. 21 vom 22.5.2010, 110

[2] Dorothee Sölle, spiel doch von brot und rosen, gedichte, Berlin 1981, 66 (1. johannes 4 vers 16)

[3] aaO

25.06.2017
Pfarrer Peter Oldenbruch