Christen aus dem Nahen Osten

Am Sonntagmorgen
Christen aus dem Nahen Osten
Flüchtlinge leben ihren Glauben
14.02.2016 - 08:35
10.01.2016
Gunnar Lammert-Türk

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Amill Gorgis: Das war das Schönste eigentlich an Syrien, wenn jemand mit offenen Augen das Land bereist hat, dann hat man die aramäischen Hymnen gehört, und dann hat man die armenischen Hymnen gehört, dann hat man griechische Hymnen gehört, man hat kurdische Gesänge gehört, tscherkessische, turkmenische, also die ganze Vielfalt der Kulturen hat man in diesem Land erlebt. Das ist ein Mosaik von religiöser und kultureller Vielfalt.

 

In diesem Mosaik ist der syrische Christ Amill Gorgis aufgewachsen. 1970 ging er nach Deutschland. Die kulturelle und religiöse Vielfalt prägte Syrien auch viele Jahre nach seinem Weggang. Denn so problematisch der diktatorisch geführte syrische Staat in mancher Hinsicht ist, er wachte darüber, dass Spannungen zwischen Religions- und Volksgemeinschaften nicht zum Ausbruch kamen. Bis der Irak im Chaos versank, der so genannte Islamische Staat an Boden gewann und in Syrien der Bürgerkrieg ausbrach. Seitdem sind die Christen auch hier Verfolgung und Drangsal ausgeliefert. Und es bewahrheitet sich schmerzlich, was schon vor langer Zeit einer der Gelehrten der syrischen Kirche gesagt hat: Es ist ein Wunder, dass die syrische Kirche bis heute besteht. Und dass sie besteht, verdankt sie zwei Dingen: dem Schatz ihrer Liturgie und dem Vorbild der Märtyrer.

 

Amill Gorgis: Das ist tatsächlich sehr tief in der Seele der Christen im Orient verankert. Sie wissen wohl, dass viele um den Preis ihres Lebens treu zum Glauben geblieben sind. Und sie stehen heute noch vor dieser Entscheidung.

 

Ihre Klöster und Kirchen werden zerstört, in Moscheen und andere muslimische Einrichtungen umgewandelt. Ihre Kinder werden entführt, und um sie gegen hohe Lösegelder frei zu bekommen, verkaufen sie, was ihnen gehört und verarmen. Der Islamische Staat und andere radikal islamistische Gruppen nehmen ihnen ihr Hab und Gut. Oft unter Bedrohung des Lebens, es sei denn, sie verleugnen ihre Religion und konvertieren zum Islam. Und immer wieder zahlen Christen für ihren Glauben mit dem eigenen Leben.

 

Amill Gorgis: Das sind aber keine Priester oder keine Christen, die jeden Tag in die Kirche gehen, sondern sie wissen, dass sie in diesem Glauben aufgewachsen sind. Es bedeutet ihnen etwas, was Jesus gesagt hat von dem guten Samariter, von der Liebe, von der Barmherzigkeit, von der Vergebung, und das hat ihre Seele geprägt, auch wenn man wirklich nicht jeden Tag ständig im Gebet vor Gott steht.

 

Sie wollen ihrem Glauben und ihrer Tradition treu bleiben, die so alt ist wie das Christentum und viele Generationen geprägt hat. Nun ist das nur noch unter großen Entbehrungen und permanenter Bedrohung möglich. Deshalb und auch wegen der Verwüstungen und Gefahren, die der Bürgerkrieg für alle Syrer mit sich bringt, fliehen viele von ihnen. In Berlin kümmert sich Amill Gorgis um etwa hundert von ihnen. Sie vermissen die Heimat und denken voll Wehmut an die Zeit zurück, als sie dort in eigenen Vierteln und in solchen mit einer christlichen Mehrheit recht unbeschadet leben und ihre Religion frei praktizieren konnten. Wie einer von ihnen sagt:

 

Syrischer geflohener Christ, übersetzt von Amill Gorgis: Man hat sich dort eigentlich in diesen christlichen Vierteln heimisch gefühlt. Aber als jetzt zunehmend der Krieg in Syrien fortgeschritten ist und sehr viele Flüchtlinge in diesen Vierteln aufgenommen worden sind, hat sich der Charakter dieser Viertel auch verändert, so dass er dort zum Schluss nur noch sich fremd gefühlt hat. Und um diesem Zustand zu entfliehen, ist er nach Europa gekommen, weil er sich gesagt hat, er will das, was er dort verloren hat, hier wieder finden.

 

Die syrischen Christen möchten hier aufatmen, Entlastung von den durchstandenen Strapazen und Ängsten erfahren, wieder sicher leben. Sie fühlen sich der Gesellschaft, in der sie Aufnahme gefunden haben, verbunden. Denn sie sind mit der Hoffnung und der Erwartung gekommen, dass ihre Vorstellungen und die hier vorherrschenden sich weitgehend decken.

 

Syrischer geflohener Christ, übersetzt von Amill Gorgis: Das sind Menschen, das sind Christen, die eigentlich die gleichen Werte teilen mit der Gesellschaft hier, zumindest die humanistischen Werte, auch was Traditionspflege angeht. Wir sind nicht fremd. Bei uns sind alle kirchlichen Feiertage schon bekannt, also wir leben sie nicht nur ... von der Liturgie her, sondern auch von der Denkweise, von der Einstellung her. Und man hat das Gefühl, dass wir diejenigen sind, die fremd hier sind.

 

Der Mann hat mit einigen anderen syrischen Christen eine zeitweilige Unterkunft bei einer katholischen Gemeinde in Berlin gefunden. Sie erzählen ihre Erlebnisse in den ersten Monaten nach ihrer Ankunft. Amill Gorgis hört sie sich an und übersetzt. Sie fühlen sich fremd, weil sie den Eindruck haben, dass die Gesellschaft, in die sie gekommen sind, sie nur wenig wahrnimmt, dass kaum jemand sieht, mit welchen Nöten sie hier umgehen müssen. Ein junger Mann erzählt, wie es ihm in Eisenhüttenstadt erging, als er die Wurst, die muslimische Flüchtlinge im Lager zu essen ablehnten, bedenkenlos zu sich nahm.

 

Syrischer geflohener Christ, übersetzt von Amill Gorgis: Wenn er einen Teller in der Hand genommen hat oder ein Glas, dann haben sie gesagt, Gott verdamme denjenigen, der diese Tasse getragen hat oder diesen Teller genommen hat. Sie sind ihm aus dem Weg gegangen, so dass er sich plötzlich allein gefühlt hat und eigentlich auch Angst bekommen hat. Sie haben es durchgesetzt, dass ich als einziger Christ unter dreihundert syrischen Flüchtlingen so alleine stehe. Sie haben allen verboten, überhaupt Kontakt mit mir aufzunehmen, weil ich eben ein Aussätziger bin.

 

Als „Kafir“ werden sie immer wieder von muslimischen Flüchtlingen bezeichnet, als Gottesleugner und Ungläubige, als unrein und minderwert. Deshalb verbergen die syrischen Christen nicht selten ihre religiöse Identität und verstecken die Kreuze, die sie tragen. Denn sie sind in den Flüchtlingsunterkünften in der Minderzahl, eine Handvoll gegenüber mehreren Hundert, die ihnen nicht immer freundlich gesonnen sind.

 

In den Flüchtlingsunterkünften, in denen den syrischen Christen eine bedrohliche Atmosphäre entgegenschlägt, ist die Situation natürlich aufgeladen. Kaum Privatsphäre, das Nachwirken der Kriegs- und der Fluchterlebnisse, die Unsicherheit gegenüber der neuen Umgebung – das alles sorgt für Reibereien und Spannung. So mag sich manches ungute Verhalten erklären, wenn auch nicht jedes. Umso mehr irritiert es die syrischen Christen, dass sie auch außerhalb der Flüchtlingsunterkünfte solche Erlebnisse haben. Einer von ihnen fand Unterkunft in einer Wohngemeinschaft in Berlin-Schöneberg. Dort wohnte ein Palästinenser. Nach den Angriffen auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo sagte dieser zu ihm, sie würden sich wehren gegen die Angriffe, die sie in Europa erfahren hätten und sie würden den Menschen hier Angst einjagen.

 

Syrischer geflohener Christ, übersetzt von Amill Gorgis: Als er das sagte, das ist ein Palästinenser, der über 30 Jahre hier in Deutschland lebt, hat er mit der Angst bekommen. Wenn er mal mitbekäme, ja, dass er Christ ist, dann dachte er, Mensch also, dann ist es nicht gut um ihn bestellt, ja.

 

Natürlich sind das Ausschnitte aus dem Leben im neuen Land. Daneben gibt es andere Erlebnisse, auch in den Flüchtlingsunterkünften und auch mit muslimischen Flüchtlingen. Aber solche kritischen Erfahrungen treten in einer gewissen Häufung auf. Und vor allem: Sie lassen zuvor erlebte Schrecken wieder aufleben. Es entsteht so der Eindruck, dass ihnen das, dem sie hofften, entkommen zu sein, wieder begegnet. Wie einer syrischen Christin, die am Landesamt für Gesundheit und Soziales mit anderen Flüchtlingen anstand.

 

Syrische geflohene Christin, übersetzt von Amill Gorgis: Da war ein Afghane, der stand neben ihr und aus Versehen ihre Schulter hat ihn berührt, ja. Und er hat ihr gesagt, das ist eine Sünde, ja also, dass sie ihn berührt hat. Sie ist unverschleiert und Gott sieht das, und Gott wird solche Menschen enthaupten, wenn sie so unzüchtig sind. Und am Ende hat dieser Afghane das nicht ausgehalten, hat ein anderer Mensch zwischen ihm und ihr hingestellt, so dass er dann nicht direkt in ihrer Nähe ist.

 

War es hier der Schreck, so ist es bei anderer Gelegenheit auch manchmal Ärger über demonstratives, ignorantes und provokantes Verhalten muslimischer Flüchtlinge. Etwa im Deutschunterricht.

 

Syrischer geflohener Christ, übersetzt von Amill Gorgis: bringen ihre Mobile mit und diese Mobile ruft sie zu einer bestimmten Zeit zum Gebet auf. Am Anfang war das so, dass sie nur im Mobile einfach spielen ließen. Das erste Mal hat die Lehrerin richtig Angst bekommen und hat sich unter dem Tisch versteckt. Aber dann hat sie sich wohl dran gewöhnt und hat verstanden, was gemeint ist. Dann beim nächsten Mal haben sie ihre Teppiche mitgebracht und haben angefangen, mitten im Unterricht ihr Gebet zu verrichten.

 

Je länger die syrischen Christen in Deutschland leben, umso mehr werden sie auch andere Begegnungen mit Muslimen haben, denn es gibt ja die, die offen und aufgeschlossen sind. Die Auseinandersetzung mit denen, die mit verbaler Demütigung und Drohgebärde anders Glaubenden und anders Lebenden begegnen, muss sowohl von der Mehrheit der hier schon länger lebenden Muslime wahrgenommen werden als auch von der ganzen Gesellschaft. Dazu gibt es keine Alternative, meint auch Amill Gorgis.

 

Amill Gorgis: Es gibt viele Stimmen, die sagen, man muss die Christen von den Muslimen trennen, das ist nicht die Lösung, wir leben in einer Gesellschaft und wir müssen diese Denkweise versuchen, durch Dialog, durch Gespräche zu korrigieren. Das ist nicht nur im Sinne der orientalischen Christen, sondern auch im Sinne der hiesigen Gesellschaft von Bedeutung.

 

Amill Gorgis würde es begrüßen, wenn die syrischen Christen nicht vereinzelt in den Flüchtlingsunterkünften untergebracht würden, sondern in größeren Gruppen, die ihnen Rückhalt geben und sie den erfahrenen Erniedrigungen und Bedrohungen gegenüber weniger angreifbar machen. Und er wünscht sich, dass die Gesellschaft und auch die Christen in Deutschland ihre negativen Erfahrungen ernster nehmen als sie das bisher erlebt haben.

Für jene, die ihnen mit Hass und Gewalt begegnen, im nahen Osten ebenso wie im Land ihrer Zuflucht, erbitten und erhoffen sie einen Sinneswandel.

 

Amill Gorgis: Bei allem, was wir an Verfolgung und an Grausamkeiten erleben, wir haben die Hoffnung, und wir dürfen auch diese Hoffnung nicht verlieren, dass Gott ihnen einen Moment schenkt, wo sie drüber nachdenken über ihre Taten und eine Umkehr erfahren.

 

Trost schöpfen die syrischen Christen aus ihrer reichen, jahrhundertealten Liturgie mit ihrer tiefsinnigen Bildsprache und ihren bewegenden Hymnen. Viele von ihnen singen und erleben sie noch in der Sprache, die so alt ist wie das Christentum selbst, das Aramäische, das schon Jesus gesprochen hat. In dieser Sprache verehrt die leidgeprüfte syrische Christenheit auch ihr großes Vorbild, den ersten Märtyrer Stephanus, der Christus nachfolgend, für jene gebetet hat, die ihn zu Tode brachten. Jeden Sonntag erwähnt die syrisch-orthodoxe Kirche Stephanus in ihren Fürbitten. Und am Stephanustag heißt es in der aramäisch gesungenen Liturgie:

 

Amill Gorgis: (gesungener Lobpreis des Stephanus mit Übersetzung) „Der erste unter den Märtyrern ist Stephanus. Wegen der Wahrheit wurde er gesteinigt. Und jetzt kann er sich oben erfreuen mit seinem Meister, dem Bräutigam in der Höhe. O Märtyrer, der Du im Sterben lagst und hast gebetet für Deine Steiniger, so wie Dein Meister es Dich gelehrt hat, dass Du betest für die, die Dich verfolgen.“

10.01.2016
Gunnar Lammert-Türk