Commander Noah

Stanford-Torus, NASA

Stanford-Torus, NASA

Commander Noah
Kurs zurück auf die Erde
31.05.2015 - 08:35
26.03.2015
Björn Raddatz

Wir schreiben das Jahr 2815. Die Menschheit liegt genauso gelangweilt wie fettleibig in ihren voll­automatischen Sänften-Liegestühlen herum und tut nichts. Es gibt auch nicht viel zu tun: Der Lebensraum ist schließlich begrenzt, verglichen mit dem Platz auf der Erde.

 

Auf einem Raumschiff, weit entfernt vom Heimatplaneten, schwebt der Rest der Nachfahren von uns Erdbewohnern durchs Weltall. Schon vor Generationen, rund 700 Jahre weit zurück in der Vergangenheit, so etwa im Jahr 2100, ist die Axiom, ein gigantisches Superraumschiff, gestartet. Fünf Jahre sollte die Reise dauern. Genau so lange, wie es dauern sollte, die Erde aufzuräumen. Maschinell. Die Menschheit nämlich hatte den Planet zugemüllt. Und so lange Roboter den Schutt unten auf der Erde zur Seite räumen, hat die Menschheit sich ins All gerettet, raus aus dem Unrat und der vergifteten Luft.

 

Aber fünf Jahre haben nicht gereicht. Noch nach 700 Jahren sind die Müllberge kaum kleiner, die meisten Roboter längst defekt, nur einer räumt noch auf: Ein letzter „Waste Allocation Load Lifter – Earth-Class“. Oder abgekürzt: Wall-E. So erzählt es Hollywood im Disney-Pixar-Film WALL-E, der 2009 den Oscar als bester Animationsfilm abgeräumt hat.

„Rette sich wer kann“ - Überleben heißt im Film: Das Heil in der Flucht suchen. Sich der Technik anvertrauen und von der Erdoberfläche weg bewegen.

 

 

Wir schreiben ein Jahr in grauer Vorzeit, weit vor Christi Geburt. Der klägliche Rest der Menschheit sitzt oben auf einem Holzkasten voller Tiere und sucht den Horizont nach Land ab.  Aber da ist nur Wasser. Immer noch. Immerhin: Noah und seine Familie sind gerettet!

 

Gen 6, 13ff.: Da sprach Gott zu Noah: (…) Mache Dir einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech innen und außen. Und mache ihn so: 300 Ellen sei die Länge, 50 Ellen die Breite und 30 Ellen die Höhe. Ein Fenster sollst Du daran machen, obenan, eine Elle groß. Die Tür sollst Du mitten in die Seite setzen. Und er soll drei Stockwerke haben, eines unten, eines in der Mitte, eines oben. Denn siehe, ich will eine Sintflut kommen lassen auf Erden. (…) Aber mit Dir will ich meinen Bund aufrichten, und du sollst in die Arche gehen mit deinen Söhnen, mit deiner Frau und mit den Frauen deiner Söhne.

 

…und bekanntermaßen mit einem Stall voller Tiere, paarweise. Die alte Geschichte aus der Bibel, ganz am Anfang, im ersten Buch Mose wird sie erzählt. Eine Bauanleitung wird da überliefert: Der Landratte Noah wird für seinen großen Tiertransporter der Befehl erteilt, dass er die Ritzen zwischen den Holzplanken mit Pech vor Wassereinbruch schützen soll. Länge, Höhe, Breite, Anzahl der Stockwerke: Alles genau geplant. Das Verhältnis von Länge zu Breite und zur Höhe entspricht erstaunlich exakt dem Idealmaß für große Schiffe, das auch heute noch für Ozeanriesen, für wirklich große Schiffe gilt. Denn groß war die Arche: Wenn eine Elle auch schon zu biblischen Zeiten etwa die Länge eines Unterarmes angab, dann war die Arche mehr als halb so groß wie die Titanic. - Das heißt nicht, dass es die Arche wirklich gab. Aber es heißt zumindest, dass die Autoren der Noah-Geschichte wussten, wie man Schiffe baut - und dann gemessen an den Maßstäben der Schiffe ihrer Zeit hemmungslos übertrieben haben. „Rette sich wer kann“ - Überleben heißt also auch in der biblischen Erzählung: Das Heil in der Flucht suchen. Sich der Technik anvertrauen und von der Erdoberfläche weg bewegen.

 

 

Johann-Dietrich Wörner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Am 1. Juli 2015 wird er Generaldirektor der European Space Agency (Esa). Er denkt laut darüber nach, ob die Menschheit ihre Zukunft auf dem Mars suchen sollte:

 

„Ich glaube, das wird noch länger dauern, 30, 40 Jahre bestimmt. Damit das gelingt, muss man technologisch noch einen richtig großen Sprung nach vorn machen. Nach aller Erfahrung dauert das seine Zeit. Aber ich garantiere Ihnen: Der Mensch wird zum Mars fliegen, spätestens dann, wenn es hier auf der Erde zu warm ist.“

 

Aus der Science Fiction von Wall-E wird Realität? Ernsthafte Wissenschaft forscht, damit Menschen auf den Mars ausweichen können, falls etwa der Klimawandel das Leben auf der Erde unmöglich macht? Menschen könnten sich also der Raumfahrttechnik anvertrauen und ihr Heil tatsächlich in der Flucht suchen? Zumindest die wenigen, die es sich leisten können. So richtig realistisch scheint das Szenario auch in 30 oder 40 Jahren nicht. Und falls doch: Möchte ich wirklich im Rentenalter in eine Raumstation auf den Mars auswandern?

 

 

Von Noah und seiner Familie haben acht Menschen überlebt. Mehr sind es nicht. Der Rest ist in den Fluten ertrunken. In der Bibel heißt es:

 

Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden und es bekümmerte ihn in seinem Herzen und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe vertilgen von der Erde. Aber Noah fand Gnade vor dem Herrn.

 

Die Rolle von Gott ist in diesem Teil der Noah-Geschichte wenig sympathisch. Archaisch, zornig, missgünstig erscheint er hier. Gott, der Schöpfer, bedauert es, den Menschen geschaffen zu haben. Die Menschen, die er geschaffen hat, will er vernichten.  Die Autoren der Noah-Erzählung geben nicht Gott die Schuld an diesem Desaster, sondern den Menschen. Deren Bosheit, deren bösem Denken und Tun. Gott ist gerecht und straft die Menschen dafür mit der Sintflut.

Solche Deutungen gibt es noch immer. Nach dem Tsunami an den Küsten des Pazifik am Weihnachtstag des Jahres 2006 haben sich Menschen darauf bezogen: Da straft ein Gott die verdorbene Menschheit. Für europäische Christinnen und Christen ist der Gedanke heute absurd. Ein Tsunami ist nicht die Tat und schon gar nicht die Strafe Gottes, sondern hat seine Ursachen in unterseeischen Beben, in Erdplatten-Tektonik, in Stürmen. Inzwischen sind an vielen gefährdeten Küsten Frühwarnsysteme installiert worden. „Rette sich wer kann“ heißt also an gefährdeten Küsten: Sich der Technik anvertrauen und vom Strand verschwinden, wenn das System anschlägt.

 

 

Wenn der Tsunami von 2006 keine Tat Gottes ist - sollte es sich mit einer Sintflut dann nicht ähnlich verhalten? In der ZDF-Dokusendung Terra X wurde in der Folge „Klima macht Geschichte“ diese Deutung vorgelegt, die einen Klimawandel, das Ende einer Eiszeit, für die Sintflut verantwortlich macht:

 

 „Um 6200 vor Christus bahnt sich auf dem amerikanischen Kontinent Unheil an. Für das Schmelzwasser des Agassiz-Sees, der doppelt so groß wie Deutschland ist, gibt es kein Halten mehr. Es stürzt in den Atlantischen Ozean und stoppt die Warmwasserzufuhr des Golfstroms nach Europa. Zudem sorgt die Gletscherschmelze für ein gigantisches Ansteigen der Meere um weltweit 120 Meter. Die massive Bedrohung seines Lebensraums hat der Mensch nie vergessen. Das Gilgamesch-Epos beschreibt die "Sintflut" ebenso bildhaft wie die Bibel oder der Koran.“

 

Einen Anstieg der Meeresspiegel gab es also schon einmal in der Erdgeschichte. Vor Jahrtausenden ging es nicht um wenige Meter - wie heute, beim wahrscheinlich menschengemachten Klimawandel - sondern um über hundert Meter. Verständlich, dass der Mensch diese massive Bedrohung nie vergessen hat. Das Auslaufen des Agassiz-Sees geschah 5.000 Jahre bevor die Noah-Geschichte schriftlich fixiert wurde. Und doch lässt sich die Sintflut-Erzählung als Nachhall darauf verstehen. Unzählige Generationen von Menschen haben die Geschichte von der großen Flut und ihre Deutung am sicheren Lagerfeuer weitererzählt, bis sie aufgeschrieben wurde. Wobei: Die Bibel bleibt mit ihrer Deutung der Sintflut keineswegs bei dem strafenden Gott stehen. Das Ziel der Geschichte ist ein anderes - das steht erst ganz am Ende der Noah-Geschichte.

 

 

Zurück in die Zukunft, in das Jahr 2815 auf das Raumschiff Axiom. Hier herrscht Aufregung wegen Eve. Eve ist die Abkürzung für „Extraterrestrial Vegetation Evaluator“ - eine Raumsonde, die vom Raumschiff aus auf die Erde geschickt wird, um zu evaluieren, ob dort wieder Leben möglich ist. Und nach 700 Jahren passiert die Sensation: Eve findet eine Pflanze. Es gibt also Leben unten auf der Erde!

 

(Gen 8, 4 ff.)  Am siebzehnten Tag des siebenten Monats ließ sich die Arche nieder auf das Gebirge Ararat. Es nahmen aber die Wasser immer mehr ab bis auf den zehnten Monat. (…) Nach vierzig Tagen tat Noah das Fenster auf an der Arche, das er gemacht hatte. (…) Danach ließ er eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, ob sich die Wasser verlaufen hätten auf Erden. Da die Taube aber nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zurück zu ihm auf die Arche. (…) Da harrte er noch weitere sieben Tage und ließ abermals eine Taube fliegen aus der Arche. Die kam zu ihm um die Abendzeit - und siehe: ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trug’s in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, dass sich die Wasser verlaufen hätten auf Erden.

 

Noah hat es vergleichsweise leicht: Seine Arche hat schon festen Boden unter dem Kiel, als er die Taube ausschickt. Er wartet noch ein paar Tage, dann lässt er die Tiere alle wieder frei.

 

 

Bis das Raumschiff Axiom auf der Erde landet, müssen der rostige und dreckige Müll-Roboter Wall-E und die gleißend weiße, glänzende, glatte Sonde Eve einige Abenteuer bestehen - aber zum Filmende hin öffnet sich auch hier die Ausstiegsluke und die Menschen betreten mit wackeligen Beinen wieder den Erdboden. Endlich. Am Ziel.

 

 

Wir kommen zurück auf den Boden // es gibt keinen besseren Ort anzusteuern // Wir werden uns um das Land kümmern // und wir werden Samen mit dem Wind verstreuen.

 

 

Auch in der biblischen Noah-Geschichte kommt das Ziel -quasi wie im Film- erst im Abspann. Am Ende wird aus der Geschichte einer Bedrohung eine Erzählung der Zuversicht - mit einem Vertrag zwischen Gott und Menschen. Sein Siegel ist noch heute am Himmel zu sehen – der Regenbogen:

 

(Gen 8, 21b ff. Auswahl) Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen. Solange die Erde steht soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht. Seid fruchtbar und mehret Euch und regt Euch auf Erden. Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm: Siehe, ich richte mit Euch einen Bund auf; mit Euch und Euren Nachkommen. Und das ist das Zeichen meines Bundes: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt.

 

 „Rette sich wer kann“ – Am Ende ist es also ein Anfang. Überleben heißt in Wirklichkeit: Das Heil liegt auf der Erde und nicht in der Flucht. Von ihr und auf ihr lässt es sich leben. Und zwar so, dass der Regenbogen auch kommenden Generationen noch als Zeichen des Bundes erscheint - und die Menschheit des Jahres 2100 nicht mit einem Raumschiff zum Mars abheben muss.

 

 

We're coming down to the ground

There's no better place to go

We've got snow upon the mountains

We've got rivers down below

We're coming down to the ground

We'll hear the birds sing in the trees

And the land will be looked after

We'll send the seeds out in the breeze

 

 

 

 

Quelle Zitat Wörner: http://www.zeit.de/wissen/2014-12/woerner-esa-bemannte-raumfahrt

Quelle Agassizsee: http://www.zdf.de/terra-x/klima-macht-geschichte-vom-neandertaler-bis-zum-alten-rom-36558236.html

26.03.2015
Björn Raddatz