Der Herr sei zwischen mir und dir

Zwei Freunde vor Sonnenuntergang

gemeinfrei via unsplash.com/ Tyler Nix

Der Herr sei zwischen mir und dir
Die Geschichte einer Freundschaft
19.07.2020 - 08:35
16.07.2020
Angelika Obert
Über die Sendung:

Hell und Dunkel, Gute und Böse, Gewinner und Verlierer – so einfach geht es nicht zu in den biblischen Geschichten. In ihnen geht es nicht um Helden, sondern um Gesegnete. Und am Ende geht es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um Versöhnung. Denn Gott ist nicht irgendwo, sondern zwischen uns. Die Geschichte einer Freundschaft von Pfarrerin Angelika Obert.

 "Am Sonntagmorgen" im Deutschlandfunk zum Nachhören und Nachlesen.

 
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Im Kino ist es ja meistens so: Da gibt es einen Helden, der für das Gute eintritt, und dazu muss er einen bösen Rivalen besiegen. Licht liegt auf dem Gewinner, ins Dunkle gehört der Verlierer. So schlicht geht es in den alten Erzählungen der Bibel nicht zu. Auch sie handeln von ganz besonderen Menschen, die zu Großem bestimmt sind. Bloß werden sie in der Bibel nicht ‚Helden‘ genannt, sondern Gesegnete. Gott hat sie erwählt. Gesegnet zu sein, bedeutet nicht, alles richtig zu machen. Die Helden der Bibel sind nicht ohne Schuld. Aber vor allem sind sie nicht als Einzelne unterwegs. Sie haben Brüder an ihrer Seite. Zu Jakob gehört Esau, zu Josef eine ganze Brüderschar, zu Mose Aaron, der für ihn die Reden hält. Die Brüder machen es den Erwählten nicht leicht. Sie verstehen Gottes Wege nicht. Der allzu menschliche Konflikt, die Rivalität, ist unvermeidlich. Aber am Ende geht es in diesen Erzählungen nicht um Sieg und Niederlage, sondern um Versöhnung. Auch die Gesegneten sind erst am Ziel, wenn sie mit ihren Brüdern im Reinen sind.

 

Und eine Erzählung gibt es, in der Streit überhaupt keine Rolle spielt: die Geschichte der Freundschaft zwischen David und Jonathan. Manche mögen sich erinnern: Ja, da war doch was mit Liebe. „Wundersamer war mir deine Liebe als Frauenliebe“ - so wird David um seinen erschlagenen Freund am Ende klagen. Oft wurde dieser Satz als Beleg dafür genommen, dass Homosexualität in der Bibel nicht immer bloß verboten ist. Warum soll die besondere Beziehung zwischen den beiden nicht auch so gedeutet werden? Nur sehr wahrscheinlich ist‘s nicht, wenn man bedenkt, wie dann von Davids endlosen Frauengeschichten die Rede ist. Was im ersten Buch Samuel von Jonathan und David erzählt wird, ist anders wundersam. Es wird nämlich berichtet, wie der Königssohn Jonathan klaglos auf seinen Thronanspruch verzichtet, weil er in dem jüngeren Draufgänger David einen Gesegneten erkennt.

 

Niemand weiß, wie es historisch gesehen dazu kam, dass die Israeliten schließlich doch einen König hatten. Zunächst hatten sie einen gemeinsamen Anführer ja immer nur dann gebraucht, wenn es galt, in den Kampf zu ziehen. Ständig gab es Streit mit den Nachbarvölkern. Besonders bedrohlich waren dabei die Philister, die bereits über Eisenwaffen verfügten. Wenn wir einen König hätten, wären wir schlagkräftiger, dachten die Israeliten schließlich. So wird es jedenfalls im 1. Buch Samuel erzählt. Aber das will ja kein historisches, sondern ein theologisches Buch sein: Gott hat da in der Geschichte seines Volkes immer mitzureden. Und Gott ist vom Wunsch des Volkes überhaupt nicht begeistert: Ein König wird euch nicht stark machen, sondern schwächen. Ihr werdet ihm dienen müssen. Er und sein Hofstaat werden von eurer Arbeit leben. Das lässt er den Israeliten ausrichten und gibt dann doch klein bei: Wenn ihr unbedingt einen König wollt – bitte schön, ihr sollt ihn haben Und so erwählt Gott den Saul, der einen Kopf größer ist als die andern, und begabt ihn mit seinem Geist. Es scheint aber auch Groll darunter gemischt zu sein, denn Saul hat ein friedloses Herz. Es geht nicht lange gut mit ihm.

 

Eigenartig von Anfang an ist die Spannung zu seinem Sohn Jonathan, der ja nun zu seinem Nachfolger bestimmt ist. Alles spricht dafür, dass Jonathan sich dafür auch eignet: Selbstbewusst tritt er auf, handelt gern auf eigene Faust. So überwindet er einmal die Wache der feindlichen Philister, indem er sich in einer gefährlichen Kletterpartie von hinten an sie anschleicht. Es folgt eine Schlacht, in der er siegreich kämpft, aber in den Augen seines Vaters doch einen schwerwiegenden Fehler macht: Denn Saul hatte in einem Augenblick der Gefahr den Schwur geleistet, niemand dürfe etwas essen, bevor der Kampf vorbei sei. Jonathan aber hatte nicht zugehört und sich mitten in der Schlacht mit Honig gestärkt. Als die Sache herauskommt, will Saul seinen Sohn opfern. Es ist das Volk, das für Jonathan eintritt und ihn rettet. Ihm ist der Sieg über die Philister schließlich zu verdanken.

 

Wenig später ist es sein Vater Saul selbst, der ein Geheiß Gottes übertritt. Er macht Beute, wo er nicht Beute machen sollte, und schon hat Gott genug von ihm und entzieht ihm seinen Segen. In aller Stille wird der Gottesmann Samuel ausgesandt, um einen neuen Gesegneten zu salben: David soll es sein, der jüngste von den Söhnen Isais, der noch als Hirte bei den Herden seines Vaters dient. Mit David will Gott sich nicht noch einmal irren: Ihm wird der Segen überreich zuteil. Schön ist er, mutig, fromm, klug und obendrein auch musikalisch. Alles kann er, alles wagt er. Und so ist er es dann auch, der die nun glücklos gewordenen Israeliten rettet. Gänzlich ungerüstet, allein mit seiner Steinschleuder besiegt David den riesenhaften Philister Goliath.

 

Das Volk bejubelt ihn als Retter. Saul holt ihn als besten Mann an seinen Hof. Aber dann fängt er schon bald an, den jungen Strahlemann zu hassen, dem alles gelingt und den alle bewundern. Warum muss er selbst bloß so glücklos sein? Nur einer hätte wohl noch mehr Grund, in David den Rivalen zu wittern, der ihm den Rang streitig machen wird: Jonathan, der Königssohn. Aber er tut‘s nicht.

 

 „Und Jonathan schloss mit David einen Bund, denn er hatte ihn lieb wie sein eigenes Herz. Und Jonathan zog seinen Rock aus, den er anhatte, und gab ihn David, dazu seine Rüstung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gurt.“ (1. Sam. 18, 3 – 4)

 

So wird erzählt, gleich nach Davids Heldensieg über Goliath. Keine Spur von Neid scheint Jonathans Herz zu verschatten. Im Gegenteil: Voller Zuneigung sieht er, dass sie einander ebenbürtig sind – mehr noch, dass es wohl David ist, über dessen Leben der Segen ruht, der ihm versagt ist. Er wehrt sich nicht gegen Gottes Wahl. Aber er fügt sich auch nicht bloß, sondern er bejaht sie von Herzen. Nicht aus Schwäche verbündet er sich mit David, eine Kämpfernatur ist er ja auch. Nur dass er sich selbst und seinen Rang offenbar nicht über den anderen stellt. Die Freundschaft ist ihm wichtiger. Und mit ihr die Verantwortung, die er für den jungen David übernimmt. Es klingt so, als sei David nicht nur von Gott erwählt, sondern auch von Jonathan.

 

 

Gewiss ist: David braucht Jonathan. Ohne den Freund an seiner Seite wäre David der Wut Sauls nicht entkommen. Sauls verdüstertes Gemüt ist geradezu besessen von der Idee, David aus dem Weg zu räumen. Unerträglich ist ihm der Gedanke, das Königtum könne ihm genommen werden. Unerträglich die Tatsache, dass David mehr geliebt wird als er. In der biblischen Erzählung heißt es lapidar:

 

 „Als nun Saul sah, dass David alles so gut gelang, graute es ihm vor David.“  (1. Samuel 18, 15)

 

Immer wieder bricht wilder Hass in ihm auf, der wohl auch abgrundtiefe Verzweiflung ist. Mal wirft er seinen Spieß nach David, gerade wenn der ihn mit seinem Harfenspiel aufmuntern will. Mal schickt er ihn in eine gefährliche Schlacht in der Hoffnung, er würde dabei umkommen. Aber David doch nicht! Nein, er kommt als Sieger nach Hause und darf die Königstochter Michal heiraten. Und nun heißt es:

 

„Da fürchtete sich Saul noch mehr vor David und wurde sein Feind sein Leben lang.“ (1. Samuel 18, 29)

 

Wieder schmiedet er Mordpläne und es ist Jonathan, der David rettet und dann seinem Vater Saul ins Gewissen redet. Saul lässt sich beruhigen, aber nicht lange. Bald unternimmt er neue Anschläge. David kommt zwar immer wieder davon, aber fühlt sich nun doch wie ein gehetztes Tier.

 

 „Was habe ich getan? Was ist meine Schuld? Was habe ich gesündigt vor deinem Vater, dass er mir nach dem Leben trachtet?“      (1. Sam. 20, 2)

 

So klagt David vor Jonathan. Und der Freund verspricht ihm: „Ich werde dich beschützen. Was soll ich für dich tun?“ „Du sollst für mich lügen“, antwortet David. „Ich werde morgen nicht am königlichen Festmahl teilnehmen, sondern mich verstecken. Und du sollst sagen, dass ich zu meiner Familie musste. Wenn der König das akzeptiert, mag es gut sein. Wenn er wütend wird, dann ist klar, dass er Böses im Schilde führt. Dann gib mir ein Zeichen.“

Jonathan schwört: Ich werde Dir helfen zu fliehen. Dabei ahnt er wohl: David retten – das bedeutet, einzuwilligen in den eigenen Niedergang. So segnet er den Freund schon als künftigen König.

 

„Der Herr sei mit dir, wie er mit meinem Vater gewesen ist.“ (1. Samuel 20,13b)

 

Er sieht Davids Siegeszug voraus und hat nur eine Bitte:

 

„Sei barmherzig mit mir und meiner Familie. Und lösch meinen Namen nicht aus.“ (1. Samuel 20,15)

 

Es kommt das Festmahl, bei dem David fehlt. Jonathan hält sein Versprechen: Er lügt für David, behauptet, er sei bei seiner Familie. Aber Saul lässt sich nicht täuschen:

 

„Da entbrannte der Zorn Sauls über Jonathan und er sprach zu ihm: (…) Ich weiß sehr wohl, dass du David, den Sohn Isais, erkoren hast, dir (...) zur Schande! Denn solange der Sohn Isais auf Erden lebt, wirst du und dein Königtum nicht bestehen. So sende nun hin und lass ihn herholen zu mir, denn er ist ein Kind des Todes. Jonathan antwortete seinem Vater Saul und sprach zu ihm: Warum soll er sterben? Was hat er getan? Da zückte Saul den Spieß nach ihm, um ihn zu durchbohren.“ (1. Samuel 20,30 - 33)

 

In einer modernen Erzählung würde Jonathan nun wohl gemeinsam mit David in die Berge fliehen. Aber so geht‘s nicht in der alten Zeit: David macht sich aus dem Staub, Jonathan bleibt an den Vater gefesselt, dessen Wut er jetzt stellvertretend für den Freund ertragen muss. Traurig ist der Abschied, den David und Jonathan nehmen: Es heißt, dass sie miteinander weinten. Aber Jonathan klagt nicht. Auch jetzt, wo ihn sein Vater verflucht hat, weiß er Segensworte zu sagen – ein letztes Mal für David:

 

„Geh hin in Frieden. Für das, was wir beide geschworen haben - dafür stehe der Herr zwischen mir und dir…“  (1. Samuel 20.42b)

 

Das ist schon sehr bemerkenswert: Jonathan, der Nicht-Gesegnete, kann doch ein Segnender sein. Einer, der nicht nach dem eigenen Glück fragt, sondern nach dem des Andern. Den er jetzt ziehen lassen muss für immer. Fernab vom Hof wird David ein abenteuerliches Leben führen. Jonathan bleibt nichts, als den Fluch mitzutragen, der über seinem Vater liegt. Am Ende wird er mit Saul einen grausamen Tod sterben.

 

„Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonathan! Du warst mir so lieb. Wundersamer war mir deine Liebe als Frauenliebe.“    

(2. Samuel, 1,26)

 

Mit Davids Klage um den gefallenen Freund beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte Israels: Jetzt wird von Davids Aufstieg zum großen König erzählt. Mit ihm wird sich dann später die Erwartung des kommenden Messias verbinden.

 

Als König hält David nun auch Wort: Er löscht den Namen Jonathans und seiner Familie nicht aus. Er holt Jonathans Sohn an seinen Hof holt und sichert ihm das Familienvermögen.

 

Aber vor allem ist es die biblische Erzählung selbst, die Jonathans Namen für immer mit dem Davids verbindet. Und es ist nicht nur der Name, der von ihm bleibt. Es bleibt von ihm auch einer der denkwürdigsten Sätze der Bibel: „Der Herr sei zwischen mir und dir“ - so schwört Jonathan und nur er sagt es so. Gott ist für ihn nicht oben im Himmel oder innen im Herzen. Er ist vielmehr da, wo es um die Beziehung zum andern geht: zwischen mir und dir.

 

Saul hat davon nichts begriffen. Für ihn ist David, dieser Andere, eine Bedrohung, die er weghaben will. Aber wer den Andern weghaben will, ist eben gottlos. Er hat‘s nicht verstanden, dass Gott und die Verantwortung für den Mitmenschen nicht voneinander zu trennen sind. Jonathan aber ist der Erste, der es wirklich versteht: Gott kann nicht jenseits unserer menschlichen Beziehungen gedacht werden. Seine Wahrheit erweist sich da, wo wir im Andern nicht mehr eine mögliche Bedrohung sehen. Jonathan und David – ja, da war was mit Liebe.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
 

  1. Tr. 1  J.B. Loeillet, Suite Nr. 1, G minor, I. Allemande, David Russell, David Russell Guitar plays Baroque Music
  2. Tr. 8  A. Vivaldi, Sonanta in B-flat major, II. Allegro, David Russell, David Russell Guitar plays Baroque Music
  3. Tr. 3  J.B. Leoillet, Suite Nr. 1 G minor, III Sarabanda, David Russell, David Russell Guitar plays Baroque Music
  4. Tr. 8  A. Vivaldi, Sonanta in B-flat major, II. Allegro, David Russell, David Russell Guitar plays Baroque Music
16.07.2020
Angelika Obert