Kabarettist trifft Reformator

Eckart von Hirschhausen beim Ev. Rundfunkdienst

©Annette Kaiser

Kabarettist trifft Reformator
Luther & Hirschhausen im Gespräch
15.10.2017 - 08:35
12.10.2017
Barbara Manterfeld-Wormit

Der eine lebt auf der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit - der andere tourt heute durch Deutschlands Fernsehprogramme. Was sie verbindet? Ihr Glaube und die Fähigkeit, dem Volk aufs Maul zu schauen und dabei auch komplizierte Dinge für jeden verständlich zu machen.

Ein spannender und unterhaltsamer Dialog über die Kraft des Glaubens, die Kunst der Heilung und die Fähigkeit, Menschen zum Lachen zu bringen.

Es ist ein besonderer Tag. Die Sonne lacht vom Himmel. Es ist warm – ein Hauch Sommer mitten im Oktober. Menschen sitzen draußen vor den Straßencafés, Sonnenbrille auf der Nase und Latte Macchiato im Glas. Ein letztes Mal vielleicht in diesem Jahr. Ein letztes Mal, ehe der Herbst kommt mit Regen und Sturm und nach ihm ein langer Winter. Ein letztes Mal Freiheit.

Es ist ein besonderer Tag, auf den wir am 31. Oktober 2017 zugehen. Ein letztes Mal noch wird ausgiebig gefeiert: Reformationsjubiläum. Ein großes Fest der Freiheit, die mit Luthers Thesenanschlag ihren Anfang nahm. Auch Prominente feiern mit und feiern ihn – den großen Reformator aus Wittenberg, der so klein angefangen hat: als von Ängsten geplagter Mönch in einer Klosterzelle, der später seine Thesen gegen die Ablasspraxis der katholischen Kirche auch vor den Großen der Welt nicht widerrufen wollte. Er blieb stehen und dabei standhaft. Seine Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen verbreitete sich in Windeseile. Sie überzeugte, steckte an. Auch heute noch. Sogar einen Arzt. Eckart von Hirschhausen gilt als „lustigster Arzt Deutschlands.“ Er ist Autor, Kabarettist und Fernsehmoderator und nebenbei noch – Reformationsbotschafter:

 

Eckart von Hirschhausen: Ich weiß gar nicht, wer sich das ausgedacht hat mit den Reformationsbotschaftern. Da kam ich so ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde – das klingt ja so ein bisschen katholisch – Ich wurde selber überrascht durch diese Wahl, aber ich hab das gerne angenommen, weil ich es spannend finde, in diesem Jubiläumsjahr darüber nachzudenken, welche Rolle Luther damals hatte und wie viel von diesem protestierenden, protestantischen Geist uns auch heute wieder fehlt.

 

Luther und Hirschhausen. Reformator und Kabarettist. Der eine lebte auf der Schwelle zur Neuzeit – der andere tourt heute durch Deutschlands Fernsehprogramme. Was verbindet die beiden außer ihrem Glauben? Der Wunsch und die Hoffnung, die Welt ein wenig besser zu machen?

 

Ich fühl’ mich Martin Luther tatsächlich innerlich verbunden in der Grundüberzeugung, dass diese Zeit des Herrschaftswissens eigentlich vorbei ist, dass in der Medizin lange Zeit auch mentales Mittelalter geherrscht hat in dem Sinne, dass da wie damals die Kirche sich verschanzt hat hinter Liturgie und Latein hat das ja die Medizin auch über Jahrhunderte gemacht: dass sie die Gläubigen – sprich die Patienten – gezielt auch dumm gehalten hat. Und so gesehen ist das, was Luther auf der Wartburg mit der Bibel gemacht hat, nämlich die ins Verständliche übertragen, sowas wie eine Lebensmaxime für mich geworden, nämlich: Ich hab den Pschyrembel, das Klinische Wörterbuch, ins Deutsche übertragen. Mein erstes Buch hieß Arzt – Deutsch / Deutsch – Arzt, war so n Langenscheidt Wörterbuch und da hab ich genau mit diesem reformatorischen Ehrgeiz auch gesagt: Guck mal, wie aufgepustet diese Arztsprache oft ist und das und das steckt dahinter, wenn die Ärzte sagen: essentielle, funktionelle, vegetative, idiopathische Dystonie ist das eigentlich nichts anderes als: Ich weiß auch nicht, was Sie haben!

 

Luther wusste damals sehr genau, woran die Kirche seiner Zeit krankte. Und er legte den Finger mitten hinein in diese Wunde. Weil es ihm um das Wohl der Gläubigen ging. Um ihr Seelenheil. Dass die Kirche als zuständige Instanz nicht mehr für dieses Heil sorgte, sondern Kapital daraus schlug, empörte Luther. Und auch der Reformationsbotschafter empört sich heute und sieht dringenden Reformbedarf – nicht bei der Kirche, sondern bei den Göttern in Weiß und unserem Gesundheitswesen. Denn dort gibt es erstaunliche Parallelen zur damaligen Ablasspraxis:

 

Also jeder, der ne Krebsdiagnose hat, fragt sich ja heutzutage: Mensch, bin ich schuld? Diese Frage beantwortet aber die Biologie, die Zellteilung nicht, sondern diese seelischen Nöte, diese ganze Frage: Wie gehe ich damit um, wenn mich Schicksalsschläge treffen? Die bleiben ja in der Medizin unbeantwortet. Deswegen sehe ich mich sozusagen auch in der Mittlerposition. Ein Hospital heißt Hospital, weil es ein Ort für Gäste sein sollte. Ein Patient ist ein Leidender und kein Kunde, und das größte Klinikum heißt Charité nicht wegen Shareholder Value, sondern wegen Caritas, wegen Nächstenliebe. In welchem deutschen Krankenhaus hat man heute noch das Gefühl, wenn man da reinkommt: O ein Ort der Gastfreundschaft und Nächstenliebe, ja? Das ist so verkommen zu einem Ort der Abzocke und der ökonomisch getriebenen Entscheidungen, das mich die Situation tatsächlich so n bisschen an den Ablasshandel von vor 500 Jahren erinnert, dass man eigentlich aufstehen muss und sagen muss: Hey, darum geht’s nicht. Man kann sich zu Tode operieren, jeder, der bei drei nich auf’m Baum is, kriegt ‘n neues Knie und ne neue Hüfte eingehämmert, weil sich das lohnt, ob er das braucht, spielt dafür gar keine Rolle – und so gesehen nehme ich meine Energie aus der Überzeugung, dass Dinge, die Menschen geschaffen haben, auch von Menschen geändert werden können und dass vor allen Dingen auch – ich liebe dieses Wort, wo zwei oder drei versammelt sind, ne Kraft entsteht, wenn Menschen, die guten Willens und guten Glaubens sind, zusammen arbeiten. Und so gesehen ist Luther für mich immer wieder Inspiration, nicht alles zu glauben, was von oben kommt und zu sagen – allein die Tatsache, wenn sich einer hinstellt und sagt: Ich find das nicht richtig, so wie’s läuft, mobilisiert auch andere, sich zu trauen, sich hinzustellen und zu sagen: ich stehe hier! Und das ist im besten Falle lutherisch, protestantisch!

 

 

 

Hexen, Teufel, Totenskelette – sie zierten damals die Bilder vom Jenseits und flößten Furcht und Schrecken ein. An Halloween erwachen sie wieder zum Leben – als Gruselspaß für Kinder und Erwachsene. Aber nicht bloß dort spielt Angst eine Rolle – und blüht das Geschäft mit ihr:

 

Diese Verknüpfung von Angst und Druck, die ist ja zutiefst menschlich, und die hat eigentlich auch nicht nachgelassen. Also wenn man sich anguckt, wie die AfD im Wahlkampf Ängste instrumentalisiert hat und auch da wieder billige Worthülsen und Lösungen vorschlägt, von denen jeder weiß, dass es nicht funktioniert, das ist traurig, dass wir 500 Jahre lang so wenig dazulernen und immer noch mit dieser ganz einfachen Mechanik: Mache den Leuten erst Angst und dann biete ihnen eine einfache Lösung, die möglichst wenig Einsatz von einem selber fordert, sondern durch ihre Passivität eigentlich besticht. Was für ‘ne Sprache – und Luther war ja auch ‘n Mensch, der die Kraft der Sprache so hoch gehalten hat, ist heute durch dieses unselige Wirken der AfD Normalität geworden, was ich mir vor zehn Jahren nie hätte träumen lassen können. Dass Menschen Worte in den Mund nehmen, die die Nazis benutzt haben und auch sozusagen gezielt immer wieder damit Tabus brechen und dann „ja, das darf man doch mal sagen“ und sagen: „Wir müssen wieder stolz werden auf das, was wir im 2. Weltkrieg geleistet haben…“ Das war Grundkonsens der Republik, in der ich aufgewachsen bin und auf die ich sehr stolz bin, dass es klar war: Nie wieder! – Das macht mir Angst, und das Rezept dagegen ist, zu sagen: Wenn wir 20% Rechte haben in Deutschland, dann heißt das auch, dass wir 80% Aufrechte haben.

 

Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Dieses Zitat eines Aufrechten wird Luther gerne in den Mund gelegt. Viele Menschen schlossen sich seiner Geisteshaltung damals an. Nur durch Menschen, die sich der Reformationsbewegung anschlossen, wurde sie so erfolgreich. Plötzlich kam es auf jeden einzelnen an. Luther predigte das „Priestertum aller Gläubigen.“ Es genügte nicht länger, stumm in der Kirchenbank zu sitzen ohne ein Wort zu verstehen, während ein Priester am Altar die lateinische Messe abhielt. Es reichte nicht mehr, auf Hilfe von oben zu hoffen. Mündige Christen waren gefragt. Und auch heute kommt es wieder darauf an: auf Mut und Zivilcourage – auf Gemeinschaft statt Egoismus:

 

Wo kommen denn die Leute vor, die für etwas sind? Das ist erst mal langweilig. Wir haben irgendwie dieses Wort „Gutmensch“ inzwischen fast nur zynisch in Gebrauch. Mir ist aber jemand, der sich engagiert und der glaubt, dass er damit ‘nen Unterschied machen kann in seinen Kräften, in seinem Rahmen, in seinem Umfeld, viel lieber als jemand, als so ne Haltung der Passivität und Aggressivität zu kultivieren, und da seh’ ich eben auch die Verantwortung von Kirche, dass es ja ganz wenige Institutionen gibt, die a) noch immer in der großen Fläche vertreten sind und b) auch die Kraft haben, Leute, die sich engagieren wollen für etwas, zusammenzubringen. Ob’s Gott gibt oder nicht, das weiß er hoffentlich selber. Das werden wir alle in diesem Leben nicht beweisen können, aber dass es ne Kirche gibt und dass es ne Kraft von Gemeinschaft gibt und dass das auch eine heilende Kraft sein kann, das habe ich oft genug erfahren. Und das allein hochzuhalten, lohnt sich schon.

 

Am 31. Oktober gehen die großen Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum langsam zu Ende. Aber die Reform der Kirche sollte damit noch lange nicht am Ende sein. Kirche bedarf immer der Veränderung, formulierte es Luther. Kirche muss sich ändern, wenn sie Menschen auch in Zukunft erreichen und durchs Leben begleiten will, findet auch Eckart von Hirschhausen:

 

Luther war ja gar nicht Protestant, sondern er war bis zum Ende seines Lebens katholisch. Er war auch ein Mystiker. Er hatte sehr viel mehr über als dann die Leute sich auf ihn berufen haben für die Kraft von Stille, von Kontemplation, von den Dingen, die wir eben nicht in Worte fassen können. Ich glaube, dass wir da in diesen 500 Jahren das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben und wir heute eine Gegenreformation brauchen, die uns wieder hinführt zu mehr Sinnlichkeit, zu mehr Körperlichkeit, zu mehr Ekstase und Freude, ja? Wenn man sich klar macht, wie viele Menschen einsam sind in der Gesellschaft, die haben keinen einzigen Menschen, der sie mal berührt liebevoll, für die kann allein so n Handschlag „Friede sei mit dir und mit dir“ an nem Sonntag der Moment sein, auf den sie sich die Woche freuen. Die Kirche hätte diese Kraft, unabhängig von Geld, unabhängig vom sozialen Status, unabhängig vom Alter die Menschen zu integrieren und es gibt wenig Institution. Wenn die weg ist gibt es keine andere Stelle, die das auffängt. Sich einmal in der Woche zu treffen mit dem Gefühl: Es gibt was, was über mich hinausweist, es gibt was Verbindendes, es gibt was, wofür wir gemeinsam in eine Richtung gucken und uns auch an die Hand nehmen, dafür brauchen wir die Kirche heute vielleicht noch dringender als früher, wo sie selbstverständlich war. Ich bin ja ein großer Fan von Hanns Dieter Hüsch, den hab ich auch noch live erlebt vor seinem Tod, und der hat ja immer gesagt: Ich bin vergnügt, erlöst, befreit – und von Nietzsche stammt der schöne Satz: Mehr Menschen würden sich für die Botschaft des Erlösers interessieren, wenn die, die ihn bekennen, auch ein bisschen erlöster gucken würden.

 

Wer glaubt, ist nicht nur erlöst und befreit, er darf auch froh und glücklich sein und immer wieder auch gerne lachen, denn Lachen hat heilsame Kräfte, ist sich der Mediziner Eckart von Hirschhausen sicher. Auch eine Erkenntnis, die ihn mit Luther verbindet:

 

 „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz!“ Das traut sich heute keiner mehr zu sagen… Also ich mag die Sätze, die er gesagt hat über das Lachen, wo er sagt: „Jemand, der Menschen zu Lachen bringen kann, das ist ein wahrer Doktor der Theologie!“ Und ich glaub eben auch, dass dieses Wort, was ja gar nicht von ihm ist mit dem Apfelbaum auch revidiert werden sollte: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute nicht einen Apfelbaum pflanzen, sondern ich würde Menschen einladen und Apfelkuchen essen. Ich glaube, dass hätte mehr Sinn und mehr Sinnlichkeit.

 

Am 31. Oktober ist Reformationstag. Und weil dieser Tag in diesem Jahr ein ganz besonderer ist, ist Feiertag – überall und flächendeckend im ganzen Land. Zeit, wieder einmal über Luther nachzudenken – und Zeit für eine Botschaft des Reformationsbotschafters Eckart von Hirschhausen:

 

Wenn wir nen Tag geschenkt kriegen, dann würde ich gerne allen Hörern eine Frage stellen, nämlich: Wofür stehst Du? Was ist der Luther Moment in Dir? Wofür würdest Du sagen: Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Ich will auch nicht anders! Das hat er vorgemacht, damals noch unter Lebensgefahr. Wir leben heute in einer so offenen und freien Gesellschaft – Gott sei Dank – und hoffentlich auch noch die nächsten Generationen, dass wir heute viel weniger Hürden haben, Dinge auszusprechen. Ja, jeder darf sagen, was er denkt, auch wenn er nicht lange nachgedacht hat, das ist Demokratie. Das ist anstrengend, das ist nervig. Der größte Feind von ‘ner offenen Gesellschaft ist, sie für selbstverständlich zu halten. Das ist immer etwas, was wir uns erkämpfen und erringen müssen. Und diese Verantwortung des Einzelnen, das hat Luther vorgemacht und das gilt – egal ob man evangelisch ist, katholisch oder atheistisch. Diese Power: Trau dich!

 

 

Musik dieser Sendung:

  1. Die güldne Sonne, Dieter Falk, A Tribute to Paul Gerhardt
  2. Aus tiefster Not, Sarah Kaiser, Freiheit
  3. Ein feste Burg, Sarah Kaiser, Freiheit


 

Mehr vom Reformationsbotschafter Eckart von Hirschhausen:

  1. Interview mit Heinrich Bedford-Strohm, den EKD-Ratsvorsitzenden: http://www.evangelisch.de/videos/139712/31-10-2016/eckart-von-hirschhausen-interviewt-ekd-ratsvorsitzenden-bedford-strohm-zum-reformationsjubilaeum
  2. Eckart von Hirschhausen schreibt an Martin Luther: http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2016/32766/eckart-von-hirschhausen-schreibt-einen-brief-martin-luther?kamp=b-001

 

 

12.10.2017
Barbara Manterfeld-Wormit