"Krankheit als Schangse"

Am Sonntagmorgen

Bild: Evamaria Bohle

"Krankheit als Schangse"
Spott, Spiel und Spiritualität bei Robert Gernhardt
13.09.2015 - 08:35
26.06.2015
Pfarrerin Marianne Ludwig

Guter Rat: „O Mensch, halt ein vorm Krankenhaus. Geh´n dem einmal die Kranken aus, dann greift man auch auf dich zurück, und du verbleibst dort Stück für Stück.“

 

Der Satiriker Robert Gernhardt verpackt seinen „guten Rat“ in Reime, die zum Weinen komisch sind. Mit Gedichten und Erzählungen, mal melancholisch, mal ironisch, schreibt er an gegen eigene schwere Erkrankungen.

 

„Krankheit als Schangse“, so heißt ein Gedicht über seine Krebserkrankung. In typischer Gernhardt-Manier verballhornt er gängige Trostversuche. Eine Chemotherapie ist belastend? Aber wenn man auf diese Weise eine Chance bekommt, endlich 10 Kilo abzunehmen, passen die Hosen wieder!

 

Bis zu seinem Tod 2006 probiert er sich aus im Spagat zwischen Spaßmacher und Ernstmacher. Anders kann er das Schwersagbare nicht in Worte fassen und sich dabei selbst treu bleiben.

Die komische Seite des Ernstes hat er immer wieder herausgekitzelt, mit Gedichten und Bildgeschichten, als Drehbuchschreiber für den Komiker Otto oder als Mitherausgeber des Satire-Magazins Titanic. Sein Spiel mit der Sprache, sein gekonntes Vertauschen von Sinn und Unsinn haben ihn seit den 70er Jahren bekannt gemacht.

 

„Die schärfsten Kritiker der Molche waren früher eben solche“.

 

Tiefsinnige Kalauer wie diese wurden seither zu geflügelten Worten.

Selbst seine letzten Erzählungen sind witzig-ironische Gedankenreisen, zu denen er seine Leser einlädt. Scheinbar gar nichts hat ihre spielerische Leichtigkeit mit seiner schweren Erkrankung zu tun. Aber wer genau liest, entdeckt die Welt des Krankenbetts, von dem aus er diese Erzählungen schreibt:

 

„Denken wir ihn uns achtundsechzigjährig, hören wir ihm zu, wie er anlässlich dieses Geburtstags auf die Frage antwortet, wie er denn mit sich und der Welt zufrieden sei: „Oh, ich sehe keinen Grund, unzufrieden zu sein. Ich habe eine von mir geliebte Frau, einen von vielen geachteten Beruf und eine von allen gefürchtete Krankheit – mehr kann man vom Leben eigentlich nicht erwarten.“[1]

 

Dabei war für Gernhardt nicht die Zufriedenheit das größte Glück. Auch wenn ein geglücktes Zusammenspiel von Metrik und Reim ihm höchste Zufriedenheit garantierte, und zwar mit „Fünf Prozent Inspiration, 95 Prozent Transpiration“.

Kunst sollte für ihn vor allem eines sein: Heiter. Ob Flachsinn oder Tiefsinn: Das Lachen zählt. Nicht das Niveau. Wie soll man auch mit Niveau lachen können? Lachen befreit, genauer: Das Mitlachen, der Spaß an der Blödelei und an der Ironie. Wer lacht, lockert den kulturellen Zwang zur ständigen Selbstkontrolle. Darin war er seinem erklärten Vorbild Heinrich Heine ähnlich. Beide teilen die Doppelliebe zu Witz und Wahrheit und haben diese auch angesichts schwerer Krankheit nicht verleugnet.

 

…So wie er lebte / Jauchzte, liebte, haßte, bebte, / Lachend litt und schreibend fühlte, / Also starb er. Nie erkühlte / Trotz des jahrelangen Leiden / Heines Doppelliebe. Beiden / Hielt er unbeirrt die Treue / Ohne Zweifel, ohne Reue: / Den Geschwistern Witz und Wahrheit / Alias Helligkeit und Klarheit. / Heines Witz erhellt noch heute. / Heines Wahrheit klärt noch. Leute! / Diesen Mann zu ehren heißt, / dass man eignen Witz beweist.

 

 

Witz und Wahrheit, Helligkeit und Klarheit: Wer damit ernst macht, kommt nicht herum um die Gretchenfrage: „Sag, wie hältst Du´s mit der Religion?“ Gernhardt, religiös erzogen mit einem streng-strafenden Gottesbild, hat sich Zeit seines Lebens an dieser Frage abgearbeitet. Berühmt-berüchtigt ist sein „Gebet“, das er 1972 als junger Satiriker veröffentlichte.

 

„Lieber Gott / Nimm es hin / dass ich was Besond´res bin / Und gib ruhig einmal zu / dass ich klüger bin als du / Preise künftig meinen Namen / denn sonst setzt es etwas / Amen

 

 

„Gott lässt sich nicht spotten!“ protestierten damals wütende Gläubige. Vielleicht aber ist der Spott dieses Dichters tiefgründiger und frommer als so manche Gebetstradition. Gernhardt verspottet ein Gottesbild, das Gott zum Übervater macht, zu einem, „der alles sieht“ sozusagen zum „Stasi-Gott“. Ein Gott, der mit seiner Allmacht Menschen demütigt und sie mit der Angst vor dem Tod in Schach hält, ist für Gernhardt lächerlich.

 

1989 stirbt Gernhardts erste Frau. 1996 muss er sich selbst einer schweren Herzoperation unterziehen. 2002 erkrankt er an Krebs. Der Ton seiner Gedichte ändert sich, wird ernster und weniger keck. Aber auch dann sind sie nicht ohne Witz. Wie zum Beispiel das „Gespräch des Geschöpfs mit seinem Schöpfer“:

 

„Schier sechzig Jahr auf deiner Welt –

bekomme ich jetzt Schmerzensgeld?

 

Mein Kind, mir geht dein Wunsch zu Herzen:

Geld hab ich keins. Doch kriegst du Schmerzen!“

 

Nur eine Handbreit entfernt ist dieses Gespräch von dem Aufstand des biblischen Hiob gegen Gott. Denn Gott hat seinem treuen Diener Hiob alles genommen, was in dessen Leben Bedeutung hat. Die Bibel erzählt, dass Gott mit dem Satan gewettet hat, ob Hiob dieser Prüfung standhält. Hiob nimmt diese Willkür nicht hin. Er rebelliert. Den gutgemeinten Trost und die Sinndeuteleien seiner Freunde wischt er beiseite. Mit einer in der Bibel einzigartigen Anklage stellt er Gott zur Rede: „Ich schreie zu dir und du erwiderst mir nicht. Ich stehe da, doch du achtest nicht auf mich. Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich… und lässt mich zergehen im Sturmgebraus.“ [2]

 

 

Wie soll man, kann man denken von einem Gott, der sich in Schweigen hüllt und jedem Zugriff entzieht? Gernhardt stellt sich in die Tradition des biblischen Hiob. Wie Hiob resigniert er nicht einfach vor dem Unbegreiflichen, sondern wehrt sich. Mit den Mitteln, die ihm als Satiriker gegeben sind.

 

Finger weg:

Nun soll man ja nicht fragen:

Mein Gott, wer bist denn du?

 

„Ich bin das gänzlich Andere,

das wortentrückt Besandere,

stand stets und steh auch hier und jetzt

hoch über Sprach- und Reimgesetz,

so durch und durch besonders:

Noch anders bin ich onders.“

 

Nein, man soll ja nicht fragen

 

 

...Und tut es umso mehr. Mit derselben Macht, mit der Gott die Grenzen der Sprache verschiebt, A und O nach Belieben vertauscht, setzt er dem menschlichen Leben enge Grenzen. Es führt kein Weg am Leid vorbei, es gehört zum Leben dazu. Aber es lässt Gernhardt nicht verstummen. Wenn er das Schwersagbare in Worte kleidet, es sogar mit Metrik und Reim in eine strenge Form zwingt, dann gewinnt er damit freien Raum. Er führt sich sein Leiden vor Augen und gewinnt gleichzeitig Abstand. Und noch etwas: Seine Gedichte machen seine subjektive Erfahrung allgemein zugänglich. Sie sind privat und öffentlich zugleich und überwinden die Einsamkeit des Schmerzes.

 

„Krankheit als Schangse“? Nur dann, wenn sie diesen Lebenswillen nicht abwürgt.

Im Krankenhaus hört er eines Sonntagmorgens einer Gottesdienstübertragung zu. Der Chor singt ein altes Kirchenlied, mit dem Menschen ihre Dankbarkeit ausdrücken. Daraus wird bei Gernhardt ein Gedicht:

 

 

Sonntagmorgenandacht

„Bis hierher hat uns / Gott gebracht / in seiner großen Güte“ – vielleicht sollte / mal jemand dem Chor / im Haus-Sender stecken, / dass er vor Krankenhausinsassen singt.

 

Ähnlich wie Hiob wischt Gernhardt solchen Trost beiseite.

 

 

Aber was tröstet dann? Da ist Gernhardts Bekenntnis zur Doppelliebe: Witz und Wahrheit alias Helligkeit und Klarheit.

Der Witz, genauer: Das Lachen verschafft Luft. Lachen vertreibt die Erdenschwere, wenigstens für den Augenblick. Das Gedicht hilft ihm mit seiner strengen Form und Punktgenauigkeit, dem Schmerz eine heitere Seite abzuzwingen. Ohne zu banalisieren. Beides, Witz und Gedicht schaffen Klarheit. Sie verhindern je auf ihre Weise, dass sich das Schwersagbare ins Verstummen steigert.

 

Das Treffen

Frau Sorge traf am Krankenbett

Des Gernhardt den Herrn Kummer.

„Herr Kummer, das ist aber nett!

Wir wolln den Gernhardt-Schlummer

Nicht stör´n, doch wenn er mal erwacht,

läuft die bewährte Nummer:

Sie kümmern sich, dass er sich sorgt,

ich sorge für den Kummer.“

 

 

Die zweite Hälfte seiner Doppelliebe gilt der Wahrheit. Vor allem der Suche danach. Denn natürlich erhebt auch Gernhardt Anspruch auf Gültigkeit. Daran rüttelt er nicht, bei aller Wertschätzung des Nonsens. Aber Nonsens ist nicht dasselbe wie bloßer Unsinn. Nonsens ist die Sinnverweigerung, der Entzug von Sinn. Vor allem dann, wenn etwas absolute Geltung haben soll. Wahrheit reizt Gernhardt dann zur Satire, wenn sie von jedem Widerspruch gereinigt wird. Wenn Wahrheit einen absoluten Anspruch erhebt, ist sie nur einen Schritt entfernt von der Lächerlichkeit. Das gilt für göttliche Autoritäten ebenso wie für menschliche Selbstüberschätzung.

 

„Ich sprach nachts: / es werde Licht! / Aber heller wurd´ es nicht. / Ich sprach: Wasser werde Wein! / Doch das Wasser ließ dies sein. / Ich sprach: Lahmer, / Du kannst geh´n / Doch er blieb auf Krücken steh´n. / Da ward auch dem Dümmsten klar, / dass ich nicht der Heiland war.“

 

 

Aber ist das alles, was über den Menschen zu sagen ist: Dass er begrenzt ist in seinen Möglichkeiten und mit seinem Leben? Was ist mit menschlicher Sehnsucht und Liebe, die an diesen Grenzen rütteln?

 

Gernhardt hält die Frage nach Gott und dem Menschen offen. Sie ist für ihn nicht entschieden, das Geheimnis mit seinen Widersprüchen bleibt unangetastet. Wie, wenn alles ganz anders ist, als es den Anschein hat? Wenn Gott nicht nur ein Synonym für Unbegreiflichkeit ist, sondern Gesicht zeigt? Und zwar ein durch und durch menschliches?

 

Plädoyer

Daß er die Kindlein zu sich rief,

daß er auf Wassers Wellen lief,

daß er den Teufel von sich stieß,

daß er die Sünder zu sich ließ,

daß er den Weg zum Heil beschrieb,

daß er als Heiland menschlich blieb –

ich heiße Hase, wenn das nicht

doch sehr für den Herr Jesus spricht.

 

 

Wahrheit offenbart sich nicht in der Theorie, sondern in der Erfahrung. In der Begegnung von Menschen. Diese Wahrheit kann trösten, ähnlich wie das Lachen. Vorausgesetzt, sie hilft dem Kranken aus seiner Einsamkeit herauszufinden.

 

Woran ich glaube

Nachtschwester Regina,

Koreanerin, glaubt an Gott.

Zu den Tabletten

Legt sie gern Traktate,

in denen ihr Gott

Leid nicht stillt, sondern abgreift,

Da glaub ich doch lieber an Nachtschwester Regina!

 

 

Fromme Worte, Theorien taugen nicht zum Trost. Nur wer da ist, mitten in der Nacht, mit zarter Umsicht, ist greifbar für den Kranken. Schwester Regina, Koreanerin. Fremd ist dieser Trost und kommt von weit her, aber er ist wirksam. Er durchbricht die Einsamkeit, stiftet sogar Hoffnung. Denn dieser fremde Trost ist in der Lage, sein Leid zu lindern.

„Später Spagat“ hat Gernhardt seine letzten Gedichte genannt. Ein Spagat bleibt auch die Frage nach dem unbegreiflichen Gott und dem menschlichen Trost.

Aber Schwester Regina ist bei ihm, mitten in der Nacht. Das Da-Sein zählt. Nicht nur für Robert Gernhardt. „Ich bin da“, so lautet der ureigenste Name Gottes. So hat er sich am Anfang den Menschen der Bibel vorgestellt. „Ich bin da“: Nicht mehr und nicht weniger.

 

[1] R. Gernhardt, Denken wir uns, Frankfurt a.M. 2007, S.238

[2] Hiob 30, 20f.

26.06.2015
Pfarrerin Marianne Ludwig