Segen für alle?!

Am Sonntagmorgen

Johanna Friese

Segen für alle?!
Menschen begleiten auf neuen Wegen
13.02.2022 - 08:35
14.01.2022
Johanna Friese
Über die Sendung:

Ob zur Taufe, zur Hochzeit oder zur Transition, beim Kaffeetrinken oder Spazierengehen in der Natur - immer mehr Pfarrerinnen und Pfarrer gehen neue Wege beim Segenszuspruch. Nicht allen gefällt das. Dabei ist das Bedürfnis nach Segen größer denn je. Eine Sendung von Pfarrerin Johanna Friese aus Berlin.

 
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Wenn die alten Römer auseinandergingen, sagten sie „ad deum“, zu Gott. Die Grußformeln adieu, ade und tschüss enthalten noch etwas davon. Von der Bedeutung des Segens: “Gott sei mit dir“.

 

„Segen ist für mich Gottes Rückenwind für ein gelingendes Leben, im Sinne von: Ich signiere dein Leben, deinen Tag heute. Mit meiner Kraft mit dem heiligen Geist und bin ein wenig schützend bei dir. Mich stärkt es auch, so ein Segenswort berührt mich persönlich immer auch sehr. Und ich habe den Eindruck gehabt, wenn jemand mit der Kirche ein bisschen fremdelt, oder damit nicht viel zu tun hat, aber so ein Segenswort ging, ein gutes Wort für den Tag.“

 

Pfarrerin Michaela Fröhling verteilt mit ihrem Team Segensworte auf Hochzeitsmessen und auf den belebten Plätzen Berlins. Dazu gibt es einen Kaffee oder eine Schoko-Latte für Kinder, an einer umgebauten Ape, einem italienischen Dreirad mit Kaffeebar, umsonst und für alle, die vorbeikommen. Manchmal erzählen Leute da, was sie gerade bewegt.

 

„Wir sind ja den Menschen auch gerade in der Coronazeit begegnet, da haben sie viel Lebensveränderung erlitten auch, auch schmerzhaft oft. Und ich glaube, dieses auf neue Wege, da ist jemand bei mir und stärkt mich, das ist ein wichtiges christliches Glaubenswort, und ein Wunsch untereinander, den wir in die Gesellschaft auch streuen können.“

 

Wie der Sämann in der Bibel (Lk 8) seinen Samen, das Wort Gottes, ausstreut und nicht weiß auf welchen Boden es trifft, und ob die Saat aufgeht, so versteht sich die Pfarrerin auch mit dem, was sie tut. Und sie glaubt, dass in aller Veränderung, auf allen Wegstrecken des Lebens, Gott Halt sein kann und Mut gibt für den nächsten Schritt.

An den Wendepunkten des Lebens erleben Menschen das oft besonders deutlich. Wenn mit der Taufe ein neues Leben beginnt, bei der Konfirmation ein Lebensreise-Segen mitgegeben wird. Wenn Liebende für ihre gemeinsame Zukunft gesegnet werden wollen. Und schließlich der Segen am Ende des Lebens, wo noch einmal vor Gott gebracht wird, was gewesen ist. Segen sei die „Dramatisierung großer Wünsche, großer Leiden und großer Hoffnungen“, so hat es Fulbert Steffensky einmal ausgedrückt.

Das „Segensbüro“ in Berlin-Neukölln bietet Segenshandlungen zu allen möglichen Anlässen, erzählt Susann Kachel:

 

„Alles, was den Menschen wichtig ist und die großen Entscheidungen und Umbrüche im Leben, das ist segenswert für uns. Also ob das ist, dass die Kinder aus dem Haus gehen, da verändert sich ja ganz viel, oder ob es ist, dass man irgendwie umzieht in eine neue Stadt. Ob die Kinder in die Schule kommen, oder ob es die Menopause ist oder ob es darum geht eine Transition zu machen, ´ne Schwangerschaft. Stationen im Leben, da wollen wir Formate entwickeln, kleine Miniliturgien, Segenshandlungen.“

 

Ganz bewusst setzt sich das Team vom Segensbüro dabei erstmal keine Grenzen. Sie wollen herausfinden, was die Menschen sich wünschen und womit sie begleitet werden wollen.

Für Pfarrerin Susann Kachel sind Segensworte „Stärkungsworte“ für die guten, aber auch für die schwierigen Zeiten im Leben. Oft gehe es darum, Vertrauen zu finden, weiterzugehen. Ein
Segensritual hilft innezuhalten, man kann sich neu verbunden fühlen mit den Menschen, mit dem großen Ganzen, vielleicht auch mit Gott.

Das Team vom Segensbüro berät individuell, bietet aber auch Segenspakete an: von der Taufe am Waschbecken, dem persönlichen Liebessegen zum Valentinstag bis zur Schwangerensegnung im Advent. Die Erfahrung dabei ist - Menschen möchten im Alltag und an Wendepunkten begleitet werden. Nur, dass dies in der evangelischen Kirche alles möglich ist, das wissen viele nicht.

 

„Die Frage ist ja auch, warum kommen Menschen, die überhaupt nicht kirchlich sind. Was für ein Begehren steht denn dahinter und was suchen die denn? Ich finde das total spannend das rauszufinden. Und den Segen an sich, den haben wir ja nicht gepachtet für uns, sondern es geht ja darum, Gott in der Welt wahrzunehmen und das weiterzugeben.“

 

Diese Offenheit und Experimentierfreudigkeit wird aber auch kritisch gesehen:

 

„Auf der einen Seite bei Facebook, die Humanisten, die haben sich beäumelt und lustig gemacht, ‚Segen für alle‘, willst du als Bahai-Mensch zu den Evangelen gehen und dir Segen abholen. Und es gab auch Kritik, natürlich auch nicht direkt an uns gerichtet, von den streng gläubigen Fundamentalisten, wie kann es sein, dass wir, wir haben auf der Website ganz plakativ stehen, Trennung oder Scheidung, und natürlich segnen wir nicht die Scheidung an sich, aber die Menschen, die den Weg gehen.“

 

Dem Team vom Segensbüro geht es um den unkomplizierten Kontakt zu den Menschen und mit Gott. „Verbindung leben“, heißt ihr Slogan, und ein Segensfaden ist dafür Symbol.

 

Dass auch in der Stille Segen liegt, davon ist Pfarrer Günter Hänsel überzeugt. Ihm ist der Mystiker Meister Eckhart ein Lehrer und ein Erinnerer guten Lebens geworden. So versucht er ganz ähnlich sich in einer Haltung zu üben „ohne Warum”, ohne Wertung. Loben, Staunen, Schauen - dazu möchte er Menschen gern einladen und anleiten.

 

„Ja, ich beobachte, dass unsere Gegenwart geprägt ist von so einer Beschleunigung, dem immer mehr, immer schneller, immer größer. Und ein Soziologe, Ehrenberg, der spricht zum Beispiel vom erschöpften Selbst. Und aus diesen Beobachtungen heraus nehme ich wahr, dass Menschen sich heute nach Stille und Ruhe sehnen, nach Zeiten der Unterbrechung und Zeiten, in denen es einfach mal ruhiger wird.“

 

Unmittelbar vor dem ersten Lockdown hat der Berliner Pfarrer zu „24 Stunden Innehalten“ eingeladen. Mehrere hundert Menschen ließen sich darauf ein, blieben mal kürzer, mal länger im Kirchraum sitzen bei Gebeten, Gesang, Tanz und Kerzenschein. Und immer wieder die Stille. Es ging darum, alles, was in einem aufkommt, Gott hinzuhalten und sich neu anfüllen zu lassen, wie in einer Schale:

 

„Wir beziehen uns da auf ein Zitat von dem Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux, der vor über 1000 Jahren schrieb, wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale, und nicht als Kanal, der gleichzeitig gibt und empfängt.“

Hänsel selbst versucht auch im Alltag durch feste Rituale dem Segen des Lebens auf die Spur zu kommen:

 

„Also zum Beispiel morgens beginne ich den Tag mit einem kleinen Gebet oder einem Lied, die Mittagszeit da versuche ich einfach mal in der Stadt innezuhalten und das verbinde ich damit, dass ich meinen Atem wahrnehme und mir damit vergegenwärtige, dass mein Leben in Gott gründet.“

 

Einmal im Monat lädt der Pfarrer zum „Schweigenden Gehen“ um den Berliner Schlachtensee ein. Eine Art Pilgerweg, der offen ist für alle. Er hofft, dass immer wieder neue Interessierte und Suchende dazu kommen und sich auf den weiten Blick auf die Natur einlassen. Reden müssen sie über ihre Eindrücke nicht. Aber es gibt zwischendurch sechs Stationen mit Psalmworten, Bibelgeschichten, Gedichten oder spirituellen Körperübungen. Die Natur und die weite Stille sind für Hänsel Resonanzräume von Gottes heilsamer Gegenwart. So könne das Leben, wie es ist, Tiefe und Verwurzelung erfahren. Und das ist, was Menschen von diesem Pilgerweg mitnehmen können.

Dass Menschen etwas für sich mit nach Hause nehmen, einen Gedanken oder eine Anregung, das möchte auch das Team der Kaffee-Ape. Michaela Fröhling hat an der mobilen Kaffeebar eine Leine gespannt und daran 15 Herzkärtchen befestigt. Und manchmal liest sie die auch vor, wenn jemand stehen bleibt.

 

„‘Der Herr fülle einen Hut voller Blumen und Blütenblätter für dich und behüte dich auf deinen Wegen blütenreich‘. Oder zum Beispiel ‚In das Segel deines Lebens möge Gott mit Kraft seine Liebe hineinwehen und dir Rückenwind für deinen Weg geben.‘“

 

Wer mag, sucht sich seinen Spruch aus, oder dreht am Segens-Glücksrad und bekommt so zufällig einen Segensspruch ausgelost:

 

„Also wir haben das Gefühl gehabt, diese Sprüche dürfen auch gern gefunden werden von den Leuten. Da sind ganz viele Segenssprüche, die sind auch selbst verfasst, und ein paar Bibelworte, vor dem Hintergrund geschrieben, was könnte den Menschen guttun an diesem Tag genau. Was könnte so ein wandelndes Lebenswort sein, was kann auch als Segenswort erstmal schön sein, und dann in der Handtasche verschwinden oder in der Manteltasche und plötzlich packt man sie wieder aus und erinnert sich daran und hat das Gefühl, das spricht nochmal zu mir.“

 

Die Segensworte flattern im Wind an der roten Kaffee-Ape: „Kirche Piazza“ heißt sie, und sie steht in Berlin, irgendwo auf Plätzen oder vor Kirchen. Mal eine Woche, mal einen Tag. Manchmal ergibt es sich nach einer Tasse Kaffee, dass die Menschen noch einmal an die Leine mit den Segensworten gehen und schauen. Jemand vom Team liest die Worte vor und plötzlich ist es ein dichter Moment von Mensch zu Mensch. In dem beide von sich selbst absehen. Ein Segensmoment. Oft erzählen die Besucherinnen und Besucher an der Ape auch von ihren Erfahrungen mit Kirche:

 

„(….) wer einen Bezug hat, wer auch getauft wurde noch, wer sich dann aber irgendwie entfernt hat, aber irgendwie noch eine Erinnerung hat oder von seiner berühmten Großmutter erzählt, die noch gebetet hat, solche Dinge kommen dann auch schnell zur Sprache. Wir sind ja ausgewiesen als kirchlicher Ort, Kirche Piazza, (….) also wir tragen nicht das Gespräch an die Leute heran, sondern die Menschen spüren einen Punkt in sich und setzen das mit uns ins Gespräch, darauf warten wir, wir sind gelassen, wir sind nicht aufdringlich, wir sind ein wirkliches Entspannungsprojekt, Kaffee mit Wellnessgespräch, sage ich mal so, aber mit der Bestimmung, dass die Menschen mit uns auch über ganz existenzielle Dinge sprechen können.“

 

Manchmal gibt es Gespräche über weniger gute Momente, Zweifel, über Krisenzeiten und unerfüllte Wünsche. Obwohl der Segen, am Glücksrad zu drehen ist, sind Segen und Glück zwei verschiedene Dinge, die aber doch eng zusammenhängen, findet Michaela Fröhling:

 

„Was dem einen als Glückswort in den Schoß fällt, kann wirken wie Segen, und ich glaube, Segen kann wie Glück wirken, das sind, glaube ich, Schwesterngeschichten.“

 

Und doch bewahrt Segen nicht im magischen Sinne vor Unheil:

„Das ist dann etwas, wo wir auch gerne miteinander ins Gespräch gehen wollen, weil Segen einfach mehr ist als jetzt Schwein gehabt, jetzt passiert dir nichts mehr. Sondern es ist für mich wie eine inwendige Kraftquelle.“

 

Für diese herausfordernden Pandemiezeiten hat die Pfarrerin selbst einen besonderen Segenswunsch:

 

„Ich glaube, es ist der Segen der Zuversicht und der Hoffnung, also gegen die Angst. Segen steht für mich auch für Erstnehmen von Angst. Denn wenn ich Angst verspüre, dann ist das ein wichtiges Gefühl und es schützt mich ja auch. (…) Aber nicht bei der Angst stecken zu bleiben, darin sehe ich eine Gefahr, und ich sehe eine Gefahr darin, dass wir um uns selber kreisen. Wo immer wir isoliert bleiben oder stecken bleiben, können wir uns nicht zur Verfügung stellen in der Gesellschaft. Deshalb wünsche ich mir viel Segen über die Angst hinaus.“

 

Das Bedürfnis nach Segen ist groß. Und Menschen sind dankbar, wenn sie erfahren: Du musst nicht erringen, wovon du wirklich lebst.

Einfach sein – ohne Zwänge und Beherrschungsdruck, ohne alles selber machen zu müssen, in Gottes Gegenwart da sein. Es braucht Orte, an denen die Verletzlichkeit des Lebens und seine Schönheit Vergewisserung erfahren. Und diese Orte können überall sein.

14.01.2022
Johanna Friese