Doch eines ist nötig

 Spitalkirche des Universitätsspitals Zürich
Doch eines ist nötig
Rundfunkgottesdienst aus der Spitalkirche Universitätsspital Zürich
03.02.2019 - 10:05
03.01.2019
Barbara Oberholzer
Über die Sendung

Eine große Universitätsklinik vereinigt viele Welten - Naturwissenschaft und Technik, Betrieb und Geschäftigkeit rund um die Uhr. Starke Emotionen und Fragen, die «ans Lebendige gehen», wie man in der Schweiz sagt. Nicht selten sind große Erleichterung und verzweifelte Tränen im selben Zimmer anzutreffen. Menschen stellen existenzielle Fragen, suchen Antworten und Sinn. Auch dafür steht die Spitalkirche im Universitätsspital – sie wurde letztes Jahr 30 Jahre alt.

«Doch eines ist nötig» – in Anlehnung an die Erzählung von Maria und Marta im Lukasevangelium machen sich Pfarrerin Barbara Oberholzer und Pfarrer Dr. Martin Roth auf die Suche nach diesem «einen». Im Spitalgottesdienst singt der hauseigene Chor des Universitätsspitals unter der Leitung von Mario Derungs und Felix Reolon. An der Orgel spielt Alex Hug, Organist am Fraumünster Zürich.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Mitmenschen, hier in der Spitalkirche, am Spitalradio und am Radio draußen, wo immer Sie sind. Krankenhäuser sind Marta-Gebiete. Ich glaube, das lässt sich entschieden so sagen. Da wird gekümmert und geschaut; bewirtet und versorgt; und vor allem therapiert und gepflegt. Von der Hotellerie über den Sozialdienst bis hin zu den vielen medizinischen Diensten – sie alle haben das Wohl der Patientinnen und Patienten im Blick. Und ob wir krank sind im Krankenhaus oder zu Hause, wir sind auf Unterstützung angewiesen. Wir brauchen Menschen, die sich um uns kümmern. Das erleben Sie als Patientinnen und Patienten, und vielleicht kennen auch Sie, die Hörer und Hörerinnen am Radio, diese Erfahrung sehr gut. Wenn dann eine Marta da ist und das Zepter übernimmt, sind wir froh! Ohne alle die vielen Martas, die auch hier umsichtig, aufmerksam und hochkompetent wirken – nicht auszudenken! Etwas schwieriger zu beantworten scheint mir im Spital die Frage nach der Maria. Maria, die sich still hinsetzt, zuhört, ein Geschehen auf sich wirken lässt. Gibt es auch für sie einen Ort? Oder würde sie sofort entlassen werden wegen Müssiggangs und fehlenden Einsatzes? Braucht es überhaupt Marias im Krankenhaus? Ein paar Angebote fallen mir dazu doch ein. Der psychologisch-psychiatrische Dienst zum Beispiel. Er wird gerufen, wenn Menschen in ihrer Not zu ertrinken drohen, am liebsten nicht mehr leben wollen. Oder das Careteam des Unispitals. Das so viele verzweifelte Angehörige durch die langen Gänge begleitet, mit ihnen wartet, ihnen zuhört. Und natürlich auch wir, die Seelsorge.

 

Die Rolle der Maria in einem Marta-Gebiet ist keine ganz einfache; davon erzählt uns schon unser biblisches Intermezzo. Auch wir Seelsorgende erleben dies gelegentlich. Der Spitalbetrieb funktionierte auch gut ohne uns. Und auf wen warten Sie dringender, wenn Sie hier krank im Bett liegen – auf den Seelsorger oder die Ärztin?

Manche Pflegende sagt wohl mal in ihrem Innern: „Lieber Himmel, wir haben solchen Stress! Die Verbände müssten gewechselt werden, Körperpflege gemacht, Blutabnahme und Blutdruck warten – und die Seelsorgerin sitzt nur am Bett!“ Marta und Maria – auch im Spital nicht immer einig.

 

„Marta, Marta, du sorgst und mühst dich um vieles; doch eines ist nötig“, sagt Jesus dennoch zur gestressten und etwas aufgebrachten Marta. Was ist es, dieses Eine? Was könnte es sein in einem Krankenhaus? Für Sie zu Hause? So deutlich wie Jesus hier für Maria Stellung bezieht, würde ich es in einem Spital niemals tun. „Doch eines ist nötig“ - hängt es nicht maßgeblich von der Situation ab, welches „Eine“ gerade nötig, notwendig ist? In vielen Gegebenheiten liegt es in einem Spital auf der Hand: Blutung stillen, Schmerzen lindern, operieren. Blitzschnell muss das manchmal gehen. Was aber könnten Momente sein, in denen Zuhören willkommen und sinnvoll ist? Wenn es um Emotionen geht, zum Beispiel? Um die Seele, die mitbetroffen ist, wenn das Leben aus den Fugen gerät? Wir Menschen uns hilflos und ohnmächtig fühlen? Oder um Momente, in denen wir wieder hoffen möchten, vorwärtsschauen, auch wenn es schwierig wird? In welchen wir wichtige Entscheidungen fällen, Lebensweichen neu stellen müssen? Auch außerhalb von Kliniken können wir uns in dieser Lage befinden. Welches „Eine“ ist dann wichtig, ermutigt mich, schenkt mir Zuversicht? Lässt mich wieder ankommen in meinem Leben? Oder: welcheR EINE?

Ich erinnere mich an einen jüngeren Mann, der lange und mit allen Mitteln gegen seine Krankheit angekämpft hatte. Und der plötzlich erkannte, dass dieser Weg für ihn nicht weiterführte. Dass sein verbleibendes Leben anders sein sollte als ein Greifen nach Strohhalmen. Und dass es anderswo stattfinden sollte als im Spital. Er entschied sich dann für ein Hospiz. Da war es gut, dass jemand zuhörte. Auf seine Bedürfnisse hörte, die plötzlich anders waren als zuvor. Ihn aussprechen ließ, was in seinem Innern vorging. Und ihn so darin unterstützte, das „Eine“ für sich zu finden. Das, was für ihn jetzt das Richtige und Nötige war.

 

 

Ja, auch Zuhören ist ein gutes Teil. So wie Pflege und Therapie gute Teile sind. Marta und Maria können sich auch verstehen und ergänzen. Die Suche nach dem „Einen, das nötig ist“ - bedeutet es nicht einfach, im richtigen Moment das Richtige erkennen und tun? Wahrzunehmen, was jetzt gerade für uns angesagt ist? Im Vertrauen auf den „Einen“, der uns plötzlich ganz nahe sein kann? Bei uns einkehrt wie Jesus bei Maria und Marta? Das hat auch mit Hören zu tun, einer hörenden Haltung. Hören auf die Stimmen anderer; hören auf die eigene innere Stimme; und hören auf das manchmal nur ganz leise Flüstern des EINEN darin. Gegenüber den tätigen Martas stehen die hörenden Marias unter Rechtfertigungsdruck, schon in der Bibel war das offenbar so, und heute erst recht. Es ist schwerer messbar, was sie leisten. Aber nur diese Sicht ist nicht genug, und es ist gut, dass Jesus dran erinnert. Von einer hörenden Haltung im Hintergrund kann jedes Handeln nur gewinnen.

 

Liebe Mitmenschen, ich hoffe von Herzen, Sie treffen während Ihrer Spitalaufenthalte und im Leben beide an, die Martas und die Marias. Mögen Sie aufmerksam umsorgt werden, engagiert gepflegt und behandelt, wenn es nötig ist. Das ist und bleibt unverzichtbar.

Und ich wünsche Ihnen auch eine Maria an die Seite, wenn Sie sie brauchen. Es muss nicht mal jemand von der Seelsorge sein. Maria schlummert in ganz vielen Menschen, vielleicht in Ihrer nächsten Umgebung. Einfach jemand, der ganz bewusst auf Aktivismus verzichtet. Sich Zeit nimmt, sich öffnet und Ihnen zuhört. An Sie glaubt und an die eine göttliche Kraft, die auch in Ihnen wohnt und Ihnen den Weg weisen wird. Glaubt an die Liebe und Nähe Gottes, als geheimnisvoller Gast mitten unter uns, wie Jesus bei Maria und Marta. Unerwartet kam er zu Besuch. Als Rabbi wurde er ehrfurchtsvoll bewirtet. Maria aber hat mehr erkannt. Sie hat die Gegenwart Gottes gespürt. Diese wahrzunehmen, uns auf sie einzulassen und so unsere Aufgabe zu erkennen, hier und jetzt - dazu sind wir gerufen. Im stillen Hören wie auch im aktiven Tun. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

03.01.2019
Barbara Oberholzer