Josef bleibt da

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Gemeinde St. Markus

Josef bleibt da
Rundfunkgottesdienst aus St. Markus München
26.12.2019 - 10:05
29.08.2019
Barbara Kittelberger
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am Zweiten Weihnachtstag, 26. Dezember 2019 aus St. Markus in München live im Deutschlandfunk ab 10.05 Uhr

Die Predigerin im Gottesdienst am Zweiten Weihnachtstag erzählt aus ihrer Erfahrung als Krankenhausseelsorgerin: Weihnachten auf der Frühgeborenenstation. Dass ein Kind Schutz braucht, wenn es zur Welt kommt, ist hier besonders spürbar. Die Eltern, Ärztinnen und Pflegekräfte, die ganze Apparatemedizin – alles ist darauf abgestellt, dieses kleine Menschenwesen zu retten. Ein Kind braucht Schutz und Fürsorge. Das ist gut biblisch verbürgt, denn Josef bleibt da – so erzählt es die weniger bekannte Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium. Josef bleibt bei der schwangeren Maria. Und wenn Gott zur Welt kommt? Dann sind Inspiration und Verantwortung gefragt, Kontemplation und Aktion. Maria und Josef sind gefragt. Und Josef bleibt da. Das ist die Frohe Botschaft am zweiten Weihnachtsfeiertag 2019.

Der Gottesdienst in St. Markus in München feiert die Menschwerdung Gottes in Liturgie und Predigt mit Pfarrer Peter Kocher und Stadtdekanin Barbara Kittelberger. In Auszügen erklingt dazu die festliche Weihnachtskantate „Christen, ätzet diesen Tag in Metall und Marmorsteine“ BWV 63 von Johann Sebastian Bach, musiziert von Johanna-Maria Zeitler (Sopran), Michael Kranebitter (Bass) sowie dem Markus-Orchester und dem Markus-Chor München. Die musikalische Leitung hat Kirchenmusikdirektor Michael Roth.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Es ist der 24. Dezember, Heiligabend mitten in der Geschäftigkeit einer Frühchenstation. Ich sitze als Krankenhausseelsorgerin bei einem Elternpaar, und feiere Weihnachten an einem ganz fremden Ort. Es ist schon lange her und doch ist es, als sei es gestern gewesen. Es wird das eindrücklichste Weihnachtsfest für mich.

Ich kenne diese kleine Familie, seitdem dieser winzig kleine Mensch geboren wurde. Für die Eltern ist die Frühchenstation zur zweiten Heimat geworden. Hier am Bettchen ihres neugeborenen Jungen. Die Mutter berührt ihren Sohn zärtlich mit Handschuhen. Stolz und Liebe im Blick, das berührt mich sehr. Der Vater hat einen wachsamen Blick auf die Apparate. Mittlerweile versteht er die Signale und das Piepsen zu deuten. Ihr Sohn ist zu früh auf die Welt gekommen, seine Lebenszeichen werden überwacht und er kann nur mit Hilfe der Apparate atmen. Für jeden Tag, den ihr kleiner Sohn meistert, sind die Eltern dankbar und froh. Gemeinsam hoffen wir heute an Weihnachten und begrüßen jede Bewegung und Reaktion mit Freude. Wir beten und danken. Wir weinen und spüren die Fremdheit der Apparate. Wie schön wäre es, den Sohn ohne Vorsicht in den Armen zu halten und die ganze Familie am Glück des Lebens teilhaben zu lassen.

Wir sitzen hier und spüren: das Leben ist zart und verletzlich. Und gefährdet von Geburt an. Es arbeiten viele Menschen, Ärztinnen und Pfleger hier, um das zerbrechliche und verwundbare Leben dieses Kindes zu schützen. Die Medizin mit allen Apparaten und Schläuchen, mit Handschuhen und Desinfektionsmitteln – all das ist hier ein Segen. Jedes winzige Menschenkind, das hier liegt, braucht Schutz und Segen, den alle, ob Pflegende oder Ärzte, Eltern und Großeltern sich von Gott erhoffen. Am Heiligen Abend sitzen wir als Gesegnete am Bett des kleinen Jungen.

Auch die Geburtsgeschichte Jesu bei Matthäus erzählt es so: werdendes Leben ist in Gefahr und braucht vor allem eines: Schutz, Liebe, vollen Einsatz. Was geht da in der Seele eines Mannes vor? Was geht in Josefs Seele vor? Er ist hin- und hergerissen. Das ungeborene Kind- nicht von ihm oder ungewollt. Das hätte einfach nicht passieren dürfen. Er denkt an Maria, seine Verlobte. Ihm wird ganz warm ums Herz, wenn er an die gemeinsamen Pläne denkt. Und da ist dieses werdende Leben. Wie soll er mit der Schmach und Schande umgehen? Seine Verlobte verlassen? Die Verlobung enttäuscht lösen? Beziehungen sind brüchig und verletzlich.

Ein himmlischer Wink: ein zweiter Blick. Josef setzt alles daran, dass dieses Kind überleben kann. Josef der fromme Mann ist hin und hergerissen zwischen der Liebe zu Maria und seiner eigenen Ehre. Er ahnt, dass Gott zur Welt kommen will und er dabei wichtig sein kann und gebraucht wird. Er möchte Schutz bieten für beide. Schutz für das Leben des Kindes und der Mutter. Mit Hilfe eines Engels lässt er alle Konventionen hinter sich. Mutig und unsicher zugleich. Josef träumt. Ein Engel deutet für ihn, was passiert ist. Es ist ganz anders als du denkst. Ein Kind sprengt alle Konventionen. Ein Kind ist kostbarer, als alle menschlichen Sitten und Gebräuche. Gott selbst ist im Spiel und wirbelt das alles durcheinander. Er kommt verletzlich und zart in einem Kind zur Welt und dazu braucht es Menschen: Maria und dich, Josef. Es braucht einen gestandenen Mann, Josef! Trotz Gefahr, trotz Männerstolz kannst du in deiner Seele bereit sein, Schutz zu bieten.

Engelsgespräche sind wundersame Erfahrungen, die weit über das eigene Denken hinausführen. Sackgassen verwandeln sich in neue Wege. Josef kann mit Fürsorge beiden beistehen. Er schafft den Rahmen, ist Vater und treusorgender Mann, wie es sich in den Krippenfiguren abbildet. Er übernimmt Verantwortung und bleibt da.

Flüchten oder Standhalten? Auf den ersten Blick wird Josef die schlechteste aller Möglichkeiten angeboten. Nicht Flüchten. Sondern Standhalten. Dabeibleiben. Mitgehen.

Lieber Gott, danke, dass das immer wieder wahr wird. Dass Josef seit Jahrhunderten immer wieder diesen Mut findet. Und bitte, lass es noch viel öfter geschehen!

 

Josef hätte sich auch anders entscheiden können. Er hätte seine Verlobte „in Schande bringen können“ und sie der Todesstrafe ausliefern können. Er hätte sie verlassen können, ihr einen Scheidungsbrief aushändigen können. Er wäre im Recht gewesen. Das Gesetz steht auf seiner Seite. Er hätte sich ohne Gesichtsverlust aus dieser Situation befreien können.

Aber das Kind, das zur Welt kommen wird, braucht Schutz und Fürsorge. Es braucht Liebe und Heimat. Es braucht die männliche und weibliche Seite. Es braucht einen Ort und einen Namen. Josef bietet Maria einen Schutzraum. Josef stellt sich leise, aber bestimmt, auf die Seite der Liebe. Er bleibt da und lässt sich ein auf Unsicherheit. Er vertraut Gott. Er traut denn Worten der Engel und dem englischen Gruß: „Fürchte dich nicht“.

 

Diese Worte treffen ins Herz. Ein himmlischer Gruß. „Engel sind Einweiser darin, dass mehr möglich ist“ so der Theologe Ernst Jüngel.

Dieser wunderbare Gruß schafft Beziehung. Er nimmt auf und wahr, was das Gegenüber empfinden mag: Unsicherheit, Ängstlichkeit, Zögern. Eine fremde und ungewohnte Situation verliert ihre Bedrohlichkeit. Dieser Gruß schafft Nähe. Die Hirten werden so begrüßt – als sie auf Felde in der Nacht bei den Schafen wachen. Maria wird vom Engel so begrüßt, als sie erfährt, dass in ihr auf ganz besondere Weise Gott zur Welt kommen wird.

Auch Josef lässt sich so ansprechen.

 

Haben Sie es auch schon einmal vernommen? Das „Fürchte dich nicht“ eines Engels? Sind Sie dabei über sich hinausgewachsen?

Josef nimmt von Gott an, dass das werdende Kind seiner Verlobten wundersam anders sein wird. Mutig und gegen alle Konventionen „weiß“ er, was zu tun ist.

 

Alles ist darauf ausgerichtet, dass das göttliche Kind zur Welt kommt – mütterlich ausgetragen wird und väterlich geschützt bleibt. Darauf läuft die Geschichte hinaus. Josef ist wichtig. Maria und Josef sind gefragt

Sein Part heißt: Mitgehen. Dabeibleiben. Nicht als gehörnter Bräutigam, sondern als Vater für den menschgewordenen Gott. Aus einer heillosen skandalösen Konstellation wird größtes Heil. So kommt Gott zur Welt.

Die tiefe Weisheit dieser Weihnachtsgeschichte ist: So ist es mit allem, was zur Welt kommen will, Gestalt bekommen will. So ist es immer, wenn Gott zur Welt kommen will. Eine Idee allein kann nichts bewirken, sie braucht Menschen und Institutionen…

Es braucht den Rückhalt und die Organisation im kleinen Alltag der Familie. Im Großen der Institution der Kirche, der Kirchengemeinde, eines Vereins. Es braucht das zivilgesellschaftliche Engagement. Leider werden Institutionen zu Unrecht nur kritisiert. Ich möchte niemals übersehen, welche segensreiche Aufgaben sie übernehmen. Und wie wichtig es ist, sorgfältig wie Josef den Rahmen zu schaffen.

 

Die Kirchengemeinden in München, unser Dekanat hier hat eine Partnerschaft mit der Kirche in El Salvador. Der Strom der Menschen, die ihre Heimat in Mittelamerika verlassen um in den USA ihr Glück zu versuchen, ist schier endlos. Die Flucht ist hart, unbarmherzig, oft erleben Frauen und Männer Gewalt, Vergewaltigung und Hunger. Sie erleben an der amerikanischen Grenze, dass sie zurückgewiesen werden. Die Kirchen in El Salvador versucht z.B., den Zurückgekehrten Würde und Schutz zu geben. Ausbildungsprogramme, die von uns in München mit unterstützt und begleitet werden, helfen, wieder Anschluss in der Gesellschaft zu finden und alleine leben können. Eine Ausbildung zum Umgang mit Traumatisierungen haben wir vor Ort etabliert und diese hilft den durch die Fluchterfahrungen traumatisierten Männer, Frauen und Kinder. Wir sind diesen Menschen begegnet und haben ihnen in die Augen gesehen. Wenn die wieder strahlen können, hat das Fürchte-dich-nicht gewirkt.

 

Und hier vor Ort in München wollen wir Jüdinnen und Juden schützen, die angegriffen werden mit Worten und handgreiflich verletzt wurden. Als in Halle ein Mann versucht hatte, die Synagoge dort zu stürmen, haben wir eine Menschenkette am Shabbat hier um die Synagoge gebildet. Wir sind an eurer Seite, wir beten mit euch, wir geben euch Schutz.

 

So kommt für mich beides zusammen: Wenn Gott zur Welt kommt, in meiner Seele – da braucht es den freien Raum, das Schwingen und Tanzen des Geistes Gottes. Es braucht die Kontemplation. Die intime Nähe, das nährende Wort und das Schweigen. So können wir Gottes verletzliche zarte Seite spüren und selbst verletzlich, zart und verwundbar leben.

Denn alles Tun wäre vergeblich, wenn wir unsere Bedürftigkeit überspielten und die Verletzlichkeit großspurig abtun.

 

Gott will in die Welt kommen, zu denen im Dunkeln. Gott will immer wieder geboren werden. Maria allein reicht nicht. Es braucht das Hinausgehen aus mir - aus meiner Bequemlichkeiten und meiner Zögerlichkeit. Es braucht die Tat. Ins Handeln kommen.

Wenn Gott zur Welt kommt, in diese heillose Welt, in die Unsicherheiten und Brüchigkeit, dann braucht es Inspiration und Verantwortung.

Dann sind Kontemplation und Aktion gefragt. Maria und Josef.

Jeder und jede mit Herz und Verstand.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

29.08.2019
Barbara Kittelberger