Meine Augen haben dein Heil gesehen

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

„Beleuchtete Stadtkirche“ von Frank Vincentz.

Meine Augen haben dein Heil gesehen
Rundfunkgottesdienst aus der Evangelischen Stadtkirche Lennep
29.12.2019 - 10:05
29.08.2019
Antje Menn
Über die Sendung

„Meine Augen haben dein Heil gesehen“ – dieser Satz steht am Ende einer überraschenden Begegnung von Jung und Alt. Von dieser Begegnung erzählt das Evangelium dieses Sonntags, das zugleich Predigttext ist. Pfarrerin Antje Menn ermuntert in ihrer Predigt dazu, sich fünf Tage nach Weihnachten noch einmal aufzumachen, zur Krippe zu gehen und das Kind anzusehen. Und dieses Kind als Gabe und Aufgabe zu verstehen. „Meine Augen haben dein Heil gesehen“ – der Gottesdienst geht der Frage nach, auf welche Resonanz dieser Satz am Sonntag zwischen den Jahren stoßen kann. Musikalisch wird der Gottesdienst gestaltet von Kreiskantor Johannes Geßner, dem Lenneper Kammerchor und dem Bläserensemble der Kirchengemeinde.

Der Gottesdienst wird aus der Evangelischen Stadtkirche Lennep übertragen. Sie liegt im Herzen der Lenneper Altstadt und ist durch ihren mächtigen, 51 Meter hohen und markanten Zwiebelturm von weitem gut zu sehen. Zur Adventszeit leuchtet der Turm dank tausender LED-Lichter beeindruckend im Abendhimmel und taucht die Altstadt in ein warmes Licht. Die Evangelische Kirchengemeinde Lennep hat etwa 7700 Mitglieder. Neben der Stadtkirche mit ihrer eher traditionell lutherisch geprägten Liturgie gibt es mit der „Familienkirche“ und der idyllisch gelegenen Waldkirche zwei weitere Gottesdienststätten. Die Gemeinde zeichnet ein vielfältiges Gottesdienst- und Konzertangebot aus. Dazu trägt die Kirchenmusik bei mit ihren sieben Chören vom Kinder- bis zum Seniorenalter, einem Bläserensemble und dem Lenneper Kammerorchester.

Der Remscheider Stadtteil Lennep präsentiert sich gerne mit dem Slogan „Lennep hat was“. Lennep ist eine der ältesten Städte des Bergischen Landes. Der noch heute gut erhaltene mittelalterliche Altstadtkern ist geprägt von kleinen Gässchen und Plätzen und winkeligen bergischen Schieferhäusern mit ihren typischen grünen Fensterläden und Türen.

 

Folgende Lieder werden im Gottesdienst gesungen:

EG 36, 1+6                 Fröhlich soll mein Herze springen
EG 42, 1+2.5+6           Dies ist der Tag, den Gott gemacht
EG 54 nur Refrain        Hört der Engel helle Lieder  
EG 33, 1-3                  Brich an, du schönes Morggenlicht
EG 7, 4-7                    O Heiland reiß die Himmel auf         GL 231, 4-7
EG 222, 1+3               Im Frieden dein, o Herr mein            GL 216, 1+3

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Gemeinde,

an diesem Morgen wundert er sich über sich selbst. Er hat das Gefühl, heute wieder in den Tempel gehen zu müssen. Seit einigen Tagen war er nicht mehr dort. Ungewöhnlich für ihn. Gehört der Weg zum Tempel doch sonst zu seinen regelmäßigen Gängen. Um zu bitten. Um zu beten.

Mühsam schleppt er sich durch die engen Gassen Jerusalems. Die Schritte auf dem holprigen Pflaster fallen ihm mit zunehmendem Alter schwerer. Äußerlich alt, ist seine Hoffnung doch jung geblieben. Er ist dafür bekannt, auf den Trost Israels zu warten und in dieser Erwartung sein Leben zu führen.

Unter all den vielen Besuchern im Tempel fällt ihm ein junges Paar mit einem Neugeborenen auf. Sie kommen, wie es nach jüdischer Tradition üblich ist, mit ihrem 40 Tage alten Sohn in den Tempel. Die Beschneidung ist längst geschehen. Heute geht es um den Reinigungs- und Segensritus für die Mutter. Und darum, eine Opfergabe zu bringen und damit den erstgeborenen Knaben als Gottesgeschenk auszulösen.

Als der alte Mann das junge Kind sieht, ist er wie gebannt. Plötzlich, er weiß nicht wie, findet er sich mit dem Kind auf dem Arm. Zärtlich schaut er es an. Wie ein glücklicher Großvater, der seinen Enkel zum ersten Mal in Armen hält. Hier beginnt das Leben eines Kindes, während seine Tage gezählt sind. Das Kind, ein Versprechen an die Zukunft. Das Leben wird weitergehen.

 

Menschenjunges, dies ist dein Planet.

Hier ist dein Bestimmungsort, kleines Paket

Freundliches Bündel, willkommen herein –

Möge das Leben hier gut zu dir sein! (Reinhard Mey)

 

Der Alte ahnt: Da ist noch mehr. Das Leben wird mit diesem Kind nicht einfach nur fortgeschrieben. Er spürt in diesem kleinen Bündel in seinem Arm etwas Großes durchschimmern. Wieder und wieder schaut er es an. Als auf einmal die Geschichte seines Volkes in seinen Gedanken vorüberzieht. Das Bild von der Feuersäule, wie sie nachts beim mühsamen Gang durch die Wüste das Volk Israel begleitet und bewahrt – und mittendrin Gott. Das Bild von der Wolke, wie sie später den Tempel in Jerusalem erfüllt – und mittendrin Gott. Da werden ihm die Augen geöffnet. In diesem Kind – wieder – mittendrin Gott!

Es ist ein auf die Erde gekommenes Stück Himmel. Bisher hatte er beim Kommen des Messias an etwas Großes gedacht. Je größer die Probleme, desto größer auch der Retter, dachte er. Und nun: Ein Kind nur!

Das Windelpaket: das pure messianische Kraftpaket.

Der Neuanfang liegt in seinen Armen.

Jetzt schwappt dem Alten das Herz über. Was für eine Freude! Sekundenglück und mehr.

 

Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,

wie du gesagt hast;

denn meine Augen haben dein Heil gesehen,

das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,

ein Licht zur Erleuchtung der Heiden

und zum Preis deines Volkes Israel.

 

Simeon heißt dieser Mann, den Lukas in seinem Evangelium als frommen und gerechten Mann vorstellt. Seine Geschichte folgt gleich auf die vertraute Weihnachtsgeschichte mit den Engeln über den Feldern von Bethlehem, mit den herbeieilenden Hirten, dem Kind in der Krippe, mit Josef und Maria, die alles Gehörte und Gesehene in ihrem Herzen bewegt.

Lange schon hat Simeon gewartet. Ein Warten, das ihm möglich war, weil er Hoffnung hatte. Hoffnung, die ihn trug, auch in Krisenzeiten von sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt, in der die Schere zwischen Arm und Reich, Einheimischen und Fremden sich immer weiter öffnete. In einer Zeit, in der die Spaltung zwischen denen, die mit den römischen Besatzern gemeinsame Sache machten, und denen, die den Aufstand planten, immer größer wurde.

Er war unbeirrt in seiner Hoffnung auf den verheißenen Trost Israels, der alles zum Guten wenden und das Ende von Knechtschaft und Unterdrückung herbeiführen würde. Er war sich sicher, dass Gott sein Versprechen wahrmachen würde, dass er, der Alte, nicht sterbe, bevor er nicht den Messias gesehen habe.

In Krisenzeiten habe ich die Wahl. Ich kann den Glauben an den Nagel hängen und mich abschotten in der traurigen Hoffnung, zu sterben, bevor das Unheil auch mich erwischt. Ich kann aber auch die Hoffnung hochhalten. Nicht müde werden. Und – wie Hilde Domin dichtet – dem Wunder wie einem Vogel die Hand hinhalten. Beharrlich hoffen gegen die Zeichen der Zeit.

Simeon hat durchgehalten. Dank seiner Hoffnung. Dank des Heiligen Geistes, der ihn stärkt.

Dank seines Namens, der ihn immer wieder gewiss gemacht hat: Simeon – es gibt Erhörung.

Und ich frage mich:

Worauf warte ich?

Worauf warte ich. Jahr um Jahr, Tag um Tag. Heute. Jetzt.

Oder warte ich auf nichts.

Kenne ich den / der kommen wird / oder den der wiederkommt

oder den der immer da war.

Oder wartet er auf mich. (nach Armin Juhre)

 

Während ich darüber nachdenke, höre ich eine Frau im Tempel singen. Hanna heißt sie. Seit Jahren lebt sie am Tempel. Eine alte Witwe, die viel mitgemacht hat. Tag und Nacht betet und meditiert sie und dient so Gott. Auf einmal steht sie neben Simeon, ebenfalls überwältigt vom Anblick des Kindes. Voller Freude. Eine Prophetin, deren Worte nicht überliefert sind, die aber vielleicht so klingen:

Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen im Rath der Frommen und in der Gemeinde. Gross sind die Werke des Herren, wer ihn achtet, der hat eitel Lust dran, der hat eitel Lust dran, was er ordnet, das ist löblich und herrlich und seine Gerechtigkeit währet ewiglich. Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige Herr, der gnädige und barmherzige Herr. Er giebt Speise denen so ihn fürchten, er gedenket ewiglich an seinen Bund.

 

Maria und Josef wundern sich, was Hanna und Simeon in ihrem Kind sehen.

Wie sie das Kind ansehen und zugleich doch weiter als nur bis zum Kind.

Wie die beiden in dem Kind schon den sehen, der als Erwachsener wirksam wird.

Wie sie in der Geschichte dieses Kindes die Geschichte Gottes mit Israel aufleuchten sehen.

Und die Geschichte all jener, in deren Hände das Kind sich geben wird.

Simeon spürt, wie Gott in diesem Kind die Welt verwandeln wird.

Und er weiß: mein Leben ist in ihm erfüllt.

 

Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,

wie du gesagt hast;

denn meine Augen haben dein Heil gesehen,

das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,

ein Licht zur Erleuchtung der Heiden

und zum Preis deines Volkes Israel.

 

Mit diesen Worten legt Simeon ein Bekenntnis ab. Er bezeugt das Jesuskind als das Heil, das Gott für Israel, aber nicht nur für sein Volk Israel, sondern für alle Völker bereitet. Als Licht zur Ehre seines Volkes ist Jesus das Licht der Völker. Ein Licht, das auch jenen, die nicht aus seinem Volk stammen – und also auch uns –, den Weg zum Gott Israels eröffnet und ausleuchtet.

Mit ihm beginnt das Heil Gottes in der Welt zu leuchten.

Nicht im Himmel oder im Jenseits, sondern verborgen in diesem kleinen Kind.

Zum Anfassen und doch unfassbar. Das Gottesgeschenk.

Trost und Licht wird es der Welt bringen und dafür mit seinem Leben einstehen.

Versöhnung statt Hass.

Solidarität statt Gleichgültigkeit.

Trost statt Wird-schon-wieder.

Was für ein Wechsel!

Nach den Maßstäben dieser Welt aber wird die messianische Kraft wie Schwäche aussehen.

Sie wird nicht allen einleuchten, auch nicht ohne Widerspruch bleiben:

Die Kraft, auf den eigenen Vorteil zu verzichten.

Die Besonnenheit, nicht zurückzuschlagen und ein verletzendes Wort ungesagt sein zu lassen.

Die Liebe, den anderen anzunehmen, auch wenn er Mist gebaut hat.

Die Freiheit, nicht zu fragen „Was hast Du vorzuweisen?“ Sondern: „Was brauchst du?“

Zuhören, aufrichten, heilen.

Das aber ist der Weg, den Gott in diesem Kind mit der Erde gehen wird.

Und darin liegt nicht nur Erfüllung von Hoffnung, sondern ebenso Anlass zu neuer Hoffnung.

Begründete Hoffnung auf das, was noch aussteht. Die Gabe des Kindes wird zu einer Aufgabe.

So sehe ich Simeon Ausschau halten nach Menschen, denen er das Kind und sein Erbe anvertrauen kann. Ich sehe ihn Ausschau halten nach Großen und Kleinen, Jungen und Alten, nach mir und nach Dir.

Um Jesus und seine Botschaft in unsere Herzen und Hände zu legen, auf dass sie gehalten und weiter-getragen wird.

In diesen suchenden Blick hinein höre ich wieder die Prophetin Hanna singen. Sie gehört zu den ersten, die die große Tat Gottes in diesem Kind weitersagt und weiterträgt. Für alle soll es zur Gewissheit werden: Gott sendet Erlösung seinem Volk und aller Welt.

 

Er lässt verkündigen seine gewaltigen Thaten seinem Volk, dass er ihnen gebe das Erbe der Heiden; die Werk seiner Hände sind Wahrheit und Recht, alle seine Gebote sind rechtschaffen, sie werden erhalten immer und ewiglich ungeschehen treulich und redlich. Er sendet Erlösung seinem Volk, er verheisst, dass sein Bund ewiglich bleiben soll, ewiglich bleiben soll, heilig und hehr ist sein Name. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, die Frucht des Herrn ist der Weisheit Anfang, das ist eine feine Klugheit, wer darnach thut, des Lob bleibet ewiglich, wer darnach thut, des Lob bleibet ewiglich, wer darnach thut, des Lob bleibet ewiglich, des Lob bleibet ewiglich.

 

Der Lobgesang der Hanna bringt in mir etwas zum Klingen. Ihre Freude steckt mich an. Ebenso rührt mich das Bild des alten Simeon mit dem Mensch gewordenen Heil auf seinen Armen. Ein eindrucksvolles, friedvolles Bild. Es scheint mir fast so, als schaue das Jesuskind auch mich an und winke mir zu. Als wolle es mir sagen: „Ich warte auf dich.“

So möchte ich mich fünf Tage nach Weihnachten noch einmal auf zur Krippe machen und den Blick auf das Kind richten. Auch da, wo meine Hoffnung knapp wird, möchte ich Augen für den Heiland haben. Auch da, wo ich meine, keine Zeit zu haben, den Zeitpunkt der Begegnung nicht verpassen. Ihn ansehen. Mich satt sehen. Trost spüren. Kraft bekommen. Anlass zu neuer Hoffnung.

Wie beim Abendmahl. Wenn ich ein Stück Brot und Traubensaft in meiner Hand halte, in denen er mir nahekommt: Brot des Lebens, Kelch des Heils. Meine Augen haben dein Heil gesehen. Da fängt etwas Neues an.

Das Heil hängt nicht an mir, aber es liegt in meinen Händen. Ich darf es in Händen halten als Gottes Geschenk auch an mich. Als Gabe und Aufgabe.

Ich kann und darf und soll es in meine Familie, in meine Nachbarschaft, zu Fremden tragen. Auch in meine Konflikte. In die Welt, in der so manches aus den Fugen geraten ist.

In der wie damals die Schere von arm und reich immer weiter auseinander geht.

In der viele Menschen sich abgehängt fühlen, in Angst leben und trostbedürftig sind.

In der Jüdinnen und Juden ihres Glaubens wegen auf der Straße angegriffen werden.

In der Menschen verzweifelt nach Rettungsringen greifen.

In der Polarkappen und Demokratien schmelzen.

Und in der gleichzeitig Meeresspiegel und rechtspopulistische Tendenzen steigen.

Wer das Heil gesehen hat und also bei Trost ist, findet sich damit nicht ab und nimmt diese und andere Beschädigungen des Lebens als Aufgabe wahr, macht sich als Hoffender auf den Weg.

In dieser Hoffnung stehen Juden und Christen miteinander.

In einer großen Hoffnungs- und Trostgemeinschaft. Die Menschen sein wollen,

die andere nicht vertrösten, sondern sich stark machen für ihre Rechte.

Die nicht nur mit Lichterketten gegen Antisemitismus auf die Straße gehen, sondern auch in den eigenen Spiegel gucken und sich fragen, was ich dazu beitragen kann, dass jüdisches Leben in Deutschland selbstverständlich wird.

Die Menschen in Not helfen und vor dem Ertrinken retten.

Die über ihre eigene Lebenszeit hinaus auch auf kommende Generationen sehen.

Die sich fragen, wie viel Frieden, Solidarität und Umwelt sie ihren Kindern und Kindeskindern hinterlassen wollen und ihren Lebensstil entsprechen anpassen.

Die ihr ganzes Leben beharrlich warten können und in all ihrem Tun auf mehr hoffen als auf die eigene Kraft.

Die wissen, wohin die Reise geht und schließlich wie Simeon in Frieden gehen können.

Am Ende singt Simeon sein Loblied, das unsere Gesangbücher aufgenommen haben und für das tägliche Abendgebet vorschlagen. Auf dass der Lobgesang nicht nur heute, sondern jeden Tag erklinge und auch in mir Resonanz finde:

 

Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,

wie du gesagt hast;

denn meine Augen haben dein Heil gesehen,

das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,

ein Licht zur Erleuchtung der Heiden

und zum Preis deines Volkes Israel.

 

Er ist da. Worauf warten wir noch?

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft,

der bewahre unsere Herzen und Sinne im Christus Jesus,

dem Trost Israels, dem Licht der Welt. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

29.08.2019
Antje Menn