O Welt höre des Herrn Wort

Evangelischer Rundfunkgottesdienst
O Welt höre des Herrn Wort
Kantatengottesdienst am 1. Weihnachtstag aus der Marienkirche Reutlingen
25.12.2018 - 10:05
20.06.2018
Christian Rose
Über die Sendung

Der vergoldete Engel auf der Turmspitze der gotischen Marienkirche ist das Wahrzeichen Reutlingens. Wie in jedem Jahr ist der Weihnachtsgottesdienst in der Marienkirche ein Kantatengottesdienst. Diesmal wird die Kantate „O Welt höre des Herrn Wort“ des Reutlinger Kantors Torsten Wille uraufgeführt. In einem fulminanten Crossover von Choralmelodien, Bibeltexten, Jazz und Rock and Roll bringt er die alte Weihnachtsbotschaft und die Situation unserer Zeit zusammen. Menschen bringen die Welt an den Rand der Katastrophe. Aber Gott lässt seine Menschen nicht im Stich. Deshalb: Fürchtet euch nicht. Das ist seine Botschaft.

Es singt die Kantorei der Marienkirche, es musiziert die Württembergische Philharmonie Reutlingen. Die Predigt zur Weihnachtsgeschichte hält Prälat Christian Rose.

 

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

 

Liebe Gemeinde hier in der Marienkirche, liebe Hörerinnen und Hörer am Radio,

 

Gottes Wort hören – sehen und begreifen

„O Welt:

Höre – das Wort!

Siehe – das Wort!

Betaste – das Wort!“

So haben wir zu Beginn der Weihnachtskantate gehört. Wir möchten gerne hören – sehen – betasten.

Das Wort Gottes, Gott selber fassen und begreifen können. Das uralte Wort. Gott selber ward Fleisch, so heißt es in der Bibel, und wohnte unter uns. Mitten in unserem Alltag, in unseren Sehnsüchten an diesen Festtagen.

Dass die Welt heller und friedvoller werde. Im Großen und im Kleinen. Viele von uns sehnen sich besonders an Weihnachten nach einem Stück heiler Welt, Aufatmen, zur Ruhe kommen. Hören, sehen und begreifen, was uns und der Welt gut tut. Und dann mit frischer Kraft, gestärktem Mut, gefestigter Zuversicht ins neue Jahr gehen.

 

Frieden jetzt! – Sehnsucht nach Frieden in der Welt

Weihnachten ist für uns das Fest des Friedens.

„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen.“

So singen die Engel auf dem Feld vor Bethlehem. Wir hören ihren Gesang und wollen den Frieden gerne erleben und begreifen.

„Ich hoffe, dass dieser Tag der Beginn einer neuen Epoche ist, in der der Frieden an erster Stelle steht!“, so sagte es die Jesidin Nadia Murat, als ihr vor 14 Tagen in Oslo der Friedensnobelpreis überreicht wurde. Und der kongolesische Arzt Denis Mukwege beendete seine sehr persönliche Rede mit dem Apell: „Wir müssen gemeinsam aufstehen gegen die Gewalt. Genug ist genug. Frieden jetzt!“

Frieden jetzt. Das ist Gottes Plan für unsere Welt. Im Großen wie im Kleinen. Dass feige Attentäter ihren Hass aufgeben. Dass zwischen Volksgruppen und Nachbarländern endlich das Morden aufhört. Und dass wir im Westen nicht mehr länger dazu Waffen liefern.

Frieden jetzt, auch in den Städten, Gemeinden, in den Betrieben und Familien. Konflikte lösen im Büro, die Armen unter uns nicht übersehen, sich aussprechen in der Familie.

 

MENSCH GERNEGROSS – gott gerneklein

Die Sehnsucht ist da. Viele strengen sich an, aber manchmal will es nicht gelingen. Warum eigentlich nicht? In der Kantate haben wir die Frage gehört:

„O Welt, o Welt!

Du so groß, er so klein,

willst Schöpfung ohne Schöpfer sein.“

 

Der Schweizer Dichter Kurt Marti bringt es auf den Punkt: MENSCH GERNEGROSS Und stellt gegenüber: gott gerneklein.

Vier Worte in zwei Zeilen.

MENSCH GERNEGROSS –

gott gerneklein.

Am Weihnachtsfest kann ich das hören – sehen und begreifen.

Das uralte Wort, Gottes Wort: Er sagt, er kommt. Gott selber kommt.

Er kommt klein. Er kommt gerneklein.

 

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein

Gebot von dem Kaiser Augustus ausging,daß alle Welt geschätzt würde.

Und diese Schätzung war die allererste

und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.

Und jedermann ging, dass er sich

schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem,darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war,auf dass er sich schätzen ließe mit Maria,seinem vertrauten Weibe, die war schwanger.Und als sie daselbst waren, kam die Zeit,dass sie gebären sollte.

 

Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht.

 

Und sie gebar ihren ersten Sohn

 

Uns ist ein Kind geboren,

welches uns selig macht.

 

und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

 

Der Heiland kommt; ohne Bett, ohne Heim, ohne Herberge; O Welt, wo bist du?

 

Du weist ab den Schöpfer dein,

Nimmst nicht wahr das Kind so klein

 

Doch dein Schöpfer spricht:

Ich vergess dich nicht!

 

du suchst das Heil für dich allein,

willst Schöpfung ohne Schöpfer sein.

 

Doch dein Schöpfer spricht:

Ich verstoß dich nicht!

 

Welt, du tobst, Welt du rast, Willst kein Kind, willst Geld und Spaß! Halt ein! Suche dein Heil, finde das Kind! Höre deinen Herrn:

 

 

Fürchte dich nicht!

Denn ich habe dich erlöst;

ich habe dich bei deinem Namen

gerufen; du bist mein!

 

 

gott gerneklein – der Heiland kommt ohne Bett, ohne Heim

Gott gerneklein. Gott kommt, – als Kind.

Kleiner geht‘s nicht. Und ärmlicher auch nicht.

 

Der Chor singt:

Der Heiland kommt

Ohne Bett, ohne Heim, ohne Herberge.

 

Gott gerneklein.

 

Mit den biblischen Worten der Weihnachtsgeschichte gesagt:

Es begab sich aber zu der Zeit … und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Der Heiland kommt;

ohne Bett, ohne Heim, ohne Herberge.

 

Gott kommt in einem kleinen Kind zur Welt. Verletzlich und hilflos. Kann das Gott sein? Das machtvolle Wort, durch das alle Dinge gemacht sind, wird ein kleines Kind?

Da sträubt sich vieles in einem. Wer der Welt Heil und Rettung bringen will, der sollte schließlich auch Macht haben. Sonst kann er sich nicht durchsetzen. Das ist meine Erfahrung. So kenne ich es. Nur mit Macht scheint Friede möglich. Und ist doch so weit weg.

 

MENSCH GERNEGROSS.

Und die Weihnachtsbotschaft erzählt vom gott gerneklein.

 

Da streiten sich vielleicht in vielen die Überzeugungen und auch Erfahrungen. Friede lässt sich manchmal eben nur, Gott sei‘s geklagt, mit Gewalt durchsetzen. Ja, so ist es. Und doch auch ganz anders.

Welt, du tobst, so singt der Bass. Welt, du rast.

Willst kein Kind, willst Geld und Spaß. Halt ein!

Suche dein Heil, finde das Kind! Höre deinen Herrn:

„Fürchte dich nicht!

Denn ich habe dich erlöst;

Ich habe dich bei deinem Namen gerufen;

du bist mein!“

 

gott gerneklein berührt MENSCH GERNEGROSS

Häufig werden diese Worte über Täuflingen ausgesprochen.

Gott ruft Menschen beim Namen, von klein auf. Wunder des Lebens. Das Leben ist ein Geschenk! Vom ersten bis zum letzten Atemzug.

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder,

so werdet ihr nicht ins Reich Gottes gelangen.“

 

Was tun Kinder denn Besonderes? Sie nehmen einfach an, was ihnen geschenkt wird. Meistens, jedenfalls. Und wir Erwachsenen? Nehmen wir an, was uns geschenkt ist?

Gott kommt zu uns, und er verspricht, wie wir gerade gehört haben:

„Ich vergess dich nicht!

Du suchst das Heil für dich allein,

willst Schöpfung ohne Schöpfer sein.

Doch dein Schöpfer spricht:

Ich verstoß dich nicht.“

 

Darf Gott in unser Leben? Es verändern? Neu machen? Die Menschen trösten und stärken? Unser Leben ist ein Geschenk. Und ist doch so verletzlich, wie das Kind in der Krippe. Wunder des Lebens. Es hat auch eine große Kraft. Das Kind von Bethlehem, mag es noch so hilflos sein.

Zugleich ist es ein Geheimnis, das auf wundersame Weise die Herzen anrührt, gott gerneklein berührt MENSCH GERNEGROSS. So wollen wir es jetzt miteinander singen (EG 23,1-4):

Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß;

er ist ein Kindlein worden klein,

der alle Ding erhält allein. Kyrieleis.

 

Himmel hilf! – Weihnachten heißt: Gott kommt zu jedem von uns

Hirte, tu was!

Hirte, schütz uns!

Hirte, rette uns!

 

Voll tönt der Chorgesang. So wie einst die Engel am Himmel vor Bethlehem:

Fürchtet euch nicht. Siehe, ich bringe euch große Freude. Euch ist heute der Heiland geboren.

Mitten in der Nacht ist es taghell. Die Klarheit der Engel erschreckt die Menschen.

Und sie rufen um Hilfe:

Hirte, tu was!

Hirte, schütz uns!

Hirte, rette uns!

 

So geht‘s mir manchmal auch, wenn ich nicht mehr weiter weiß. So geht es Menschen in der Krankheit, für die es keine Heilung gibt. In der belasteten Beziehung, die zu zerbrechen droht. Wenn die Belastung in Familie, Erziehung und Beruf schlicht überfordern. Es sind die Momente, in denen ein Mensch ganz auf sich allein gestellt ist. Ist da jemand, der mich hört, der mich sieht, der mir hilft?

Vielleicht, liebe Gemeinde, sollten wir uns ja neu diesem guten Hirten anvertrauen. Ihn in unser Leben lassen. Damit rechnen, dass er zu uns kommt. In unser kleines, persönliches Leben. Weihnachten heißt: Gott kommt zu jedem von uns. Der Himmel ist offen. Und unsere Herzen? Wir müssen uns nicht schämen, wenn wir flehen:

Tu was!

Schütze uns!

Rette uns!

Verlass uns nicht.

 

Die Furcht weicht und weitet die Herzen

Von den Hirten auf dem Feld können wir lernen.

Es hat einige Zeit gedauert, bis die tröstliche Botschaft sie erreicht hat. Die Furcht weicht. Freude erfüllt Ihren Herzen.

Und so machen sie sich auf den Weg zum Heiland der Welt. Sie finden das hilflose Kind in der Krippe:

Hörbar – sichtbar – begreifbar.

Das geht ihnen zu Herzen. Und dann können sie nicht anders. Sie kehren heim, loben Gott und erzählen, was sie erlebt haben. Furcht, die weicht. Freude, die ansteckt. Freude, die Herzen und Hände öffnet.

Ein Tag, eine Nacht, die ihr Leben verändert. Das ist die stille, heilige Nacht. Bis heute kann sie Leben verändern. Auch mein Leben –und Ihres auch…

Viele sind beschenkt und beschenken gerne andere. Am besten mit weitem Herzen und warmer Hand. Brot für die Welt, Hilfe für den unbekannten Nachbarn oder für die Glaubensgeschwister. Ein Herz für Kinder.

Wenn Menschen einander annehmen, wird das uralte Wort greifbar. Für jeden und jede, in jedem und dann auch durch jeden und jede von uns. Und wir sehen plötzlich auf dem Angesicht des anderen die Herrlichkeit Gottes.

Darum:

Herbei, o ihr Gläubigen, … sehet das Kindlein, uns zum Heil geboren –

mehr braucht es nicht, damit die Sehnsucht nach Frieden und Liebe gestillt, damit Herzen getröstet werden. So können wir andere wahrnehmen und mit ihnen leben.

Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Christian Rose