Staunen über Gottes Weisheit

Gottesdienst aus Hilden
Staunen über Gottes Weisheit
Gottesdienst aus der Evang. Friedenskirche Hilden
22.05.2016 - 10:05

Über den Gottesdienst

„Evangelisches Hilden – mehr als Sie glauben“ - so stellt sich die evangelische Kirchengemeinde in Hilden der Öffentlichkeit vor. Tatsächlich bietet die Gemeinde vor den Toren Düsseldorfs ein so breites Angebot, dass manche Außenstehende über die Vielfalt staunen. Um das Staunen geht es auch im Gottesdienst am Sonntag Trinitatis. Pfarrerin Annette Braun-Wolf geht mit Gedanken des Apostels Paulus „auf Wanderschaft“. Sie lädt in ihrer Predigt zum Staunen ein: darüber, wie vielfältig und weise geordnet sich Gottes Schöpfung zeigt – und wie weit seine Liebe reicht. So weit, dass sie Menschen mit unterschiedlichen Glaubens- und Lebenserfahrungen miteinander verbindet. Im Gottesdienst ist die Kantorei unter der Leitung von Dorothea Haverkamp sowie der Posaunenchor unter der Leitung von Friedhelm Haverkamp zu hören.

 

Die Kirchenmusik spielt eine große Rolle in der Kirchengemeinde. Es gibt zwei Kinderchöre, einen Gospelchor, einen Kirchenchor, einen Seniorenchor, eine Jugendband und weitere Ensembles. Als größte evangelische Kirche in Hilden bietet die Friedenskirche viel Platz für große Kirchenkonzerte und Feste. Die Gemeinde unterhält ein eigenes diakonisches Werk und setzt einen Schwerpunkt in der gemeindeeigenen Erwachsenenbildung. Viele ehrenamtlich Mitarbeitende engagieren sich etwa in der Flüchtlingshilfe und bieten Sprachkurse an.

 

Predigt zum Nachlesen

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde, frühmorgens breche ich auf – die Sonne ist vor einer Stunde aufgegangen. Das Wetter ist gut. Den Wanderrucksack trage ich auf dem Rücken. Ich gehe durch das Dorf. Es ist noch still. Heute ist es endlich soweit – heute geht es auf’s Stätzerhorn, 2700 m hoch. Schon so lange habe ich das vor. Ich finde den Einstieg zum Wanderweg – 4 ½ Stunden, sagt der Wegweiser. Am Anfang komme ich gut voran. Ich schaue mich um und freue mich, wie mir der Weg an jeder Kehre eine neue Aussicht schenkt. Nach einiger Zeit wird es anstrengend – es geht jetzt steil bergauf, und ich bin schnell aus der Puste. Immer öfter muss ich stehen bleiben. Aber dann geht es doch weiter, immer höher hinauf. Wie sich die Perspektive ändert, je höher ich steige. Und immer wieder frage ich mich: wird die Kraft reichen – hoffentlich bin ich nicht bald zu erschöpft? Schritt für Schritt setze ich einen Fuß vor den anderen. Da endlich – da oben sehe ich den Grat, der zum Gipfel führt. Mit neuer Kraft gehe ich darauf zu. Etwas ändert sich unmerklich – die vertrauten Geräusche scheinen im Tal zurückzubleiben. Es wird auf eine eigenartige Weise still, als würde hier oben eine andere Welt beginnen.– Ich gehe auf den Grat zu und bleibe oben überwältigt stehen. Wie wunderschön es hier ist. Ich stehe und staune. Sehe ins nächste Tal hinunter, erkenne immer mehr Bergketten, bis sie sich im fernen Dunst verlieren. Hunderte von Gipfeln kann ich von hier ausmachen unter einer strahlenden Sonne. Wie klein alles von hier oben aussieht. Klein und gut geordnet. Dem Himmel nah fühle ich mich hier oben, herausgehoben. Ein „erhabenes“ Gefühl.

Ich setze mich auf einen Stein und nehme mir Zeit, diesen außergewöhnlichen Moment zu genießen. Jetzt fällt mein Blick auf den Boden vor mir – winzige Blumen wachsen aus dem bisschen Erde zwischen den Felsen. Wie schön sie sind, wie kleine Sternchen sehen sie aus. Jede einzelne ein Wunderwerk. Meine Sinne nehmen alles auf. Alles scheint einem wunderbaren, schöpferischen Geist entsprungen zu sein, weise geordnet, prächtig, vielfältig und schön.

Und ich selbst darf hier oben sein und das alles erkennen – selbst ja nur ein winziger Mensch auf einem riesigen Bergmassiv. Und trotzdem darf ich all diese Schönheit sehen, sie im Einzelnen wahrnehmen und mir im Herzen bewahren. „Wunderbar sind deine Werke, Gott; das erkennt meine Seele,“ so betet ein Psalm in der Bibel. Ein winziger Augenblick wie eine kleine Ewigkeit, in dem einfach alles stimmt. Der Himmel ist für einen Moment offen, und ich bin voller Dankbarkeit.

„Wie unerschöpflich ist doch der Reichtum Gottes, wie tief seine Weisheit und Erkenntnis! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen und wie unerforschlich seine Wege! Wer kennt die Gedanken des Herrn? Wer ist sein Berater gewesen? Wer hat ihm je etwas gegeben, sodass er es von ihm zurückfordern könnte? Denn alles hat in ihm seinen Ursprung. Durch ihn besteht alles und in ihm hat alles sein Ziel. Denn er regiert in Herrlichkeit für immer. Amen.“ (Röm 11, 33 – 36). So ist der Apostel Paulus im Römerbrief ins Staunen geraten. Diese Worte sind unser Predigttext für heute.

 

Liebe Gemeinde, „Wie unerschöpflich ist doch der Reichtum Gottes, wie tief seine Weisheit und Erkenntnis!“ Auch der Apostel Paulus hat einen hohen Berg bestiegen, als er in diesen Jubel ausbricht. Allerdings ist es eher ein Berg im übertragenen Sinn. Paulus macht sich Gedanken. Er hat schlaflose Nächte. Er ringt darum, was für ihn der richtige Weg ist, und wie es wohl mit seinen bisherigen Weggefährten weitergeht. Früher war er ein jüdischer Gelehrter, zuhause im jüdischen Glauben, bewandert in der heiligen Schrift. Dann hat er einen vollkommen neuen Weg eingeschlagen. Er glaubt an Jesus Christus als den Sohn Gottes. Nun kämpft er im Römerbrief mit einer fast unlösbaren Frage: was wird aus seinen jüdischen Glaubensgeschwistern, die bei ihrem „alten Glauben“ bleiben und Jesus Christus nicht als ihren Erlöser ansehen? Es sind immerhin seine engsten Freundinnen und Freunde.

Ich will einen Vergleich wagen – auch wir stehen ja manchmal vor ähnlichen Herausforderungen: Wie gehe ich damit um, dass andere, auch mir vertraute Menschen, so anders sind oder sich verändern, sodass ich nicht mehr folgen kann. Was, wenn es um grundlegende Überzeugungen geht, um Vorlieben, die ich nun mal nicht teile? Wie weit muss, wie weit kann Toleranz gehen? Gibt es einen Punkt, an dem Wege unweigerlich auseinandergehen?

Zum Beispiel: Eine gute Freundin von mir hat sich einen Lebensgefährten gesucht, der mir „von Herzen unsympathisch“ ist. Ihre Zuneigung zu diesem Mann kann ich nicht nachvollziehen. Außerdem komme ich nicht darum herum, auch ihm zu begegnen, wenn ich sie besuchen möchte. Sie selbst ist mir als Vertraute aber wichtig, und ich möchte sie nicht als Freundin verlieren.

Eine andere Freundin, mit der ich Theologie studiert habe und schon lange verbunden bin, kann inzwischen mit „Kirche und so“ gar nichts mehr anfangen. Über das, was ich glaube, zuckt sie nur noch die Schultern. Ich finde, sie hat sich nach Belieben eine Patchwork-Religion zusammengebastelt, mit der ich wiederum nichts anfangen kann. Mein Glaube ist mir wichtig, und ich finde mit ihr in diesem Punkt keinen gemeinsamen Nenner mehr. Ich merke, ich bin enttäuscht, dass ein wichtiger Bestandteil unserer Freundschaft verloren gegangen ist.

Wie gesagt, Vergleiche können hinken, aber so ungefähr muss es dem Apostel Paulus gegangen sein, wenn er an seine jüdischen Glaubensgeschwister dachte. Der Graben, der sich zwischen ihnen aufgetan hat, geht tief. Er betrifft den Glauben, der Paulus am Herzen liegt wie nichts sonst. Es geht um das, was ihn trägt in seinem Leben. Worauf er sein Vertrauen setzt.

So viel hat Paulus mit seinen Freunden verbunden. So viel haben sie zusammen erlebt, haben um Überzeugungen gerungen. Gemeinsam haben sie das Wort Gottes studiert, geschmeckt und verinnerlicht. Und jetzt ist Paulus allein weitergegangen und wurde ganz vom Glauben an Jesus Christus ergriffen. Wie kann er zusammen denken, was sie glauben und was er glaubt? Lieber möchte er verflucht und von Christus getrennt sein, als sich vorzustellen, dass sie nicht mehr zu Gott gehören, dass Gott sie nicht mehr liebt, weil sie nicht auch Jesus Christus als Sohn Gottes annehmen und glauben.

Paulus ringt mit diesen Fragen im Römerbrief. Über drei lange Kapitel schildert er seinen inneren Kampf. Kann es sein, dass Gott seine Versprechen bricht? Steht Gott nicht mehr zu dem, was er verheißen hat? Die Gedanken, die Paulus wälzt, um einen Sinn, um eine Antwort darin zu finden, sind wie ein mühsamer Weg in unwegsamem Gelände, ein quälender, anspruchsvoller Prozess. Schritt für Schritt setzt er einen Fuß vor den anderen, um einen Weg zu finden. Und plötzlich hat er den Grat erreicht, von dem aus ihm ein überwältigender Ausblick geschenkt wird. Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen. Von einem Moment zum anderen geht sein Blick ins Weite, und er sieht klar: Gott ist so voller Liebe, dass er einen Weg finden wird, sich allen zuzuwenden. Paulus schreibt: „Gott hat alle im Ungehorsam vereint, weil er allen sein Erbarmen schenken will.“ (V. 32).

Ja, so ergibt alles einen Sinn. Gott ist so voller Liebe und Barmherzigkeit, dass er alle in die Arme schließt, Christen und Juden. Gott wird niemanden verloren geben. Gott steht zu dem, was er versprochen hat.

Und dann bricht es aus dem sonst so nüchternen Theologen Paulus heraus, und er wird zum Poeten: „Wie unerschöpflich ist doch der Reichtum Gottes, wie tief seine Weisheit und Erkenntnis!“ Gott ist so groß, so reich und weise – Himmel und Erde liegen ihm zu Füßen – und das Beste ist: Gott wird mit uns Menschen barmherzig sein.

Ganz gleich, welche Wege wir gegangen sind. Ganz gleich, welche Eingangstür zum Glauben wir nehmen, ob als Juden oder Christen. Wenn wir unser Herz für Gott öffnen, wird er uns nicht abweisen, sondern uns mit offenen Armen empfangen. Da kann man nur staunen. Staunen, singen und loben. Amazing Grace. Gottes Gnade wird einen Weg finden. Seine Barmherzigkeit umfängt die Welt.

 

Liebe Gemeinde, tief nennt Paulus Gottes Weisheit und Erkenntnis, seinen Reichtum und sein Erbarmen. Und er weiß, dass wir Menschen diese Tiefe niemals ausloten können. Tiefe können wir nur erahnen. Sie hat etwas Grundlegendes. Sie trägt uns. Und: Was in der Tiefe ist, bleibt unseren menschlichen Augen meist verborgen, bleibt dunkel und rätselhaft. Wir können nur hier und da Bruchstücke erkennen. Manchmal wird uns ein solcher Moment geschenkt: wie wunderbar ist doch alles geordnet, im Großen wie im Kleinen. Von der überwältigenden Aussicht von einem Berggipfel herab, bis zu der Anmut der feinen Schirmchen eines Löwenzahns. Von den „unendlichen Weiten des Weltraums“ bis zur vollendeten Schönheit einer Schneeflocke.

Der Apostel Paulus erkennt die Tiefe von Gottes Weisheit nicht nur in der Schöpfung. Wenn er von der Tiefe spricht, denkt er auch an Jesus Christus, in dem sich Gott selbst in die Tiefe begeben hat. Gott ist herabgekommen – in die Tiefen unseres Lebens. Er trägt mit, was wir zu tragen haben. Er geht unsere Wege mit, leidet unsere Schmerzen. Er erduldet das Unrecht, das uns drückt. Er kommt in unsere Tiefe, auch um unseren Tod zu sterben. Er geht in die äußerste Verlorenheit, hält uns dort fest und sagt: ich gebe dich nicht verloren. Ich kenne dich bis hinab in deine Tiefen und schenke dir mein Erbarmen.

Der Apostel Paulus hält vor Staunen inne, als ihm diese Erkenntnis geschenkt wird: Gottes Reichtum besteht auch darin, seine Herrlichkeit zu verlassen und in unsere Tiefen hinabzusteigen. Gottes Weisheit bringt ihn dazu, in den Tod zu gehen, um für uns alle das Leben zu gewinnen. Auf diese Weise schließt Gott uns alle ein in sein Erbarmen. Und zwar unabhängig davon, was uns zu Lebzeiten verbindet oder trennt, was wir persönlich glauben oder nicht glauben können, ob wir all das jetzt schon in seiner ganzen Tiefe erfassen oder nicht. Wenn das nicht zum Staunen ist!

Liebe Gemeinde, wann haben Sie eigentlich das letzte Mal so richtig gestaunt? Staunen können wir ja nicht „machen“ – es wird uns geschenkt, plötzlich und unvorhergesehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Heilige Geist seine Finger im Spiel hat, wenn wir staunen. Ich glaube, es ist Gottes Geistkraft, die uns die Augen öffnet für seine wunderbare Schöpfung. Wenn wir im Rückblick erkennen, wie Gott uns in unserem Leben begleitet und gesegnet hat. Wie wir neue Kraft erfahren haben, wenn wir uns am Ende glaubten. Es ist gut, dass wir Menschen staunen können.

Staunen hilft mir, die Perspektive zu wechseln. Es hilft mir, das Gute zu entdecken – all das viele Gute, von dem ich in meinem Leben umgeben bin.

Wenn ich in Bedrängnis bin und eine schwere Zeit durchmache, kann ich einen Schritt zurücktreten von allem, was mir so schwer auf der Seele liegt, kann mich umsehen und fragen: was ist aber trotz allem gut, auch jetzt? Welche Ordnung besteht weiter, auch wenn mir vieles ins Wanken gerät? Wer ist an meiner Seite? Wen kann ich ansprechen? Erstaunlicherweise machen Menschen gerade in schwierigen Zeiten die Erfahrung, dass Hilfe von einer Seite kommt, von der sie sie nicht erwartet haben. Auch darin zeigt sich Gottes Güte und Barmherzigkeit, die uns zum Staunen bringt. Wer staunt, ist bereit, sich beschenken zu lassen. Wer staunt, erkennt, dass sein Leben getragen ist, in einen größeren Zusammenhang gestellt.

Das entlastet und tröstet uns und hilft zum Leben. Wunderbar hat der große Naturwissenschaftler Albert Einstein den Wert des Staunens beschrieben. Er hat gesagt: es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben. Entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder als wäre alles ein Wunder. Ich habe mich für letzteres entschieden.

Und der Friede Gottes, höher als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.