Jakob Excelsiors wunderbare Himmelsreise

Jakob Excelsiors wunderbare Himmelsreise

Gemeinfrei via unsplash.com/Garmand Khoury

Jakob Excelsiors wunderbare Himmelsreise
Eine Weihnachtsgeschichte
26.12.2019 - 07:05
13.06.2019
Anja Neu-Illg
Über die Sendung:

Den Himmel hatte er sich aber doch anders vorgestellt. Und dann andauernd dieser Herzschlag da unten. Naja, kein Geräusch, aber ein Licht. Das aufleuchtet, wie ein pochendes Herz… Wärmer und heller als alle anderen Lichter.

Sendung nachhören

 

Sendung nachlesen:

Da war sie nun. Die Nacht der Nächte. Seine Nacht. Die Heilige Nacht.

Der Maschinenbauingenieur Jakob Excelsior löschte das große Licht im Flur, begab sich ins Bett, küsste Luise zufrieden auf die Stirn, knipste die Nachttischlampe aus und wartete – während er so tat als würde er einschlafen. So lag er reglos, bis er Luise tief atmen hörte. Als sie anfing, ihre kleinen Geräusche zu machen, war er sicher, dass sie eingeschlafen war. Langsam setzte er sich auf. Verharrte einen Moment auf der Bettkante und versuchte dabei, keinen Mucks zu machen. Ein paar Schneeflocken führten vor dem Fenster ein stilles Tänzchen auf. Sonst bewegte sich nichts. Der ganze Hof lag still, nur vom Fensterlicht zaghaft erleuchtet. Und über der alten Scheune stand hoch eine Wolke, wie fest.

 

Seine Nacht war gekommen. Jakob Excelsior trat im Nachthemd zwei Schritte zum Fenster und öffnete es, ganz vorsichtig. Luise machte ein kleines Schlafgeräusch. Mfffh. Er setzte sich auf das Fensterbrett, schwang behutsam die Beine nach draußen und ließ sich elegant auf den überfrorenen Schnee gleiten. Barfuß lief er herüber zum Geräteschuppen. Dort lag alles bereit. Auf einem Stuhl, die Kleidung für diesen besonderen Tag. Schnell zog er die warme Unterwäsche an, den neuen Anzug mit den Streifen, die Sonntagskrawatte und den warmen Mantel mit dem Fell innen. Und Kletterstiefel. Den fransigen Schal, den Luise ihm letztes Jahr gestrickt hatte und die extrawarmen Fingerhandschuhe, mit denen man aber noch zupacken kann. Und das tat er. Aus einer Ecke holte er seinen Prototypen Baureihe 1A. Sein Lebenswerk. Die Erfindung, an der er schon als Kind gearbeitet hatte. Heute sollte sie zum Einsatz kommen. Er zog ein bisschen an der Plane, sie rauschte herunter und da stand sie vor ihm, so unscheinbar und doch so grandios. Seine Himmelsleiter. Leichtbauweise. Teleskopprinzip. Völlig neuartiges Material. NASA-erprobt und hochstabil. Damit würde es gehen.

 

Da war sie nun. Die Nacht der Nächte. Seine Nacht war gekommen. Wem würde jetzt eine Leiter auffallen, die bis an den Himmel reicht? Jakob Excelsior wollte sich noch nicht für immer von der Erde verabschieden. Nein, nur einmal nachsehen wollte er, was los ist im Himmel und wenn es sich ergäbe, vielleicht das eine oder andere ernste Wort mit dem Allmächtigen reden.

 

So schob er seinen Leiterwagen vor den Schuppen hinüber zur Scheune. Dort hatte er schon in Kindertagen heimlich die Fundamente gegossen. Er räumte mit den Händen den Schnee beiseite und richtete den Prototypen auf. Die Füße rasteten ein. Es konnte losgehen. Er konnte, das war seine Erfindung, während er auf der Leiter weiter nach oben kletterte, die Leiter verlängern. Ein Leiterelement ging aus dem letzten hervor und obwohl er lange gedacht hatte, dass die Elemente dann irgendwann ja zu dünn würden, hatte er über ein neuartiges Material den Weg gefunden. Und auf ging es.

 

Ein Element nach dem anderen zog Jakob Excelsior heraus, es rastete ein, er kletterte hoch, zog das nächste heraus und weiter. So sah er schon bald seine kleine Welt von oben, das Haus, die Scheune, den Geräteschuppen, den verschneiten Obstgarten. Dann begann er, sich auf sein Ziel zu konzentrieren. Blick nach oben. Vor allem musste er achtgeben, nicht aus Versehen abzurutschen. Allmählich bekam er Kletterroutine. Leiterelement hochziehen, einrasten, klack und weiterklettern. Immer an drei Punkten mit der Leiter verbunden, wie im Kirschbaum. Leiterelement hoch, einrasten, klack und weiterklettern. Jetzt in den höheren Höhen zog er ab und an Leiterstücke mit kleinen Kratzern heraus. Er betrat sie mit Vorsicht. Doch die Konstruktion war stabil.

In den letzten Jahren hatte er an den Wochenenden und nach Feierabend an seiner Leiter gebaut. Manchmal war Luise plötzlich in der Werkstatt aufgetaucht, dann warf er schnell alles hin und legte eine Abdeckung über sein Projekt. Die kleinen Macken und Kratzer, die dabei entstanden, konnte er nicht mehr auspolieren. Jetzt musste es irgendwie so gehen. Und es ging. Ab und an ein etwas zaghafter Schritt, aber im Großen und Ganzen lief es doch wie geschmiert.

 

Er kletterte höher und höher. Kein Flugzeug war in jener Nacht unterwegs. Die Luft. Sie wurde nicht dünner. Die Nacht. Sternenklar. Die Himmelsleiter neigte sich kein bisschen, genau wie er es berechnet hatte, ging es immer weiter aufwärts. Wie viele Elemente hatte er noch in der Leiter? Würden die wohl wirklich bis ganz ganz oben reichen? Hochziehen, einrasten, klack, weiter, hoch, einrasten, klack, weiter, hoch, einrasten, klack. Klack…Fschschsch…Pong.

 

Er stieß gegen die Wolke, die so hoch oben über der Scheune gestanden hatte, wie fest. Und sie stand wirklich fest. Er hatte sich tatsächlich die richtige Nacht ausgesucht. Jakob krabbelte auf allen Vieren auf die Wolke. Stellte sich feierlich auf. Strich den Mantel glatt. Richtete die Sonntagskrawatte. Da war er nun also. Fester Wolkenboden unter seinen Füßen. Er sah sich ein wenig um, doch es schien niemand da. Am anderen Ende der Wolke ein Tor. Das Tor. Es stand offen. Ist denn niemand davor, das Tor zu bewachen? Vorsichtig spähte er in das Innere.

Keiner. Nichts.

Er trat ein. Auf einen Boden aus einem seltsamen Material. Nicht wirklich Glas oder Gold, auch kein Eis, aber es hallte. Hallo! Allooo. Allooo. Ist hier jemand?! Ehmand Ehmand. Halloooo?!! Oooohh. Ohhh. – Niemand zu Hause. Einen wunderschönen Klang hatte es hier. Er wollte gerne singen.

Aber mit wem? Er probierte ein paar schöne Töne.

Glohohohohohohohohohohohohohoria…Ist denn niemand daha? Aahaa.

 

Den Himmel hatte er sich aber doch anders vorgestellt, nicht gerade überfüllt vielleicht, doch mindestens Tante Alvine oder Pastor Mertens hätte er schon erwartet. Er schlittert zurück zum Tor, zur Wolke, an der noch immer seine Himmelsleiter lehnt. Bevor er zurückklettert, um noch vor dem Morgen wieder neben Luise im Bett zu liegen; doch noch einen Moment die Aussicht genießen. Er setzt sich auf die Wolke und schaut nach unten. Die Welt. Ganz ruhig und still.

 

Wo ist denn jetzt Kiekenborstel und wo ist Hamburg? Wo ist New York und wo die Chinesische Mauer. Er muss sich an den schönen Anblick erstmal gewöhnen. Die Orientierung fällt schwer. Mit dem Finger auf dem Globus geht das viel einfacher. Und dann andauernd dieser Herzschlag da unten. Herzschlag, welcher Herzschlag? Naja, kein Geräusch, aber ein Licht. Das aufleuchtet, wie ein pochendes Herz. Strahlt flammend auf. Wird wieder kleiner. Strahlt wieder auf. Wärmer und heller als alle anderen Lichter. Was ist das? Für einen Moment versinkt Jakob Excelsior in den Anblick dieses Herzschlags aus Licht. Er lehnt sich ein wenig zurück. Stützt sich mit den Händen auf der Wolke ab und neigt den Kopf leicht zur Seite. Hat die Welt ein Herz? Taucht ein in die Ruhe dieses leise vor sich hin pochenden Lichtes.

 

Engel 1: Ey! Nimm deine Hand von meinem Flügel!

Was? Da ist ja doch noch jemand. Wer?

Jakob: Guten Tag. Ich bin Jakob und das hier ist meine Himmelsleiter Baureihe 1A.

Engel 1: Boah. Lass mich in Ruhe. Ich wollte gerade los, da hab ich voll ne Leiter gegen den Kopf bekommen. Dabei sing ich doch das Solo! Lieg ich schon lange hier?

Jakob: Mhh. Weiß nicht. 5 Minuten vielleicht.

Engel 1: Haben sie schon angefangen? Ist es schon losgegangen?

Jakob: Was denn? Wo sind denn alle?

Engel 1: Na du bist ja vielleicht n Komiker. Na die Geburt von „Große Freude“, Mensch. Willst du mit? Ich muss nämlich echt los?

Jakob: Wie mit? Mitfliegen oder was? Du bist doch viel zu klein um mich zu tragen.

Engel 1: Hör mal zu mein Lieber! Wir Engel können das 28000-fache unseres eigenen Gewichts tragen und jetzt denk mal nach! Aber mach hin!

Jakob: Also 28000-mal so viel wie du …wieg ich bestimmt nicht, trotz Luises Gänsebraten.

Engel 1: Na also, dann kommst du eben mit, hier ist jetzt ja sowieso keiner…und dann kann ich den anderen auch gleich beweisen, dass ich wegen Jakob Excelsiors Himmelsleiter Baureihe 1 A zu spät komme.

Sprachs, schnappte sich Jakobs Mantelkragen und flog los, der Erde entgegen, genau auf das pochende Licht unten rechts zu.

 

Jakob Excelsior fliegt. Ein Engel hat ihn am Schlafittchen gepackt. Und nun geht es abwärts. Schneller als er so richtig vertragen kann. Ist er doch zu schwer für den Engel? Ganz flau wird ihm im Magen, wie früher in der Berg- und Talbahn. Wenn es abwärts ging und man keine Bodenhaftung mehr spürte. Hui. Der Engel macht einen Looping.

Jakob: Was ist? Verlierst du die Orientierung?

Engel 1: Nein. Aber wenn ich schon mal einen Beschleuniger habe, dann soll es ja auch Spaß machen, aber halt dich fest, wir sind gleich da.

Jakob: Wo sind eigentlich die Lichter von New York und Tokio und Singapur?

Engel 1: Im Schatten.

Jakob: Wo sind all die hellen Leuchten, die uns erleuchten wollen.

Die Lichter der Metropolen. Müsste man die nicht sehen von hier?

Der Engel hält an. Mitten in der Luft bleibt er stehen. Bewegt die Flügel nicht mehr. Sie fallen aber auch nicht weiter.

Engel 1: Weißt du Jakob, das große Licht, das stellt alle Lichter und Leuchten in den Schatten und erleuchtet die gesamte Finsternis. Und dieses große Licht, heißt „Große Freude“ und da, mein Lieber, fliegen wir jetzt hin.

Der Engel atmet einmal tief und sie rauschen weiter abwärts.

Fast sind sie da. Nirgendwo liegt Schnee. Wo sind wir? Kurz vor dem pochenden Licht biegen sie links ab und halten wieder an über einem Feld.

Dort steht ein riesiger Engelchor in der Luft und wartet auf seinen Einsatz.

 

Engel 2: Wo bleibst du denn? Wir warten schon auf dich!

Engel 1: Frag ihn. Er hat mir seinen Prototyp, Baureihe 1 A gegen den Kopf geknallt. – Sind die Hirten schon wach?

Engel 2: Nee. Schlafen oder dösen. Die Schafe auch.

Engel 1: Dann wollen wir mal meine Lieben. Auf geht’s!

Der kleine Engel tritt ganz nach vorne vor den Chor, ganz dicht an die Ohren der schlafenden oder dösenden Hirten.

Engel 1: Fürchtet euch nicht,

beginnt er flüstern. Und mit schon festerer Stimme,

Engel 1: Fürchtet euch nicht! Siehe! Siehe ich verkündige euch: „Große Freude“ ist euch geboren! Denn heute ist in der Stadt Davids für euch der Retter geboren:

Er ist Christus, der Herr.

Und dies ist das Zeichen, an dem ihr das alles erkennt:

Ihr werdet ein neugeborenes Kind finden.

Es ist in Windeln gewickelt und liegt in einer Futterkrippe.

Und der Chor der Engel erhebt sich.

Gloria in Excelsis deo, et in terra pax…

und Jakob Excelsior staunt nicht schlecht als er in der achten Reihe, die zweite von links, Tante Alvine sieht.

 

Die Hirten wachen auf, reiben sich den Schlaf und die schlechten Träume aus den Augen, erschrecken, laufen los, alles auf einmal, ohne Nachzudenken. Niemand achtet auf einen Herrn Excelsior, der mit Luisenschal und Sonntagskrawatte erschüttert bei den Hürden steht. Er hatte gerade noch gehört, wie die Hirten beschlossen: Nun kommt und lasst und gehn nach Bethlehem und die Geschichte sehn, die da geschehn…und er ging mit. Wo sollte er auch hin? Die Engel waren verschwunden. Auch der Solist, der ihn am Kragen gepackt hatte. Auf ging es über das Feld, hinauf nach Bethlehem, von woher der Herzschlag gekommen war. Niemand bemerkte ihn. Er lief einfach nur mit.

 

Sie kamen näher an das pochende Licht. Es kam aus einem Stall. Ein bisschen war das junge Paar überrascht. Schon Besuch da? Wo das Kind doch gerade erst geboren ist. Da lag nun „Große Freude“ in den Armen seiner Mutter. Alle wurden leise, um das Kind nicht zu wecken.

Hier war das Licht hergekommen, das von oben betrachtet alles überstrahlt hatte. Es roch nach Stroh und nach Ochsen und nach Kaffee. Nach Kaffee.

Luise: Guten Morgen Jakob. Fröhliche Weihnachten.

Jakob: Guten Morgen Luise, mein Schatz.

Luise: Sag mal hast du das Fenster aufgemacht heute Nacht?

Jakob: Mhh. Nein.

Luise: Gibt Frühstück. Kommst du?

 

Jakob Excelsior setzt sich auf die Bettkante, richtet sich auf, sieht zum Geräteschuppen und zur Scheune herüber, schüttelt den Kopf und tapst im Nachthemd ins Weihnachtszimmer. Unter dem schönsten aller Tannenbäume steht seine alte Krippe. Er setzt sich dazu. Ein Lamm, ein Löwe, ein Paar Giraffen, ein Ochse, ein Esel, die schönen Könige mit den Umhängen, Hirten, die sich verneigen und Maria und Joseph und das winzig kleine Jesuskind, das blinzelte früher schon so. Und da bei der Krippe. Eine kleine Leitersprosse, genau wie aus Prototyp 1 A, nur viel, viel kleiner. Jakob Excelsior nimmt die Leitersprosse in die Hand, dreht sie hin und her.

Luise: Was ist los? fragt Luise. Was ist mit Frühstück?

Jakob: Ich dachte nur.

Luise: Was denn?

Jakob: Ich dachte nur, ob der Allmächtige an Heiligabend wohl zu Hause ist.

 

„Es war einmal ein frommer Mann, der wollte schon in diesem Leben in den Himmel kommen. Darum bemühte er sich ständig in den Werken der Frömmigkeit und Selbstverleugnung. So stieg er auf der Stufenleiter der Vollkommenheit immer höher empor, bis er eines Tages mit seinem Haupte in den Himmel ragte. Aber er war sehr enttäuscht: Der Himmel war dunkel, leer und kalt. Denn Gott lag auf Erden in einer Krippe.“ (Martin Luther zugeschrieben)

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Musik dieser Sendung:

  1. O Heiland, reiß die Himmel auf, Nils Landgren, Christmas with my friends V
  2. Ning, Wolfgang Haffner, Nils Landgren, Shapes
  3. Stay away, London Grammar, If you wait
  4. Crusin, Wolfgang Haffner, Nils Landgren, Shapes
  5. Little Star, Madonna, Ray of light
  6. Gloria á 24, Huelgas-Ensemble, 40 Voices
13.06.2019
Anja Neu-Illg