Dieser eine Augenblick

Gedanken zur Woche
Dieser eine Augenblick
Wettkampf ohne Betrug
20.05.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken

„Gebt mir diesen einen Augenblick“ – Give me one moment in time. Das war Whitney Houstons Hit zu den Olympischen Sommerspielen 1988[i]. Mit dem Lied im Ohr sehe ich die Sprinterin Florence Griffith-Joyner vor mir. Mit wehendem Haar und knallbunten Fingernägeln lief sie leichtfüßig zu drei Goldmedaillen und einem Weltrekord, der bis heute ungeschlagen ist. Zu dem Moment passte die Liedzeile: „Dann, in diesem einen Augenblick, werde ich die Ewigkeit spüren.“

 

Im Rückblick macht mich das traurig. Und wütend. Beide Frauen sind inzwischen tot. Die Sprinterin mit starb mit 38 Jahren, die Sängerin mit 48. Beide ziemlich sicher an den Folgen ihres Medikamentenmissbrauchs[ii]. Bei Sportlern nennt man das Doping. Diese Augenblicke waren nicht für die Ewigkeit, sondern schlicht Betrug – an anderen Athletinnen, an den Zuschauern, am eigenen Leben.

 

Diese Woche wurde der Verdacht bekannt: Das russische Team soll bei den Winterspielen in Sotchi vor zwei Jahren systematisch manipuliert haben. Fünfzehn Medaillengewinner sollen gedopt haben. Mit kriminellen Methoden sollen ihre Proben vertauscht worden sein. Ebenfalls diese Woche wurden über dreißig andere Athleten verschiedener Herkunft des Dopings überführt, die womöglich jetzt nach Rio wollen. Erst jetzt konnte man nachweisen, dass sie vor acht Jahren in Peking gedopt hatten. Solche Nach-Tests sind inzwischen möglich, immerhin.

 

Doch bis heute sind die Kontrollen international nicht einheitlich, so dass es nicht fair zugeht.

 

Ich fürchte also, es gibt in diesem Olympiasommer wieder Momente, da weiß ich nicht: Kann ich mich mitfreuen? Ich schaue gern Sport und bewundere den Moment, in dem jemand über sich hinauswächst. Mehr schafft, als man je für möglich gehalten hat. Das wünscht man sich doch, nicht nur beim Sport. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, kann das so was wie ein heiliger Moment werden. Wenn jemand viel eingesetzt hat, sich angestrengt hat lange Zeit. Und dann etwas Wunderbares gelingt. Das empfindet ein religiöser Mensch auch dankbar als Geschenk. Dankbar für die Fähigkeiten, die Gott als Schöpfer in der menschlichen Natur angelegt hat. Und was Menschen daraus machen.

 

Mir ist nicht egal, dass solche Momente herbeigezwungen werden, weil jemand missbraucht, was eigentlich entwickelt wurde, um kranke Menschen zu heilen. Mir sind auch die Jugendlichen nicht egal, die hoch hinaus wollen mit ihrem Sport. Niemand soll sie in Versuchung führen, dabei ihre Gesundheit zu ruinieren.

 

Ich habe darüber mit Anne Jakob gesprochen. Sie ist als Rechtanwältin für Sportrecht gefragte Spezialistin in Sachen Anti-Doping. Bei zwei Leichtathletik-Weltmeisterschaften hat sie das Doping-Kontroll-Management geleitet[iii]. Und sie weiß, wovon sie spricht. Sie hat Doping am eigenen Leib erfahren. Als Kind war sie in den DDR-Sportkadern eine der sogenannten Versuchspersonen, die leistungssteigernde Hormone erhielten.

 

Heute sagt sie: Immer schneller, höher, weiter: Das fordert geradezu zum Doping heraus. Schon jetzt und erst recht in der Zukunft sind immer neue Rekorde auf normalem Weg kaum menschenmöglich. Sie fordert: Schafft die Länder-Medaillenspiegel ab! Schafft die Jagd nach Rekorden ab! Im Wettkampf soll zählen, wer Erste, Zweiter, Dritter, Vierter, Fünfter wird. Das ist doch spannend genug! Trotz ihrer Erfahrungen liebt sie den Sport.

 

Es gibt genug schöne Geschichten. Man darf sie nur nicht allein bei den Rekorden suchen. Auch ohne Rekorde gibt es diese Momente, da lässt der eine dem anderen einen sportlichen Vorteil. Da gibt es ein tolles Kräftemessen und das Quäntchen Glück. Ich wünsche mir: Gebt mir diesen Sommer solche Augenblicke. Gebt mir Wettkämpfe ohne Betrug! Dafür will ich dankbar sein – die Rekorde könnt ihr behalten.

 

Olympia ehrlich und ohne Doping – ist das den Verzicht auf Rekorde wert? Bis 8.00 Uhr können Sie mit mir darüber sprechen unter 030 und dann: 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter „deutschlandradio.evangelisch“.

 

[i] In Seoul

[iii] Berlin 2009 und Daegu /Südkorea 2011

Weitere Infos

27.12.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken