Unentdeckte Bäume

Thomas Dörken-Kucharz

Unentdeckte Bäume
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz
04.02.2022 - 06:35
06.01.2022
Thomas Dörken-Kucharz
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Ein kurze Meldung Anfang dieser Woche: Es gibt 9200 unentdeckte Baumarten auf der Welt. Ungefähr. Insgesamt soll es 73.000 Baumarten geben. Bislang ging man von ca 60.000 aus. Jetzt hat eine internationale Forschergruppe herausgefunden: Jeder 7. Baum auf der Welt ist noch unbekannt, also jede siebte Baumart.

Zunächst staune ich, dass es so viele verschiedene Baumarten gibt. 73000. Aus dem Stand könnte ich aktiv vielleicht 20 oder höchstens 30 Arten benennen. Noch mehr fasziniert mich die Feststellung der Forschergruppe, dass davon über 9000 noch unbekannt sind. Und dann stutze ich: Wie können sie das, was noch niemand kennt, zählen?

Es ist eine Schätzung, lerne ich beim Nachlesen des wissenschaftlichen Artikels dazu, aber eine ziemlich genaue. Denn das Wissenschaftsteam hat alle Baumzählungen, die es auf der Welt finden konnte, zusammengerechnet und die Daten methodisch auswerten und interpretieren lassen. Die Zahlen sind also Ergebnis einer Modellrechnung. Die unbekannten Baumarten finden sich auch nicht in unseren Breitengraden, sondern weiter südlich. Die Baumarten nehmen zu, je näher man dem Äquator kommt. Die unentdeckten Arten werden vor allem in Südamerika und Afrika gefunden werden.

Viele der noch unbekannten Baumarten sind sehr selten und endemisch, lerne ich. Endemisch heißt, sie kommen nur an einem bestimmten Ort, in einem abgegrenzten Gebiet vor. Bäume sind ja nicht gerade klein. Und dass es noch so viel unentdeckte Arten gibt, sagt mir, dass die Natur uns Menschen in manchen Bereichen noch voraus ist. Das kann für die unentdeckten Bäume ein Vorteil sein: sie wachsen so abgelegen, dass wir sie noch nicht kennen. Es kann auch ein Nachteil sein, denn was man nicht kennt, kann man auch schlechter schützen. Jedenfalls hat die Schöpfung Reserven und Reservate, die wir Menschen noch nicht kontrollieren.

Bäume sind auch in der Bibel nicht wegzudenken. Da gibt es den Garten Gethsemane, der voller Olivenbäume ist. Jesus sucht ihre Nähe, um sich am Ende von ihnen trösten zu lassen. Da ist der Hain Mamre, in dem Gott die Erzeltern Abraham und Sara besucht. Der Psalm 1 vergleicht den Menschen, der Gottes Gebote hält, mit einem Baum, der am Wasser gepflanzt ist, gut wächst und gedeiht. Und auch da, wo es um die elementaren religiösen Fragen geht, erzählt die Bibel im Bild von einem Garten und von Bäumen.

In diesem Garten gibt es zwei Bäume, die vollkommen endemisch und einzigartig sind. Den einen sollten die Menschen nie finden, den Baum des Lebens nämlich. Und den anderen, den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, sollten sie in Ruhe lassen und nicht von ihm essen. Haben sie aber doch! Und wurden darauf des Paradieses verwiesen. Der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis. Beide standen im Paradies mit vielen anderen Bäumen. Die anderen sind uns zum Glück und zum Trost geblieben.

Wer könnte leben ohne den Trost der Bäume! heißt es in einem Gedicht von Günter Eich. 1955, als das Gedicht erschien, war „Baumbaden“ jedenfalls als Begriff hierzulande noch unbekannt. Aber sich trösten lassen von Bäumen, das konnten die Menschen schon immer und auch nach dem zweiten Weltkrieg.

Günter Eich wusste noch nichts von Klimawandel und Waldsterben, vom Abholzen des Regenwaldes. Als hätte er es aber geahnt, schreibt er in den ersten beiden Zeilen:

 

Wer könnte leben ohne den Trost der Bäume!“

Wie gut, daß sie am Sterben teilhaben!

In der Tat: Bäume können vom Vergehen erzählen - und vom Werden.  Auf Friedhöfen und in Friedwäldern trösten sie in der Trauer.

Und ja, wir sind sterblich und nicht im Paradies. Die Bäume sind uns geblieben. Und sogar deutlich mehr Baumarten als wir bislang wussten. Doch Bäume sind uns nicht nur zum Trost, sondern auch zum Glück geblieben. Sie können viel mehr als trösten: Sie schützen vor der Hitze und vor allem atmen sie für uns und unsere Mitgeschöpfe. Sie zu erhalten ist schlicht lebenswichtig, überlebenswichtig. Und Biodiversität, also Artenvielfalt, das hat die Forschung inzwischen auch herausgefunden, steigert die Chancen zu überleben. Auch und gerade die der Bäume. Genießen wir sie! Schützen wir sie!

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literatur: The number of tree species on Earth: https://www.pnas.org/content/119/6/e2115329119

Günter Eich, Ende eines Sommers, in: Ders., Sämtliche Gediechte, Frankfurt 2006, S. 127

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06.01.2022
Thomas Dörken-Kucharz