Gedanken zur Woche 22. 05.

Gedanken zur Woche
Gedanken zur Woche 22. 05.
22.05.2015 - 06:35
03.04.2015
Pfarrer Jörg Machel

Es gibt Fotografien, die graben sich ein ins kollektive Bewusstsein. Das jüngste Bild stammt nicht von einem Starfotografen, sondern ist die Aufnahme eines spanischen Gepäckscanners. Es zeigt den achtjährigen Abou, der in einem Rollkoffer kauert, um die Grenzkontrolle zwischen Afrika und Europa zu passieren.

 

Ich musste an den kleinen Mose denken. In einem Bastkörbchen hat ihn seine Mutter dem Nil übergeben, damit ihn dessen Wasser an ein sicheres Ufer tragen. Sie musste ihn wegschicken, denn bei ihr gab es keine Sicherheit für ihn.

 

Mose wurde gerettet, das Schicksal des kleinen Abou ist ungewiss. Abou stammt von der Elfenbeinküste und wollte zu seinem Vater, der ganz legal in Spanien lebt. Weil dem Jungen die Einreise verweigert wurde, ließ der Vater seinen Sohn von einer Frau über die Genze schmuggeln.

 

Die Frau war von diesem Auftag offenbar überfordert und verhielt sich so auffällig, dass man sie wegen des Verdachts auf Drogenschmuggel zur Gepäckkontrolle heraus winkte. So entdeckte man die ungewöhnlich Fracht. Nun sitzen die Fluchthelferin und der Vater im Gefängnis und warten darauf, dass über ihr Schicksal entschieden wird.

 

Sicher, es gibt erschütterndere Bilder über den Flüchtlingsstrom von Afrika nach Europa: Fotos von überladenen Booten, von Ertrinkenden, von Verdursteten. Aber das Bild eines achtjährigen Kindes, das zu seinem Vater will, illustriert eine Lebensgeschichte, die fassbar ist und mitfühlenden Menschen zeigt, dass es so nicht weitergehen kann.

 

Das erste mal, dass ich von Menschenhändlern und Schlepperbanden reden hörte, war in der DDR. Man solle denen das Handwerk legen, so forderte Ostberlin von Bonn. Die Bundesregierung hielt dagegen: Kein Staat habe das Recht, einen Menschen festzuhalten, nur weil er sich aus den Fängen einer Diktatur befreien will.

 

Auch unter den Fluchthelfern damals gab es Geschäftemacher und Ganoven. Doch wenn man ihre Dienste in Anspruch nahm, so ging es einem vor allem darum herauszukommen.

 

Auch heute sind nicht die Schlepper das Problem. Sie bedienen eine Nachfrage, sie schaffen sie nicht. Das mediale Mitleid mit den Opfern auf dem Mittelmeer ist halbherzig, und die Schuldzuweisung an die Schlepper versucht die Ursachen zu verschleiern. Um der Misere in ihrer Heimat zu entfliehen, sind die Flüchtenden bereit, fast jedes Risiko in Kauf zu nehmen. Es ist Augenwischerei, wenn Politiker weismachen wollen, es gäbe die Möglichkeit, den Flüchtlingsstrom durch höhere Zäune und die Zerstörung von Schlepperbooten zu unterbrechen.

 

Als mitfühlende Menschen, als Europäer mit christlicher Geschichte und humanitärer Tradition, müssen wir uns vielmehr einmischen, wenn ganze Staaten kriminellen Clans in die Hände fallen. Der UN-Sicherheitsrat muss endlich Weltverantwortung übernehmen, ohne dass die nationalen Interessen einzelner Mitglieder alles blockieren.

 

Zur Weltverantwortung gehört eine Wirtschaftspolitik, die die Vormachtstellung der Nordhalbkugel nicht zementiert, sondern überwindet. Solange die Industrieländer korrupte Regierungen tolerieren, um ungestört Geschäfte machen zu können, werden die Menschen aus diesen Ländern fliehen.

 

Dabei schaut die große Politik durchaus auf das, was auf der Straße passiert und ich frage mich, welchen Signalen unsere Regierung folgen wird: Hört sie auf die Abschottungsparolen von AfD und Pegida und verschärft die Repression gegen Flüchtlinge? Oder orientiert sie sich an denen, die Solidarität zeigen und Flüchtlingen beistehen, die in ihrer Not auf pragmatische Hilfe angewiesen sind?

 

Welche Signale wollen Sie setzen? Falls Sie mit mir reden möchten, erreichen Sie mich bis um acht Uhr unter der Nummer 030 für Berlin und dann 325 321 344 oder auf Facebook unter: „deutschlandradio.evangelisch“.

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03.04.2015
Pfarrer Jörg Machel