Hauptsache, gesund?

Gedanken zur Woche

Gemeinfrei via unsplash.com (Liane Metzler)

Hauptsache, gesund?
20.04.2018 - 06:35
01.03.2018
Pfarrerin Angelika Obert
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

 

„Hauptsache, gesund!“ Das ist heute nicht mehr bloß ein Sprüchlein, das man sich über den Gartenzaun zuruft. Es ist vielmehr so etwas wie ein absolutes Lebensprinzip geworden: Hauptsache, gesund! Was wir dabei unter Gesundheit verstehen, bleibt vage: Geht es eher ums Wohlbefinden oder vor allem um die Leistungsfähigkeit?

 

Wie auch immer: Was für alle obenan steht, muss diejenigen besonders bewegen, die ein Kind erwarten: Hauptsache, es kommt gesund zur Welt. Längst kann man da in mancher Hinsicht schon sicher gehen. Durch einen einfachen Bluttest lässt sich bereits feststellen, ob bei dem Kind im Mutterleib eine Chromosomenstörung vorliegt, z.B. das sogenannte Down-Syndrom. Das kommt nicht häufig vor, aber wenn, dann stellen sich für die werdenden Eltern verzweifelte Fragen: Wird dieses Kind nicht viel leiden müssen? Wird es gut versorgt sein, wenn wir uns selbst nicht kümmern können? Was bedeutet es für die Familie, mit einem behinderten Kind zu leben? Auch wenn es für Kinder mit Down-Syndrom heute gute Förderungsmöglichkeiten gibt, überwiegt bei den meisten Eltern dann doch ein Übermaß an Angst und Sorge: Sie entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Die moderne Medizin macht es ihnen möglich und eine Gesellschaft, die „Hauptsache, gesund“ zum obersten Prinzip erhoben hat, zwingt ihnen die Angst vor einem behinderten Kind ja geradezu auf.

 

Das wissen auch die Kirchen, die am vergangenen Sonntag die „Woche für das Leben“ eröffnet haben. In diesen Tagen wollen sie Mut machen, den Schwangerschaftsabbruch nicht etwa für naheliegend zu halten, wenn beim ungeborenen Kind eine Behinderung festgestellt wird. Es geht den Kirchen nicht darum, werdende Eltern in ihrer Notlage zu bevormunden. Aber doch um die Frage, mit welchem Menschenbild wir leben wollen, von welchen Werten wir uns leiten lassen. Wenn es immer selbstverständlicher wird, Kinder mit einer Chromosomen-Anomalie nicht zur Welt zu bringen, dann ist das natürlich eine Selektion. Eine Übereinkunft, welches Leben wir für wert und welches wir für unwert erachten. Die Menschenwürde ist dann nicht mehr unantastbar. Damit steht viel auf dem Spiel.

 

Alle Bemühungen um Inklusion von Menschen mit Behinderung sind ja nicht ganz ehrlich, wenn zugleich die Behinderung ein Grund für den Schwangerschaftsabbruch ist. Für werdende Eltern wird es immer schwerer, ein behindertes Kind zu bekommen, wenn sie wissen: Dieses Kind wird als Ausnahmefall angesehen werden. Und schließlich stellt sich auch die Frage: Wo wird die Grenze sein? Wie viel Rundum-Gesundheit werden wir eines Tages erwarten von den Kindern, die zur Welt kommen?

Die Medizin wird diese Grenze nicht setzen. Sie schafft immer neue Möglichkeiten. Es ist an uns zu entscheiden, ob wir das „Hauptsache, gesund“ tatsächlich immer noch weiter als höchstes Gut anbeten wollen.

 

Tatsächlich führt das Prinzip „Hauptsache, gesund“ jetzt schon viele in eine permanente Angst. Denn verletzlich sind wir ja alle. Jeder und jede kann in die Lage kommen, mit schweren Einschränkungen leben zu müssen. Und immer mehr wird dieser Gedanke in vielen Köpfen zur Horrorvision: Wie schrecklich, wenn ich eines Tages auf fremde Hilfe angewiesen bin! Immer unvorstellbarer wird es, dass gerade das doch das Allermenschlichste ist: aufeinander angewiesen zu sein, einander zu helfen und sich helfen zu lassen.

 

Es käme uns allen zugute, wenn dieses Allermenschlichste zur Hauptsache würde. Wenn sich werdende Eltern darauf verlassen könnten: Auch mit einer Trisomie wird ihr Kind keine fürchterlichen Probleme haben. Es ist ja sehr viel Hilfe möglich. Nur das „Hauptsache, gesund“ - das muss aus den Köpfen. Was meinen Sie? Auf Facebook können Sie mitdiskutieren unter deutschlandradio.evangelisch.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Weitere Infos

01.03.2018
Pfarrerin Angelika Obert